Hamburg. Jutta Behncken ist seit 70 Jahren Mitglied in der SPD. Einem Genossen prognostizierte sie damals die Bundeskanzlerschaft – und gewann.

Jutta Behncken ist eine zierliche Frau. Sie wirkt fast ein wenig zerbrechlich. Doch das täuscht. Die 93-Jährige ist eine Frau mit Haltung. Demokratische Werte, Gerechtigkeit, Hilfe für Schwächere, Unterstützung der Jüngsten, der Kinder. Das ist es, wofür sie steht.

Es kommt nicht von ungefähr, dass sie sich gefühlt schon ein Leben lang dafür einsetzt. Und es kommt nicht von ungefähr, dass sie sich vor nunmehr 70 Jahren eine politische Heimat gesucht hat, in der diese Werte etwas gelten: Seit 1953 ist die 93-Jährige Mitglied der SPD.

Jutta Behncken wettete mit Genosse Helmut Schmidt um eine Buddel Schnaps

Als Metin Hakverdi vor zehn Jahren in den Deutschen Bundestag gewählt werden wollte, um in Berlin auch den Wahlkreis Bergedorf zu vertreten, da stellte er sich auch bei Jutta Behncken vor. Man hatte ihm geraten, ihr besser mal guten Tag zu sagen, sich gut mit ihr zu stellen. Sonst brauche er sich in Bergedorf gar nicht wieder blicken zu lassen. Das Wort von Jutta Behncken galt etwas. Hakverdi hat es nicht nur in den Bundestag geschafft.

Der junge Sozialdemokrat und Jutta Behncken sind sehr gute Freunde geworden. Dass Jutta Behncken weit über die Grenzen Bergedorfs hinaus bekannt ist, zeigte auch ein Besuch von Saskia Esken Anfang August. Die SPD-Bundesvorsitzende war eigens aus Baden-Württemberg angereist, um die 93-Jährige für deren 70-jährige Mitgliedschaft in der SPD zu ehren.

Jutta Behncken hat im Laufe ihrer vielen Jahrzehnte in der SPD dort viele neue Freunde gewonnen. Fotografien an den Wänden der „Villa Jutta“, ihrer Gartenlaube hinter ihrer Wohnung am Norderquerweg, zeigen sie mit etlichen Genossen. Die SPD ist ihre politische Heimat, ihre politische Familie.

Als 14-Jährige kam sie nach Neuengamme

Seit 1965 lebt Jutta Behncken in Kirchwerder. Geboren und aufgewachsen ist sie in Wandsbek. „Im Krieg wurde unsere Straße ausgebombt“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich wollte schon immer aufs Land ziehen.“ Ihre Liebe zu den Vierlanden entstand bereits 1944. Damals absolvierte die 14-Jährige ihr Pflichtjahr in Neuengamme. „Damals hatten alle Hunger, und auf dem Land gab es genug zu Essen. Ich durfte auch Gemüse mitnehmen, wenn ich alle 14 Tage nach Hause nach Wandsbek fuhr.“ Das Zuhause in Wandsbek, die Landwirtschaft in Neuengamme – an beiden Orten waren zutiefst humanistisch geprägte Menschen um sie, an denen sich die junge Jutta orientierte.

Sie sollte die Kolonnen an Häftlingen, die am Hof vorbeimarschierten, um an der Erweiterung der Dove- und Gose-Elbe zu arbeiten, gar nicht sehen. Wurde dann immer extra nach hinten auf den Hof geschickt. Aber die Jugendliche sah sie doch. Und sie erinnert sich an einen merkwürdigen Geruch, der oftmals in der Luft lag. Doch er kam nicht, wie sie vermutete, von den gebrannten Ziegeln aus dem Klinkerwerk im nahen Konzentrationslager Neuengamme. Er stammte von verbrannten Knochen.

Eintritt bei den Falken im Jahr 1946

Sie sah, dass der Landwirt in Neuengamme Zwangsarbeiter beschäftigte, mit denen und über die sie nicht sprechen durfte. Sie sah aber auch, dass er und seine Frau es gut mit den Häftlingen meinten: „Sie hatten Zivilkleidung an einem Schuppen hängen, für Häftlinge, denen die Flucht aus dem Konzentrationslager gelang. Die Kleidung musste mehrfach neu aufgehängt werden.“

Gerechtigkeit, Humanität, soziales Denken. Hier erlebte die junge Jutta schon, was ihr ein Leben lang wichtig sein sollte. Erst vor wenigen Tagen stand Jutta Behncken wieder vor dem Haus, in dem sie als 14-Jährige gelebt und gearbeitet hat, sprach mit dem Enkel des Landwirts. Und sie hat sich so gefreut, dass die Familie mit ihm weiterlebt, etwas Gutes aus der schlimmen Zeit übrig geblieben ist.

Ihre Eltern und deren Geschwister waren Arbeiter, einige engagierten sich nach dem Krieg als Gewerkschafter und Sozialdemokraten. Jutta Behncken trat 1946 bei den Falken ein, einer der SPD nahestehenden Jugendorganisation. „Dort wurde gesungen und mit Jungs getanzt. Das fand ich super.“ Doch es war kein Zufall, dass sie diese Jugendorganisation wählte und keine andere. Denn dort fühlte sie sich unter Gleichgesinnten. Schon bald leitete sie die Kindergruppe der Falken.

Jutta Behncken (vorn) bei der Feier anlässlich ihrer 70-jährigen Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im SPD-Kreishaus an der Vierlandenstraße mit den Genossen (v. l.) Claudia Ehlebracht, Saskia Esken, Metin Hakverdi und Paul Kleszcz.
Jutta Behncken (vorn) bei der Feier anlässlich ihrer 70-jährigen Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im SPD-Kreishaus an der Vierlandenstraße mit den Genossen (v. l.) Claudia Ehlebracht, Saskia Esken, Metin Hakverdi und Paul Kleszcz. © SPD/Gerhard Lein

Und die Jungs bei den Falken in Wandsbek interessierten sich auch für die junge Jutta. Schließlich lernte sie dort ihren späteren Ehemann kennen.

Helmut Schmidt hatte genug von Jutta Behnckens „Kinderkram“

Über die Falken traf sie viele SPD-Mitglieder. „1953 hat ein Genosse zu mir gesagt ,Hör auf mit deinem Kinderkram und tritt mal in die SPD ein’“, erinnert sich Jutta Behncken. Dieser Genosse war kein anderer als Helmut Schmidt. „Dem konnte ich natürlich nicht widersprechen“, sagt die 93-Jährige schmunzelnd. Der spätere Hamburger Innensenator und Bundeskanzler und sie engagierten sich in der SPD-Ortsgruppe Barmbek-Nord.

„Ich sagte zu Helmut, dass er bestimmt einmal Bundeskanzler wird. Er war anderer Meinung und wir wetteten um eine Flasche Schnaps“, sagt die Seniorin. Die Wette geriet über Jahrzehnte in Vergessenheit, bis sich Jutta Behncken vor zehn Jahren daran erinnerte – und prompt eine Flasche Aquavit vom Altkanzler nach Kirchwerder geschickt bekam.

Eine engagierte Frau, die nicht viel Aufhebens um sich macht

Jutta Behncken ist keine Frau, die in vordere Ämter drängt oder viel Aufhebens um sich und ihre Verdienste macht. Eine politische Karriere hat sie nie interessiert. Sie hat lieber einfach dort gewirkt, wo sie war, hat ihr Möglichstes gegeben. Und das war nicht wenig. Sie engagierte sich als Betriebsratsvorsitzende und Gewerkschafterin, war im Arbeitskreis Sozialdemokratischer Frauen und später im Bergedorfer Seniorenbeirat aktiv, wo sie beim Erstellen des ersten Seniorenführers für Hamburg mitwirkte. Doch das Wohl von Kindern lag und liegt Jutta Behncken immer besonders am Herzen.

Nicht nur ihren eigenen drei Kindern hat sie ihre Werte von Gerechtigkeit und sozialem Handeln vermittelt. Sie lebt dieses Leben auch für andere. Mit viel Liebe hat sie viele SPD-Kinderfeste am Gleisdreieck in Kirchwerder mitorganisiert. Die gelernte Herrenschneiderin näht auch gern kleine, bunte Taschen und Kuschelkissen, die sie an geflüchtete Kinder und Nachwuchs aus der Nachbarschaft verschenkt. Es soll den Kindern einfach gut gehen. Das ist ihr wichtig.

Und so hat sie auch nie von dem „Kinderkram“ gelassen, über den Helmut Schmidt einst so spottete. Denn bei den Falken ist Jutta Behncken sogar noch länger eingetragenes Mitglied als bei der SPD – nämlich seit 77 Jahren.