Stadtteile Niendorf und Langenhorn erholen sich vom Fluglärm, weil eine Landebahn gesperrt ist. Dafür leiden Alsterdorf bis Hamm.

Hamburg. Auf einmal ist es aus dem täglichen Leben verschwunden. Dieses vertraute Brummen, Heulen, Pfeifen und schließlich mörderische Aufbrüllen der Triebwerke, wenn ein Jet auf seine Abhebegeschwindigkeit beschleunigt. "Wir schlafen zurzeit besser, aber als Erwachsener kann man Fluglärm anders kompensieren. Wenn wir normalerweise im Sommer die Fenster öffnen würden, wären die Kinder immer wieder wach", sagen Anett und Nico Sanders aus der Robert-Blum-Straße in Niendorf, zwei von 45.000 Menschen in Hamburg, die in einer der ausgewiesenen Fluglärmzonen leben; in Norderstedt sind es noch einmal 7500 Betroffene.

Doch seit dem 21. Mai hat die Familie Urlaub vom Fluglärm, und das voraussichtlich noch bis zum 17. Juni. Denn wegen des strengen Winters wird die Start- und Landebahn 05/23 (Langenhorn/Niendorf) aufwendig repariert. So führt der gesamte Flugverkehr derzeit über die Piste 15/33 (Alsterdorf/ Norderstedt), was den Fluglärm über den schleswig-holsteinischen Gemeinden Norderstedt, Hasloh und Quickborn sowie über den Hamburger Stadtteilen Alsterdorf, Winterhude, Barmbek, Eilbek und Hamm enorm erhöht.

+++ Ab Montag mehr Fluglärm in Barmbek und Alsterdorf +++

+++ Fluglärm: Quickborner verklagen Hamburg +++

Das Ehepaar in den Mittdreißigern - Anett Sanders ist OP-Schwester im UKE, ihr Mann Nico Hauptbrandmeister bei der Feuerwehr - weiß, dass die "Zeit der Stille" nur von kurzer Dauer ist. "Man sitzt länger draußen und kann die Ruhe richtig genießen. Man nutzt den Garten einfach intensiver", sagt Nico Sanders. Aber niemals wollte er wegziehen, mit den Pisten in Steinwurfweite sei er doch groß geworden.

Gerade haben sie ihr Haus großzügig modernisiert. Darüber hinaus sei die Lage top, schön grün, und die Nähe zur City und zum Arbeitsplatz komfortabel. "Und man muss ja auch ehrlicherweise sagen, dass nur etwa ein Drittel der Flugbelastung hier stattfindet, der Rest eher über Langenhorn. Ein ehemaliger Kollege von mir wohnt da - und das ist echt sportlich ..."

Tatsächlich führen im langfristigen Durchschnitt 60 Prozent der lärmintensiven Starts in Richtung Norden, 31 Prozent über Niendorf und Blankenese, sechs Prozent über Langenhorn/Lemsahl und drei Prozent über Alsterdorf/Hamm. Sanders ehemaliger Kollege, Rolf Zillmer, pensionierter Hauptbrandmeister, und seine Frau Karin, 64 und 63 Jahre alt, die in einem ausgebauten, ehemaligen Siedlungshäuschen aus dem Jahre 1933 im Cordesweg leben, haben trotzdem noch nie die Nummer der Beschwerdehotline des Hamburger Fluglärmschutzbeauftragten gewählt. "Mich stört der Lärm aber nicht so sehr wie meinen Mann", sagt Karin Zillmer, "vor allem bei Ostwind fängt er an zu schimpfen." Denn dann sei das Wetter gut, und Rolf Zillmer hat sich ein Idyll erschaffen, mit Teich, Swimmingpool, einer wohldurchdachten Bepflanzung und sauber geschnittenen Rasenkanten. Am liebsten sitzt er abends mit einem Bierchen an seinem Teich und beobachtet seine Koi-Karpfen. "Das beruhigt mich am besten", sagt er, "und jetzt natürlich erst recht, aber bald geht es ja leider wieder los, wenn in den Ferien die Maschinen im Minutentakt abheben. Dann kannst du dich draußen kaum unterhalten."

Die Krux ist, dass der Cordesweg sich genau im Dreieck der beiden Pisten befindet. Doch wie bei so vielen "Fluglärmopfern" reicht der Leidensdruck auch bei den Zillmers nicht aus, um in eine ruhigere Gegend abzuwandern. "Da hängt mehr dran, hier sind meine Wurzeln, das ist meine Heimat!", sagt Zillmer. Immerhin: Hamburg Airport habe die Lärmschutzfenster bezahlt, und die seien gut.

Der Hamburger Fluglärmschutzbeauftragte (FLSB) Hans-Heinrich Wendland, 64, berichtet, dass die Zahl der Beschwerden in den vergangenen zwei Wochen zugenommen habe, "aber es waren nicht so viele wie bei der Pistensanierung vor zwei Jahren. Insgesamt haben die Beschwerden sogar abgenommen." Dies liege zum einen an den immer leiseren Triebwerken der Jets, sagt Flughafensprecherin Katja Tempel, "vor allem aber auch am strengen Nachtflugverbot für den Hamburg Airport, das auch in jedem Falle so, wie es ist, beibehalten werden wird - und nicht zuletzt auch an unseren erfolgreichen Lärmschutzprogrammen".

Das Nachtflugverbot beinhaltet saftige Aufschläge bei den Start- und Landegebühren für "Spätflieger". Und nicht regelmäßige Flüge nach 23 Uhr sowie alle Flüge nach 24 Uhr (Ausnahme: Post, Notfälle, medizinische Hilfsflüge) benötigen darüber hinaus immer eine Einzelausnahmegenehmigung durch den FLSB. Für die Kommunikation des Flughafens findet Wendland lobende Worte: "Sie geschah rechtzeitig. Die meisten Bürger in den betroffenen Stadtteilen sind darüber informiert, dass es sich lediglich um einen begrenzten Zeitraum handelt." Rund 1500 Anrufe registriere seine Behörde pro Jahr, die Tendenz sei fallend. Ohnehin könnten die Mitarbeiter des FLSB nur beruhigen, den Zorn der Lärmgeplagten versuchen zu dämpfen.

Die vierköpfige Familie Röttgermann ist das Wagnis eingegangen, in der Fluglärmzone neu zu bauen. Wenige Wochen erst bewohnen sie ihr schickes Passiv-Energiehaus in Niendorf, perfekt lärmgedämmt, mit flüsterleiser Lüfteranlage. "Es ist ländlich, ruhig, die Vögel zwitschern und da hinten wohnt ein Fasan", sagt Jan Röttgermann, ein 38-jähriger Logistiker, "es ist nur 15 Minuten von der Schanze weg, wo wir vorher gewohnt haben, und dort ist es lauter als hier, jedenfalls der Grundlärm."

Für die Familie war der Preis ausschlaggebend. "Ein Haus dieses Standards dürfte in Sasel oder Wellingsbüttel wegen des Grundstückspreises sicherlich teurer sein." Doch in ein Haus ohne diesen Standard wären sie nicht gezogen, jedenfalls nicht mit dem Flughafen als Nachbarn. "Unterm Strich fühlen wir uns sehr wohl. Aber jetzt genießen wir die besondere Ruhe. Wir können die Fenster offen lassen, auch wenn die Zwillinge schlafen." Pit und Ben können bereits mit zwei Jahren Düsenjets von Turbopropmaschinen unterscheiden. Das Ehepaar hat genau kalkuliert und die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen. "In den Ferien nimmt der Flugverkehr zu. Aber die Gartenparty muss man ja nicht unbedingt in dieser Zeit veranstalten." Vor allem nicht in der Zeit vom 13. bis 26. August: Dann wird auch die andere Piste saniert, dann zahlt es der Fluglärm Niendorf und Langenhorn mit doppelter Frequenz zurück.