Am 4. Juni 1962 wurden die Großmarkthallen in Hamburg eröffnet. Hier werden Produkte aus 52 Ländern verkauft. Ein Rückblick.

Hamburg. Heinzi Reimers steht in der riesigen Halle mit den drei gewaltigen Bögen und schaut sich die Kisten mit den frischen Tomaten an. Er prüft die Qualität, nennt den Preis und nickt zufrieden. Das hier ist sein Revier. Heinzi Reimers ist jetzt 72 Jahre alt. Und auch wenn der Hamburger mit dem freundlichen Gesicht und dem lockeren Mundwerk nicht mehr jeden Tag auf dem Großmarkt erscheint, kennt ihn hier noch jeder. "Hallo Heinzi, wie geht's?"

Es geht ihm gut. Heinzi Reimers ist ein Mann der ersten Stunde, wenn man so will. Als der Hamburger Großmarkt vor 50 Jahren, am 4. Juni 1962, eröffnet wurde, war er schon dabei. Sein Vater, Heini Reimers, hatte einen Gemüsehandel. Und er hatte bestimmt, dass sein Sohn nach der Schule erst einmal eine Kaufmannslehre in einem Feinkostgeschäft in Eppendorf absolvieren müsse, bevor er in das Familienunternehmen einsteigen durfte. "Damals wurde nicht groß gefragt, was man nach der Schule machen möchte. Da hieß es: Das machst du, Heinzi!"

Na klar. Er hat mächtig losgelegt. Hat eine Menge Wissen angehäuft über Obst und Gemüse, Anbau und Produktion, Preise und Qualität. Und er hat immer gerne mit Menschen zu tun gehabt. Er mag die Leute. "Ich habe immer gerne diskutiert und Probleme gelöst." Er wurde über die Jahre zu einer Institution und kann wie kein Zweiter den Wandel des Hamburger Großmarkts beschreiben, der in Deutschland nach wie vor der bedeutendste Umschlagplatz für Obst und Gemüse ist.

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1,5 Millionen Tonnen Waren im Wert von zwei Milliarden Euro werden im "Frische-Zentrum des Nordens" jedes Jahr umgesetzt. Dazu kommen noch mal rund 82 Millionen Euro Warenumschlag im Blumengroßmarkt, der nach der Verlagerung von den Deichtorhallen 1984 eröffnet worden ist. Bis nach Skandinavien und Polen reicht das Einzugsgebiet. Die Produkte kommen aus 52 Ländern.

Wie war das auf dem Großmarkt vor 50 Jahren? "Eng, hektisch und laut", sagt Heinzi Reimers. "Was meinen Sie, was hier für ein Leben war. Wenn um 4 Uhr nachts die Tore aufgingen, kam die Flut von Einzelhändlern hereingestürmt." Der Reimers Obst- und Gemüsegroßhandel hatte damals gerade einmal 30 Quadratmeter zur Verfügung, um seine frische Ware an die kleinen Ladenbesitzer und Wochenmarkthändler zu bringen. "Heute sind es 360 Quadratmeter."

Und heute schaut er immer noch vorbei, auch wenn sich inzwischen Tochter und Schwiegersohn sowie die beiden Enkelkinder die Nächte um die Ohren schlagen. Denn das ist nun mal so: Wenn die Hamburger ins Bett gehen, dann erwacht hier die Stadt. "Unsere Arbeitszeit geht von halb elf Uhr abends bis 9 Uhr morgens."

Früher tobte hier das Leben, hektisch ist es noch immer. Gabelstapler kurven um die Ecken, Packer stapeln Kisten mit Rettich, Radieschen oder Rhabarber. Lautstark wird an jeder Ecke über Preise verhandelt.

"Eva, was kost' der Eisberg heute?" Eva-Maria Wedemann, 61, steht hinter einem kleinen Verkaufstresen und nennt einen Preis. Der Kunde geht weiter, aber sie weiß ziemlich genau, dass er irgendwann zurückkommt, wenn er Preise und Qualität an den anderen Ständen abgefragt hat.

Wie würde sie Kindern ihren Beruf beschreiben? Eva-Maria Wedemann muss nicht lange überlegen: "Ich verkaufe Gemüse an Leute, die auf dem Wochenmarkt stehen oder einen kleinen Laden haben." Sie tut das schon seit über drei Jahrzehnten. "Meine Eltern haben Gemüse angebaut und verkauft", sagt sie. Angefangen hat sie auf dem Großmarkt als Pack-Fietz, hat Kisten geschleppt und die Elektrokarren gefahren. "Das war eine ziemliche Knochenarbeit, heute halte ich ja nur noch den Schreiber", sagt sie und lacht.

Nirgendwo wird so deutlich wie auf dem Großmarkt, dass Handel auch Wandel bedeutet. Viele kleine Ladenbesitzer sind als Kunden verschwunden. Supermarktketten und Discounter wie Aldi oder Lidl lassen sich von großen Logistikfirmen beliefern. Die zunehmende Macht der Discounter, die mittlerweile fast 65 Prozent des verkauften Obstes und Gemüses in Deutschland vertreiben, stellt auch die Großmarkthändler vor neue Herausforderungen. "Heute geht viel am Großmarkt vorbei", sagt Heinzi Reimers. Hinzugekommen als Kunden sind Restaurants, Hotels, Kantinen und soziale Einrichtungen.

"Wer sich die Mühe macht, nachts hierher zu kommen, der will Preise vergleichen und setzt auf beste Qualität", sagt Eva-Maria Wedemann. Guter Service, ein breites Sortiment und ein regionales Konzept sind die Trümpfe, die sie noch in der Hand halten. Während die Kunden früher verstärkt große und exotische Waren verlangten, beobachtet Eva-Maria Wedemann seit einiger Zeit eine immer stärkere Nachfrage nach regionalen Produkten.

"Es gibt einen eindeutigen Trend beim Verbraucher zu saisonalen und regionalen Waren", sagt sie. Die Menschen interessieren sich wieder dafür, woher das kommt, was auf ihren Tellern landet. Sie wollen eher wieder Äpfel aus dem Alten Land als Ananas aus Mexiko. Während aber nur sieben Prozent des Obstes auf dem Hamburger Großmarkt aus Deutschland kommen, sind es beim Gemüse immerhin 52 Prozent.

Verstärkt werden auch Bio-Produkte verlangt. Sie unterliegen besonders strengen Richtlinien - nur komplett unbehandelte Ware qualifiziert sich für den Handel unter dem jeweiligen Bio-Siegel. Seit fünf Jahren können Großmarkthändler ihre Produkte direkt auf dem Gelände bei einem Labor abgeben, in dem innerhalb von zwölf Stunden jeder noch so geringe Pestizidrückstand ermittelt werden kann.

Überhaupt ist in den vergangenen Jahren in den altehrwürdigen Hallen einiges passiert. Einmal im Jahr öffnet der Großmarkt für alle Hamburger seine Tore. Beim Food Market strömen bis zu 30 000 Menschen auf das Gelände mit einer Gesamtfläche von fast 30 Hektar. In einem Schülerlabor können Jugendliche die Zusammensetzung von Lebensmitteln erforschen. Das Deutsche Zusatzstoffmuseum informiert darüber, welche künstlichen Aromen in Joghurts oder Tiefkühlpizzen stecken.

"Seitdem esse ich keinen Himbeerjoghurt mehr", sagt Torsten Berens. Wer wissen will, wie die nächsten 50 Jahre des Großmarkts aussehen könnten, der vor zehn Jahren vom Senat eine Standortgarantie an der Bankstraße bis 2034 erhalten hat, muss mit dem Geschäftsführer sprechen. Der 48-jährige Hamburger setzt neben dem traditionellen Handel auf eine weitere Optimierung der Flächen. "Derzeit sind die Hallen mit 90 Prozent noch sehr gut ausgelastet", sagt Berens. Er kann sich gut vorstellen, Teilflächen des Marktgeländes für den Endverbraucher zu öffnen. Ideen für besondere Gastro-Erlebnisse sind vorhanden, die ersten Gespräche dazu laufen und könnten vielleicht schon im kommenden Jahr umgesetzt werden.

"Der Großmarkt wird nicht verschwinden", da ist sich Eva-Maria Wedemann sicher. "Aber er wird sich immer wieder wandeln." Und er lebt von Menschen wie ihr oder Heinzi Reimers, für die ihr Job auch sehr viel mit Leidenschaft zu tun hat. Das Handeln und Feilschen, das Schnacken und der Spaß - die Nacht schweißt die rund 2400 Beschäftigten aus den 425 Betrieben zusammen. "Ohne Lust und Liebe zu den Menschen und zu den Produkten, mit denen wir handeln, geht es nicht", sagt Heinzi Reimers.

Anstrengend sei es schon gewesen. "Wir haben wenig bis gar keinen Urlaub gehabt und mussten auch auf vieles verzichten", sagt er. "Aber man konnte hier auch immer gutes Geld verdienen. Die Familie ist versorgt." Und ja, da muss er nicht lange überlegen: "Ich würde alles noch einmal genauso machen."