Die NDR-Doku “Kiffen, klauen, zustechen“ zeichnet von Billstedt ein düsteres Bild. Der Ehrliche sei hier doch der Dumme, sagen Jugendliche.

Hamburg. Es gibt die, die kaum genug Geld haben, um sich und die Kinder durchzubringen. Von ihnen gibt es viele. Und es gibt die, die mit hoch motorisierten, tiefergelegten BMW-Limousinen durch die Häuserschluchten röhren, Scheine und Marihuana in Beutelchen in der Hosentasche haben. Glaubt man Jugendlichen, die in Billstedt oder anderen Stadtteilen leben, die den Ruf eines Problemviertels haben, dann hat man als junger Bewohner eines solchen Viertels nicht viele Wahlmöglichkeiten: Hartz IV oder die Kriminalität, Armut oder Geld, Redlich- oder Rücksichtslosigkeit. Der Ehrliche sei hier doch der Dumme, sagen Jugendliche in einer Dokumentation aus Billstedt, die den Titel "Kiffen, klauen, zustechen" trägt und ein düsteres Bild Billstedts zeichnet.

Ulrich Kondoch, Leiter des zuständigen Polizeikommissariats, verweist im Gegenzug auf durchschlagende Erfolge seiner Fahnder und Ermittler.

Im Alter von neun Jahren habe er zum ersten Mal an einem Joint gezogen, erzählt der mittlerweile 16-jährige Marcel in dem halbstündigen Film. Inzwischen rauche er schon bis mittags mindestens zweieinhalb Gramm Marihuana. Die Folgen: Antriebslosigkeit, Kontrollverlust und der Zwang, sich immer wieder neues Geld beschaffen zu müssen, um die Sucht zu finanzieren.

Marcel saß während der Dreharbeiten - im Herbst vergangenen Jahres - in der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand. Er war bereits Intensivtäter, hatte ein Mädchen mit einem Messer verletzt. Er wolle sich bessern, sagt er, und wegkommen von den Drogen: "Konsum ist, wenn du die Macht über die Droge hast. Abhängigkeit ist, wenn die Droge die Macht über dich hat."

+++ Mümmelmannsberg +++

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Andere Jugendliche in Billstedt machen gegenüber Zivilfahndern, die sich tagtäglich im entsprechenden Milieu bewegen, keinesfalls einen reumütigen Eindruck. Als die Beamten, von Kameras begleitet, einem Jugendlichen das Messer abnehmen, sagt der junge Mann mit Jogginghose verständnislos: "Das ist doch kein Stechermesser!" Indes: Die Waffe hat eine beeindruckende Klinge und einen Widerhaken, der beim Einsatz am Körper zu schwersten Verletzungen führt.

"Widerwärtig", sagt Zivilfahnder Kay Tegtmeyer. Seit Jahren beschäftigt er sich mit den kriminellen Karrieren der Kids in seinem Revier: "Eben hast du sie noch auf dem Spielplatz schaukeln sehen", sagt er, "schon sind sie auf dem Weg zum Intensivtäter." Wenn Kinder abrutschen, liege das oft natürlich an den falschen Freunden - und daran, dass die Eltern nicht hinter den Kindern stehen.

So war es offenbar auch bei einer Razzia, die die Ermittler der ZD 66 - einer Dienstgruppe, die sich speziell um junge Intensivtäter kümmert - und Billstedter Fahnder zeitgleich bei mehreren Familien im Stadtteil durchführten, deren Söhne im Verdacht standen, eine Serie von Raubüberfällen auf andere Jugendliche begangen zu haben. Die Beamten fanden Messer und Marihuana in den Kinderzimmern der Jungen. Die Drogen, das legt der Fernsehbeitrag nahe, erwarben sie von Dealern, die auf den Spielplätzen der Nachbarschaft auf Kundenfang gegangen waren.

"Sonnenland" hieß eine der bekanntesten Sonderkommissionen der Hamburger Polizei. Benannt nach einer der Straßen in Billstedts Problemviertel Mümmelmannsberg. Anfang 2010 wurde die Soko aufgelöst: Die kriminellen Strukturen, darunter auch die berüchtigten Gruppen junger Heranwachsender, die Billstedt fast zu übernehmen drohten, waren nach einem Jahr Soko-Arbeit verschwunden. Mit einer Taktik der Nadelstiche hatte die Polizei verhindert, ihr Gewaltmonopol zu verlieren - mit niederschwelligen Sanktionen, Kontrollen, Vorladungen.

Aufbauend auf die Arbeit der Soko haben die Beamten ihre Taktik in den letzten Jahren weiter ausgebaut. "Mit Erfolg, wie aktuelle Zahlen belegen", sagt Polizeidirektor Kondoch "wir sind besser geworden, nicht schlechter." Laut aktueller Kriminalitätsstatistik gab es in Billstedt 2011 fast ein Viertel weniger Gewaltstraftaten im Vergleich zum Vorjahr. Es gab mehr als 20 Prozent weniger Raube auf öffentlichen Plätzen, 23 Prozent weniger gewaltsame Übergriffe, die als gefährliche Körperverletzungen registriert wurden.

Dennoch, ausruhen können sich seine Beamten nicht, weiß Kondoch: Die Bewohner Billstedts sind durchschnittlich jünger als in vielen anderen Stadtteilen. Und viele junge Billstedter wüchsen teils schon in dritter Generation in die Arbeitslosigkeit hinein, sagt Kondoch. Mit den bekannten Problemen: Alkoholmissbrauch und Gewalt in den Familien, keine Vermittlungen von Primärtugenden. "Etwa 85 Prozent aller Körperverletzungen geschehen im Familien- und Bekanntenkreis", sagt Kondoch.

Wie die Doku zeigt, sind das keine Voraussetzungen für einen geordneten Lebenslauf.

Der Film "Kiffen, klauen, zustechen" wird am Sonnabend um 15.30 Uhr in der ARD ausgestrahlt.