Bergedorf. In „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ ordnen Branchenexperten aktuelle Themen ein. Heute: Perspektiven für die Sportstadt Hamburg.

In knapp einem Jahr wird in Marseille das olympische Feuer aus Griechenland erwartet. Von der französischen Mittelmeerküste wird das Feuer nach Paris getragen – an den Austragungsort der Olympischen Spiele 2024. Statt der französischen Hauptstadt hätte auch Hamburg das Ziel der Flamme sein können. Doch die Bewohnerinnen und Bewohner der Hansestadt wollten es anders – und stimmten Ende 2015 in einem Volksentscheid mehrheitlich gegen Olympia an Alster und Elbe.

„Natürlich schmerzt das“, gibt Christoph Holstein zu. Der 60-Jährige ist seit 2015 Staatsrat für den Bereich Sport in der Behörde für Inneres und Sport und hatte sich im Jahr seines Amtsantritts sehr für die Olympia-Bewerbung Hamburgs engagiert. Doch wer ein wahrer Sportsmann ist, der ist auch ein fairer Verlierer: „Es war eine demokratische Mehrheitsentscheidung. Und das ist in unserem Kulturkreis so, dass man das akzeptiert – ob es einem passt oder nicht.“ Und er sieht auch eigene Fehler ein: „Es ist uns nicht mal gelungen, den gesamten organisierten Sport hinter die Bewerbung beziehungsweise zu den Referendumsurnen zu kriegen, sonst hätte es gereicht“.

Serie „Punkt 11“: Bewirbt sich Hamburg noch einmal für Olympia?

Abhaken laute heute die Devise. Und doch scheint Olympia für Hamburg nicht final vom Tisch zu sein. Erst im Dezember zeigte sich Bürgermeister Peter Tschentscher offen der Idee gegenüber, dass sich Hamburg gemeinsam mit anderen Städten um Olympische Sommerspiele bewerben könnte. Doch braucht es wirklich solche sportlichen Großveranstaltungen in der Stadt? Haben sie einen Effekt auf den Breitensport? Oder gibt es in den Vereinen gerade nicht ganz andere Herausforderungen, die es zu meistern gilt?

Darüber diskutierte Sportstaatsrat Holstein beim einstündigen Gedankenaustausch in der Reihe „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ in den Redaktionsräumen der Bergedorfer Zeitung. Mit ihm in der Runde: Thomas Niese, Geschäftsführer des Sportclubs Vier- und Marschlande (SCVM), Tobias Grosse, Vize-Vorsitzender der TSG Bergedorf, Heiner Zwiebelmann, Vorsitzender des Sportvereins Nettelnburg/Allermöhe (SVNA), Sebastian David, Vorsitzender der Turn- und Sportvereinigung (TSV) Reinbek sowie Kai Abel und Martin Kirmse von der Football-Abeteilung „Hamburg Swans“ der TSG Bergedorf.

Infrastruktur hat noch Steigerungspotenzial

Die Vereinsvertreter sind sich einig: Olympia hätte dem Breitensport etwas bringen können. Nämlich dann, wenn in neue Sportanlagen und vor allem Trainingsstätten investiert worden wäre. „Das wäre ein riesengroßer Zugewinn gewesen“, ist Tobias Grosse überzeugt. Denn an der Sportinfrastruktur krankt es vielerorts, wie in dem Gespräch mit den Vereinsvertretern schnell deutlich wird: Wie beim Hockey, wo im Bezirk Bergedorf keine Lösung für einen neuen Hockeyplatz in Sicht sei. „Dabei habe ich gerade erst gelesen, Hamburg sei Hockey-Hauptstadt Deutschlands. Bergedorf wird da nicht zugehören“, stellt der TSG-Vizegeschäftsführer fest.

Austausch zum Thema Sport in Hamburg: Thomas Niese (v. l.), Heiner Zwiebelmann und Christoph Holstein.
Austausch zum Thema Sport in Hamburg: Thomas Niese (v. l.), Heiner Zwiebelmann und Christoph Holstein. © BGDZ | Jan Schubert

Und auch beim American Football gebe es in der Stadt großen Bedarf, wie Kai Abel, Abteilungsleiter der Abteilung American Football der TSG Bergedorf, feststellt. Schließlich boomt die Sportart mittlerweile auch hierzulande: War sie vor einigen Jahren noch ein US-Phänomen, zieht sie heute auch in Deutschland mitten in der Nacht Millionen vor die Fernseher, wenn in den USA um den Superbowl gespielt wird.

American Football zieht immer mehr Zuschauer an

In Bergedorf lockte die Sportart die größte Kulisse ins Stadion, die es bei einem Mannschaftssport-Ereignis in den vergangenen Jahren gegeben hat. Mit 1000 Anwesenden wurde die offizielle Zuschauerzahl angegeben, als die „Swans“ im Oktober in die Regionalliga aufstiegen. Allerdings fehle es in Hamburg an einer geeigneten Spielstätte, ist Kai Abel überzeugt und denkt dabei vor allem an das ranghöchste Team der Stadt, die Hamburg Sea Devils.

Für ihr erstes Heimspiel im Volksparkstadion im Juni waren schon im April mehr als 20.000 Tickets verkauft. Die übliche Spielstätte im Stadion Hoheluft sei hingegen keinesfalls für die Sportart geeignet: „Das Stadion ist für Fußball gemacht. Da hat man einen Zaun vor der Nase, und die meisten Zuschauer müssen das Spiel gut drei Stunden im Stehen verfolgen, das schafft man ab einem gewissen Alter nicht mehr“, erklärt Swans-Pressewart Martin Kirmse. Aus Sicht der Footballer fehle in Hamburg also eine passende Spielstätte, wo man etwa 12.000 begeisterte Fans unterbringen kann, so Kai Abel.

Möglichst viele Disziplinen an einer Sportstätte unterbringen

Doch nicht nur der Football, auch andere Disziplinen haben kein eigenes Stadion: Die Entscheidung, auf die Leichtathletik im Volksparkstadion zu verzichten, sei ganz klar ein Fehler gewesen, stellt Holstein fest. Heute fehlt so ein Wettkampfort für Sprints, Langlauf oder Weitsprung in der Stadt. Doch deshalb ein Stadion für die Leichtathletik zu bauen, das vielleicht dreimal im Jahr genutzt wird, das werde nicht hinhauen, so Holstein. Zumal es nicht so sei, dass in der Stadt unendlich viele Flächen ungenutzt rumliegen.

Den Ruf nach „Wir brauchen mehr“ könne er vollkommen nachvollziehen. Aber in dem Moment, in dem der vorhandene Raum nicht optimal genutzt wird, sei die Forderung nach mehr schwer zu begründen. „Wir werden es uns künftig nicht leisten können, eine Infrastruktur zu haben, die nur bis zu 65 Prozent genutzt wird und sonst rumliegt“, ist Christoph Holstein überzeugt. Da müssten wohl auch noch mehr Kontrollen her: „Wenn wir rauskriegen, dass jemand die angemeldeten Zeiten nicht nutzt, dann werden wir sagen, wir nehmen sie euch weg“, erklärt der Staatsrat. Wichtig sei, eine Infrastruktur zu schaffen, die so flexibel wie möglich ist und auf der unterschiedliche Sportarten untergebracht werden können.

Viele Übungsleiter gingen in der Pandemie verloren

Sportstätten, die eine Multifunktionalität haben, würde sich auch Tobias Grosse wünschen. Die bezirkliche Sportanlage am Mittleren Landweg mit Einfeldhalle und Gymnastikraum sei ein gutes Beispiel dafür, um unterschiedliche Bedarfe zu erfüllen. Vor allem Bewegungsflächen seien immer mehr gefragt: So eine vereinseigene Fläche hatte der SCVM im vergangenen Jahr eröffnet und das habe einen wahren Ansturm zur Folge gehabt, wie Geschäftsführer Thomas Niese berichtet.

Vize-Vorsitzender der TSG Bergedorf Tobias Grosse.
Vize-Vorsitzender der TSG Bergedorf Tobias Grosse. © BGDZ | Jan Schubert

Seniorinnen und Senioren würden das lieben ebenso wie Kinder. In der Altersgruppe könne der Verein den Bedarf aus Kapazitätsgründen gar nicht abdecken und müsse auf Wartelisten verweisen – leider, wie der Geschäftsführer betont. Denn während die Vereine mittlerweile also wieder Mitgliederzahlen auf oder sogar über Vor-Pandemie-Niveau verzeichnen, fehlt es nun ganz klar an Trainerinnen und Trainer.

Und damit steht der SCVM bei Weitem nicht allein da: „Auch wir könnten unser Angebot hochfahren, aber es gibt nicht genug Übungsleiter“, stellt Sebastian David von der TSV Reinbek fest. Sich ehrenamtlich in einem Verein zu engagieren sei heute längst nicht mehr so verbreitet wie noch zu früheren Zeiten, wo es „für das eigene Standing“ dazugehörte, weiß auch Christoph Holstein. Hinzu komme, dass in der Corona-Pandemie viele ausgestiegen und danach nicht mehr zurückgekehrt sind. „Das ist ein Problem, da müssen wir ran“, stellt der Staatsrat fest.

Anreize schaffen für ehrenamtliches Engagement

Doch wo ansetzen? Schließlich sei der Druck größer geworden nebenbei auch was zu verdienen, ist Holstein sich bewusst. Das erlebt auch Heiner Zwiebelmann: Es gebe immer mehr Leute, die ein Engagement nicht mehr als Ehrenamt, sondern als Job zum Geld verdienen sehen und wenig Bindung zum Verein haben, so der SVNA-Vorsitzende. Tobias Grosse hält es auch für völlig legitim, dass Übungsleiter ihre Arbeit nicht zwangsläufig freiwillig leisten müssen, sondern dafür auch vernünftig vergütet werden.

Könnte also eine Ehrenamtskarte, wie andere Bundesländer es bereits praktizieren und mit der es allerlei Vergünstigungen im Alltag gibt, höhere Anreize schaffen, sich ehrenamtlich zu engagieren? Oder auch Kooperationen mit Schulen, wo ein Sportprofil in der Oberstufe mit einem Übungsleiterposten im Verein gekoppelt wird? Diesen Ansatz habe die TSV Reinbek bereits verfolgt, doch sei es auf Dauer nicht nachhaltig, weil viele junge Leute nach dem Abi die Region zum Studieren verlassen, meint Sebastian David.

Teenager bleiben seit Corona den Sportvereinen fern

Die Frage, wie man das Engagement „vergüten“ kann, ohne den Gedanken von Ehrenamt völlig auf den Kopf stellt, sei eine Frage, über die man sich Gedanken machen muss, ist auch Christoph Holstein überzeugt. „Ich kann immer nur sagen, wenn ich eine Bewerbung auf den Tisch kriege, dann gucke ich mir das an. Egal, ob die Leute eine Eins haben oder nicht. Darum geht es nicht zentral, sondern ob sie Sozialkompetenz haben und in das Team passen“, stellt der Sportstaatsrat fest.

Nicht nur Übungsleiter gingen in der Pandemie verloren, sondern auch eine bestimmte Altersgruppe: „Gerade die 13- bis 19-Jährigen sind nach Corona verschwunden“, berichtet Kai Abel. Man sehe sie nach der Schule nicht mehr auf der Straße oder gar im Verein. Stattdessen würden sie alle zu Hause hängen. „Wir müssen gucken, wie wir die Kids und Jugendlichen wieder für den Sport begeistern“, appelliert Abel. Doch wie kann das gelingen? Auf noch recht neue Formate wie E-Sports wollen die lokalen Vereine zumindest nicht setzen. Denn etwas anzubieten, was die Leute zu Hause machen und dafür auch noch Mitgliedsbeiträge zu verlangen, sei schwierig, meint Sebastian David.

Energiekrise ist riesengroße Herausforderung für die Vereine

Das Thema E-Sports sei auch im SCVM lang und breit diskutiert worden, erklärt Thomas Niese. Auch wenn dabei Hochleistung im Kopf gefordert werde, habe das doch mit Bewegung und einer gesunden Körperhaltung nichts zu tun. „Wir wollen die Kids von den Kisten wegkriegen, und deswegen bieten wir es auch nicht an“, so der Geschäftsführer. Auch wenn ihnen als wichtigstes Argument präsentiert wurde, dass damit viel Geld zu verdienen sei, gelte das nicht für den Breitensport. Viel mehr wäre es mit Kosten verbunden, die Infrastruktur mit den neuesten Prozessoren und Videowänden zu stellen, damit Leute zugucken können. „Damit können wir uns nicht anfreunden“, stellt Heiner Zwiebelmann fest.

Sebastian David und Kai Abel beim Austausch im Konferenzraum der bz-Redaktion.
Sebastian David und Kai Abel beim Austausch im Konferenzraum der bz-Redaktion. © BGDZ | Jan Schubert

Schließlich müssen die Vereine nicht nur die Spätfolgen von Corona bewältigen: Die zweite wirtschaftliche Herausforderung folgte mit dem Krieg in der Ukraine und den dadurch gestiegenen Energiepreisen leider auf dem Fuß, wie Tobias Grosse weiß. Mit Umrüstung auf LED, Reduzierung von Saunazeiten oder dem Drosseln der Temperatur in Hallen, Duschen oder auch Schwimmbecken hätten die Vereine reagiert. Wenn dann aber die Zufriedenheit der Mitglieder schwindet, weil die Kinder im Lehrschwimmbecken blaue Lippen bekommen, könne das auch nicht die Lösung sein. „Deswegen haben wir manches auch wieder nach oben korrigiert“, erklärt Tobias Grosse. Durch den Energiehilfefonds, den die Stadt mit dem Hamburger Sportbund aufgesetzt hat, sieht der TSG-Mann die Kosten bis zum nächsten Frühjahr gut gedeckelt. „Aber wie das perspektivisch wird, wird man sehen. Es bleibt aus meiner Sicht eine Herausforderung für die Sportvereine.“

Sportevents als Anstoß für sportliches Engagement

Sportliche Events könnten eine Chance sein, Menschen wieder für den Sport zu begeistern. „Unsere Erfahrung ist, dass Großveranstaltungen das Potenzial haben, sich positiv auf die entsprechende Disziplin hier am Standort auszuwirken“, stellt Christoph Holstein fest. Ein schönes Beispiel sei der Triathlon, der schon seit einigen Jahren einen festen Platz rund um die Alster hat und bei dem in diesem Sommer sogar die Weltmeisterschaft in Hamburg ausgetragen wird. Mittlerweile gründen Vereine Triathlonsparten, weil immer mehr Leute das machen wollen, stellt der Staatsrat fest. Und auch bei Taekwondo und Karate würden die Mitgliedszahlen steigen, seit die German Open in der Alsterdorfer Sporthalle ausgetragen werden.

„Die Möglichkeit Sport zu erfahren, sich von Sport begeistern zu lassen und dabei zu sein, kann dazu führen, dass der Zuschauer sagt: Okay, ich will jetzt auch“, ist Christoph Holstein überzeugt. Man wolle sich also nicht um irgendeine Veranstaltung bewerben, die dann für ein paar Tage wie ein Ufo in die Stadt geschwebt kommt und danach wieder effektlos verschwindet, erklärt Holstein. Sondern vielmehr „um die Sachen kümmern, von denen wir glauben, dass sie hier eine Wirkung haben“.

Hat Olympia seinen gesamten Glanz verloren?

Könne das auch für Football gelten? Schließlich feierte die US-amerikanische Profiliga NFL (National Football League) im vergangenen Jahr ein Gastspiel in München. „Wir haben Interesse, weil wir auch sehen, dass es boomt“, stellt Christoph Holstein fest. Aber auch das sei eine Frage des Geldes, und die Stadt sei nicht bereit, Unsummen zu zahlen, damit die NFL in Hamburg gastiert. Und auch vom Gedanken am olympischen Feuer an der Elbe will sich der Staatsrat noch nicht lösen. Denn wenn man den Anspruch habe, eine Stadt zu sein, in der Sport eine besondere Rolle spielt, dann könne man nicht per se sagen, dass man sich nicht für Olympia interessiere.

Aus Sicht von Sebastian David hätten die Olympischen Spiele allerdings immer mehr an Glanz verloren, weil Skandale statt des Sports in den Vordergrund gerückt seien. Aus seiner Sicht gebe es andere Formate wie die Finals in Berlin oder auch European Games in München, die attraktiv für eine TV-Übertragung sind und Sportarten in den Fokus rücken, die sonst nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Christoph Holstein ist dennoch überzeugt, dass man es erneut mit Olympia probieren kann, wenn auch nicht um jeden Preis. Schon die Ideen für 2024 seien in die Richtung gegangen, dass es nachhaltig sein soll. Nun könnte man konkrete Vorstellung entwickeln, was hier möglich wäre. Wenn das dann den Entscheidern nicht gefalle, hätte man aber auch die Freiheit zu sagen: Nein.

bz-Redakteurin und Gastgeberin der Runde Lena Diekmann mit Thomas Niese, Heiner Zwiebelmann und Christoph Holstein.
bz-Redakteurin und Gastgeberin der Runde Lena Diekmann mit Thomas Niese, Heiner Zwiebelmann und Christoph Holstein. © BGDZ | Jan Schubert

Zu „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ kommen in loser Folge – aber immer um elf am Vormittag – Experten jeweils einer Branche in unsere Redaktionsräume in der Chrysanderstraße 1 in Hamburg-Bergedorf, um sich über wichtige Themen der Gegenwart auszutauschen. In der nächsten Folge dieser Serie geht es um das Thema Abfallentsorgung und Recycling.

Bisher in der Serie „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ erschienen: