Manchmal stellt sich eines dieser sanftäugigen Wesen auf die Hinterbeine und verteilt dann Tritte, die eher an Jackie-Chan-Filme erinnern.

Hamburg. Für das kleine Wesen mit den staksigen Beinen, den Knopfaugen und dem gepunkteten Fell konnte es nur einen Namen geben: Bambi, natürlich. Jungtiere der Sikahirsche sehen einfach aus wie der Disney-Klassiker. Insgesamt acht der kleinen Hirsche kamen im März und April im Tierpark Hagenbeck zur Welt. Doch damit war es vorbei mit lustig für Vanessa Kempe und ihre Kollegen: "Sikahirschmütter werden nämlich äußerst aggressiv, wenn sie Nachwuchs haben", erzählt die Tierpflegerin.

Eben noch ergeht man sich also in "Ach wie süß!"- und "Niiiieeeedlich!"-Rufen, und schon stellt sich eines dieser sanftäugigen Wesen auf die Hinterbeine und verteilt mit den Vorderbeinen Tritte, die nicht an Disney, sondern eher an Jackie-Chan-Filme erinnern.

"Besonders schlimm ist es, wenn die Babys am ersten oder zweiten Tag nach der Geburt gechipt werden", sagt Vanessa Kempe. Dann bekommen die Kitze von den Zootierärzten einen kleinen, elektronischen Chip unter die Haut gespritzt, der sie danach identifiziert. Eine wichtige Prozedur, ist die Unterart der Vietnam-Sikahirsche doch vom Aussterben bedroht und die Tiere daher bei Hagenbeck auch Teil des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP). Deshalb müssen sie sicher zu identifizieren sein - doch die Mütter wissen das so gar nicht zu schätzen. Kempe: "Bei der Aktion kommt immer noch eine dritte Person extra zur Abwehr der Mütter mit ins Gehege, denn die Sikahirschkühe verteidigen nicht nur ihr eigenes, sondern auch noch alle anderen Jungtiere."

Ursprünglich stammen die etwa damhirschgroßen Tiere aus Ostasien; allerdings kommen sie durch Einfuhren und Auswilderungen mittlerweile auch in vielen anderen Gegenden der Welt in freier Wildbahn vor - so auch in Deutschland. Bei uns wurden die Tiere 1893 als Parkwild eingeführt. Ein paar entkamen in Wälder, ein paar andere wurden ausgesetzt, und so gibt es fünf wilde Populationen in den Hüttener Bergen und in Schwansen, Ostangeln (Schleswig-Holstein), im Weserbergland (Niedersachsen), im Sauerland (Nordrhein-Westfalen) und in Klettgau (Baden-Württemberg).

Bei Hagenbeck teilen sich die Vietnam-Sikahirsche, die bis 140 Zentimeter lang, 100 Zentimeter hoch und 80 Kilogramm schwer werden können, ein Gehege mit den Hirschziegenantilopen. "Mit denen haben sie aber wenig Kontakt, da bleiben lieber alle unter sich", sagt Vanessa Kempe. Besonders die Sikahirsch-Jungtiere bilden dabei einen "Kindergarten", liegen und stehen gerne einmal alle zusammen.

Viel zu hören gibt es dabei nicht, sagt Vanessa Kempe: "Eigentlich blöken die Sikahirsche nur, wenn sie Hunger haben." Im Moment jedenfalls: Zur Brunft im November bis Dezember kann es jedoch richtig laut zugehen. Dann schreien die Böcke laut und lang anhaltend in hohen Tönen, sodass sie noch außerhalb des Tierparks zu hören sind. Da wird es einige Anwohner vielleicht nur am Rande interessieren, dass bei den Tieren zehn verschiedene Lautäußerungen unterschieden wurden - deutlich mehr als bei den meisten anderen Hirscharten. So etwa ein weicher, pfeifender Laut der Weibchen oder ein lautes Pfeifen der Männchen während der Brunft, das mit einem lauten Brummton endet.

Haben die Männchen mit diesem Gebaren mehrere Hirschkühe für ihren Harem gewonnen, so verteidigen sie diese Kleingruppe gegenüber ihren Konkurrenten auch bei Hagenbeck, wo insgesamt 25 erwachsene Sikahirsche leben. Und dann gibt es im Frühjahr Nachwuchs - oder ganz selten auch einmal im Herbst: "Dann, wenn es zum Beispiel durch Störungen im Frühjahr einmal keine Geburten gab", erzählt Vanessa Kempe.

Dieses Jahr hat es damit aber bestens geklappt, und so toben Bambi und die andere Kitze friedlich im Sonnenschein. Bis aus einigen von ihnen irgendwann Karate-Mütter werden.

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