Hamburg. Die Bürgerpreiskandidaten haben Besucher über das Gelände des KZ Neuengamme geführt. Warum sie zu einigen noch Kontakt haben.

Gabriele (77) und Jürgen Lapp (81) haben sich über Jahrzehnte für die KZ-Gedenkstätte Neuengamme engagiert. Meist begrüßte sie Besuchergruppen am Info-Treff im Plattenhaus und bot den Gästen rund halbstündige Einführungen in die Geschichte des Neuengammer Konzentrationslagers und seiner Nutzung in der Nachkriegszeit an. Er übernahm die Besucher anschließend und führte sie etwa zwei Stunden lang über das weitläufige Gelände.

Die Lapps engagierten sich ehrenamtlich für den Arbeitskreis kirchliche Gedenkstättenarbeit seit dessen Geburtsstunde vor 27 Jahren. Weil beide Senioren inzwischen nicht mehr so gut zu Fuß sind, haben sie mit ihrer Arbeit aufgehört. Kontakte zu Angehörigen ehemaliger KZ-Insassen pflegen sie hingegen weiterhin. Das engagierte Ehepaar ist für den Bergedorfer Bürgerpreis unserer Zeitung nominiert, der am 13. September im Bergedorfer Schloss verliehen werden soll.

Bürgerpreis-Kandidaten haben engen Kontakt zu Besuchern aus den Niederlanden

„Wir hatten gerade Besuch von einem befreundeten Ehepaar aus den Niederlanden, der Enkel eines Neuengammer KZ-Häftlings und seine Frau“, sagt Jürgen Lapp. Der Großvater des Besuchers starb im Dezember 1944 im Alter von 63 Jahren in Neuengamme. Die genauen Todesumstände sind ungeklärt.

Das Klinkerwerk im ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme. Von 1938 bis 1945 waren hier mehr 100.000 Menschen inhaftiert, von denen 50.000 unter anderem an den Folgen der Zwangsarbeit starben.
Das Klinkerwerk im ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme. Von 1938 bis 1945 waren hier mehr 100.000 Menschen inhaftiert, von denen 50.000 unter anderem an den Folgen der Zwangsarbeit starben. © picture alliance/dpa | Markus Scholz

1983 reiste ein Bus mit Angehörigen zum früheren Konzentrationslager Neuengamme, berichten die Lapps. „Damals hat eine niederländische Familie bei uns in Neuengamme gewohnt“, sagt Gabriele Lapp. „Bei unserem Gegenbesuch im gleichen Jahr lernten wir die Familie kennen, die nun gerade bei uns zu Besuch war. Seitdem sind wir eng miteinander befreundet. Wir fühlen uns als eine Familie, telefonieren viel miteinander und schreiben uns per Whatsapp.“

Die Eheleute besuchten selbst viele ehemalige Konzentrationslager

Auch ehemalige Häftlinge haben die Lapps kennengelernt, Polen und Tschechen, die sie ebenfalls beherbergten. „Von ihnen haben wir viel über die Zustände in Neuengamme erfahren, viel gelernt“, sagt Jürgen Lapp.

In den 80er- und 90er-Jahren besuchten die Eheleute selbst viele ehemalige Konzentrationslager, etwa Auschwitz-Birkenau, Treblinka und Lublin-Majdanek (alle in Polen). Jürgen Lapp: „Wir haben dort in der Regel jeweils fünf Tage gearbeitet, etwa Unkraut gejätet, geputzt oder im Archiv gearbeitet.“

Neuengammer Pastor Jürgen Köhler bereitete die Lapps vor

Die Eheleute hatten sich damals von dem ehemaligen Neuengammer Pastor Jürgen Köhler „anstiften“ lassen. Die Neuengammer Kirche hatte die Gedenkstättenfahrten gemeinsam mit dem Verein Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, einer deutschen Organisation der Friedensbewegung, organisiert.

Unser Bürgerpreis-Logo.
Unser Bürgerpreis-Logo. © BGZ | Daniel Reichstaller

Ein weiteres entscheidendes Jahr für das Ehepaar Lapp sei 1995 gewesen: Damals begannen die regelmäßigen Führungen des zu dem Zeitpunkt neugegründeten Arbeitskreises kirchliche Gedenkstättenarbeit. „Auch hier war Pastor Köhler die entscheidende treibende Kraft“, sagt Gabriele Lapp. Sie und ihr Mann blieben ihrem ehrenamtlichen Engagement ein Vierteljahrhundert lang treu. Bevor es mit den Führungen losging, wurden die Lapps in von Köhler geleiteten Seminaren auf ihre neue Aufgabe vorbereitet. Spezielle Besucherfragen wurden notiert und in einer Mappe mit den korrekten Antworten gesammelt. Dieses Büchlein, das auch Lagepläne enthielt, bekamen dann alle Guides.

Manchmal kam nur ein Besucher, ein anderes Mal ein Dutzend

Der Pool der Guides, den Leitern der Führungen, bestand aus knapp 30 Menschen aus Hamburg und Umgebung, „auch aus anderen Ehrenamtlichen, die, so wie wir, in den Vier- und Marschlanden lebten“, sagt die Seniorin. Pastor Köhler habe Guides auch aus den Besuchergruppen rekrutiert: „Er fragte besonders interessierte Teilnehmer, ob sie nicht selbst Rundgänge leiten wollen“, sagt Gabriele Lapp.

Sie und ihr Mann boten Führungen in deutscher Sprache an, andere Guides auf Englisch, Französisch oder Holländisch. „Manchmal kam nur ein Besucher, ein anderes Mal ein Dutzend“, sagt Jürgen Lapp. Die Teilnehmer seien aus der ganzen Welt angereist, etwa aus China und Japan, viele aus Dänemark.

Angebot um die sonntäglichen Geländerundgänge erweitert

Einmal habe sie einem jungen Mann ein Buch über die Morde an den Kindern vom Bullenhuser Damm, einer Außenstelle des Neuengammer Lagers, in die Hand gedrückt, erinnert sich Gabriele Lapp. „Er hatte davon nie gehört, konnte sich so etwas auch nicht vorstellen und bezweifelte den Wahrheitsgehalt dieser schrecklichen Vorgänge. Als er mir das Buch zurückgab, hatte er Tränen in den Augen.“

Das sind die bisherigen Kandidaten:

Führungen über das Gelände der Gedenkstätte habe es schon vor 1995 gegeben, betonen die Lapps, durch Mitarbeiter der Gedenkstätte. „Wir haben das Angebot um die sonntäglichen, für die Teilnehmer kostenlosen Geländerundgänge der Kirche erweitert“, sagt Gabriele Lapp.

Gabriele Lapp ist die Tochter eines französischen Zwangsarbeiters

Das Ehepaar lebt in einer Mietwohnung auf dem Gelände des Behrmann-Stifts in Bergedorf. Zuvor wohnten die Lapps in Lohbrügge und 40 Jahre in Neuengamme und Kirchwerder. Jürgen Lapp arbeitete als Fahrdienstleiter für die Deutsche Bahn in Altona, seine Frau war als ambulante Altenpflegerin für die Sozialstation Bergedorf in den Vier- und Marschlanden unterwegs.

Die 77-Jährige ist die Tochter einer Deutschen und eines französischen Zwangsarbeiters, den sie nie kennengelernt hat. Auch sein Schicksal kennt sie nicht. „Meine Mutter gab mich in eine Pflegefamilie, die mich später adoptierte.“ So wuchs sie in Süddeutschland auf, bei einer Familie, die den Nationalsozialisten „kritisch gegenüberstand“. Zu Hause sei – damals die Ausnahme – über die Verbrechen der Deutschen gesprochen worden.

Viele interessante Eindrücke gesammelt und viele gute Gespräche geführt

Jürgen Lapps Vater war Soldat, kam in russische Gefangenschaft. „Er sprach später nie darüber“, sagt der aus Hamburg stammende 81-Jährige. Als er und seine Frau 1965, ein Jahr nach ihrer Hochzeit, nach Lohbrügge zogen, war Gabriele Lapp „Neuengamme“ ein Begriff. „Deshalb sind wir hingefahren, um uns das selbst anzusehen.“

Nach ihren ehrenamtlichen Einsätzen auf dem Gedenkstättengelände seien die Eheleute – trotz der bedrückenden Geschichte des Ortes – oft zufrieden gewesen: „Wir haben dort viele interessante Eindrücke gesammelt und viele gute Gespräche geführt“, sagt Jürgen Lapp.