Hamburg. Geschäftiges Treiben im Park an der Erlöserkirche. Auslöser sind der berühmte Pastor Marnitz und sein heute 86-jähriger Enkel.

Manchmal jätet er bei Heinz Erhard oder mäht bei James Last. Aber auch Uwe Seeler, Jan Fedder und Helmut Schmidt werden von ihm liebevoll gepflegt: Seit 30 Jahren ist Stefan Polke Friedhofsgärtner in Ohlsdorf. Dass er sich auch noch in seiner Freizeit auf einem Begräbnisplatz herumtreibt, hat einen anderen Grund: Der Lohbrügger engagiert sich ehrenamtlich für den Erhalt des historischen Friedhofs rund um die Lohbrügger Erlöserkirche. Das gut zwei Hektar große Gelände wurde zum 100-jährigen Bestehen in einen öffentlichen Park umgewandelt, beerdigt wird hier seit 1972 niemand mehr.

Reichlich Wildwuchs und riesige Rhododendron-Büsche müssen zurückgeschnitten, leider oft auch Hundehaufen beseitigt werden. Jeden ersten Sonntag um 11 Uhr arbeitet auch seine Mutter Ute mit, dazu Ursula Dau und ihr Lebensgefährte Sebastian Wirth. Das Kleeblatt freut sich über weitere Helfer, denn es gibt genug zu tun: Derzeit werden 20 Rosensträucher zwischen die verwitterten Grabsteine gepflanzt.

Schrift unleserlich, von Efeu überwuchert

Die nämlich hat Heinz-Ludwig Marnitz spendiert, ein Enkel von Ludwig Marnitz, nachdem gleich nebenan eine Straße benannt ist: 43 Jahre lang (1892 bis 1935) war er der erste Pastor der eigenständig gewordenen Kirchengemeinde zu Sande. Unter seiner Regie entstand 1897/99 die Erlöserkirche. Zuletzt indes war sein Grab verkrautet, die Schrift unleserlich, von Efeu überwuchert. „Jetzt ist alles wieder hübsch“, freut sich der 86-jährige Enkel und erzählt eine rührende Familiengeschichte, die er indes etwas mühsam herausfinden musste.

Die neogotische Erlöserkirche steht direkt an der Marnitzstraße, benannt nach ihrem ersten Pastor, der für den Bau 30.000 Ziegel von den örtlichen Ziegeleibetrieben gespendet bekam. 
Die neogotische Erlöserkirche steht direkt an der Marnitzstraße, benannt nach ihrem ersten Pastor, der für den Bau 30.000 Ziegel von den örtlichen Ziegeleibetrieben gespendet bekam.  © bgz | Anne Strickstrock

Der Name Ludwig Marnitz steht auf dem großen Grabkreuz, aber das verwirrt: „Das war der erste Sohn des Pastors. Der Gymnasiast ist mit 18 Jahren an einer Splitterverletzung im Ersten Weltkrieg gestorben“, weiß der Mann. Er selbst stammt von dem zweiten Pastorensohn ab: Diakon Heinz Marnitz. „Allerdings kann ich mich an meinen Vater kaum erinnern, der war bloß im Fronturlaub mal da.“ Das immerhin reichte, um drei Söhne zu zeugen: Heinz-Ludwig, der Musikprofessor wurde und seine jüngeren Brüder Horst (Kirchenmusiker) und Siegfried (Jurist).

Ludwig Marnitz predigte zunächst im Saal des Gasthauses „Schwarzer Walfisch“, bevor er den Bau von Gotteshaus und Friedhof veranlasste. Zwischen 1893 und 1897 unterstützte die Bevölkerung und vor allem der Fabrikbesitzer Wilhelm Bergner das Bauvorhaben großzügig. Es kamen über 80.000 Mark an Spenden zusammen.
Ludwig Marnitz predigte zunächst im Saal des Gasthauses „Schwarzer Walfisch“, bevor er den Bau von Gotteshaus und Friedhof veranlasste. Zwischen 1893 und 1897 unterstützte die Bevölkerung und vor allem der Fabrikbesitzer Wilhelm Bergner das Bauvorhaben großzügig. Es kamen über 80.000 Mark an Spenden zusammen. © bgz | Privat

Dass alle drei Jungs Abitur ablegen und studieren konnten, hat einen besonderen Hintergrund. 1943 starb der Lohbrügger Pastor und hinterließ seine pflegebedürftige Ehefrau Anna. Die wurde sodann liebevoll von ihrer Schwiegertochter Annemarie Marnitz aufgenommen. Denn „als mein Vater 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft starb, war meine Mutter Annemarie mit nur 32 Jahren Witwe und stand mit drei Söhnen allein da“. So hat sie eben Ihre Schwiegermutter gepflegt und im Gegenzug half deren gute Witwenrente.

Witwe Annemarie Marnitz mit ihren drei Söhnen Heinz-Ludwig (r.), Horst und Siegfried. Sie wuchsen in Rotenburg an der Wümme auf, wo der Vater vor dem Krieg als Diakon in den Heil- und Pflegeanstalten arbeitete.
Witwe Annemarie Marnitz mit ihren drei Söhnen Heinz-Ludwig (r.), Horst und Siegfried. Sie wuchsen in Rotenburg an der Wümme auf, wo der Vater vor dem Krieg als Diakon in den Heil- und Pflegeanstalten arbeitete. © bgz | Privat

Eine Verbundenheit zu Lohbrügge hat er bis heute, obwohl Heinz-Ludwig Marnitz längst in Berlin wohnt, nachdem er Klavier und Dirigent studiert hatte, zuletzt an der Universität der Künste lehrte. Bei seinem jüngsten Spaziergang im Park war er jedoch erschrocken, weil das Familiengrab so verwahrlost aussah: „Unter Efeu entdeckte ich noch eine Grabplatte, die aber von Vandalen zerstört war. Zum Glück hat die Kirche die Bruchstücke auf dem Dachboden gelagert. Jetzt konnte ich sie wieder zusammensetzen lassen. Und darüber freut sich wiederum mein Sohn Robert, der Pfarrer in Cottbus ist“, erzählt der Senior.

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Für seinen Großvater jedoch, den berühmten ersten Pastor, ließ er vom Steinmetz eine neue Grabplatte aus Granit anfertigen, „mit der alten Schrift“, betont er. Da indes muss der Steinmetz noch nachbessern: Versehentlich steht als Todesjahr 1945 statt 1943 drauf. Aber das kleine Malheur soll spätestens am Sonntag nach Pfingsten behoben sein, denn „dann haben wir Familientreffen in Lohbrügge“, sagt der 86-Jährige. Dann kann er nicht nur die inzwischen hübsche Erinnerungsstätte an seinen Vater und Großvater betrachten. Sondern auch das vor einem Jahr frisch renovierte Mausoleum, das sich Wilhelm Bergner, der Gründer der Bergedorfer Eisenwerke, im Jahr 1900 erbauen ließ – fünf Jahre vor seinem Tod.