Hamburg. 1966 erschüttert ein spektakulärer Kriminalfall ganz Hamburg: Ein biederer Polizeibeamter führte ein kriminelles Doppelleben.

Das Jahr 1966 sollte ein Fußball-WM-Finale mit einer bis heute umstrittenen Schiedsrichterentscheidung bringen. Die Regierung von Ludwig Erhard (CDU), Vater des Wirtschaftswunders, sollte stürzen. Die seit zwei Jahren in Vietnam kämpfenden US-Truppen würden weiterhin die Schlagzeilen dominieren, genau wie die weiter mit erschütternder Regelmäßigkeit abstürzenden Starfighter-Jets der Bundeswehr. Doch zum Jahresbeginn beschäftige die Bergedorfer zunächst ein Kriminalfall, dessen Täter direkt vor der Haustür lebte.

Am 3. Januar gegen 8.20 Uhr betrat ein Mann eine Bank in Delmenhorst und bat die Angestellten, einen Tausendmarkschein zu wechseln. Plötzlich hechtete er über den Tresen, zückte eine Pistole und verlangte Bargeld von den Kassierern. Als der Räuber seine Beute einsammelte, nahm einer der Bankmitarbeiter sein Herz in beide Hände, stürzte sich auf den Bewaffneten und prügelte ihn zu Boden. Kollegen eilten ihm zu Hilfe, und gemeinsam überwältigten sie ihren Gegner. Als Polizisten den schwer verletzten Bankräuber ins Lazarett brachten, röchelte er ihnen laut Bergedorfer Zeitung entgegen: „Wenn ich auspacke, werden euch die Augen übergehen“.

150 Jahre bz: Bergedorfer Polizist Hugo Alffcke entpuppte sich 1966 als Bankräuber

Tatsächlich sollte der Fall gehörig Wellen schlagen, denn die Beamten identifizierten den Verletzten rasch als einen Kollegen – den 51-jährigen Polizisten Hugo Alffcke aus Bergedorf. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung am Gojenbergsweg und seines Schrebergartenhäuschens fanden die Ermittler Waffen, Nummernschilder und Stadtpläne. Vorher hatten sie bereits festgestellt, dass der in der Bank übergebene Tausendmarkschein aus einem anderen Überfall in Bad Oeynhausen stammte. Noch war der schwer verletzte Alffcke nicht vernehmungsfähig, doch die Bergedorfer Zeitung äußerte bereits einen dramatischen Verdacht: War der Polizeibeamte nicht nur ein Bankräuber, sondern auch der berüchtigte Räuber und Mörder „Spitznase“, der bei einem Überfall im Jahr 1959 in Hamburg drei Menschen erschossen hatte?

Hugo Alffckes Verhaftung schlug hohe Wellen in Bergedorf.
Hugo Alffckes Verhaftung schlug hohe Wellen in Bergedorf. © Bergedorfer Zeitung | Julian Willuhn

Zwar hatte Alffcke für zwei Überfälle, die „Spitznase“ zugeschrieben wurden, kein Alibi, die Polizei bemühte sich aber, die Theorie zu entkräften, bezeichnete den Serienräuber „Spitznase“ sogar als Erfindung der Presse, wie die bz am 5. Januar berichtete. Im Laufe der Ermittlungen sollte sich herausstellen, dass Alffcke tatsächlich nie einen Schuss aus seiner Pistole abgegeben hatte. Die Taten in Hamburg bestritt er stets hartnäckig, obwohl er ansonsten freimütig ein umfassendes Geständnis ablegte. Eine handfeste Sensation war der Fall trotzdem.

Der verheiratete Polizeibeamte räumte zehn Banküberfälle, zwei Einbrüche in Juweliergeschäfte und vier Autodiebstähle ein. 250.000 DM erbeutete er - die Polizei konnte davon noch fast 59.000 Mark sicherstellen - und gab als Motiv Schulden durch Ratenzahlungen an. Der 51-Jährige lebte mit seiner Frau und drei Kindern in einer bescheidenden Wohnung und fuhr Gebrauchtwagen, die er häufig wechselte.

Hugo Alffcke gestand seine Taten und wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt

Politik und Polizei in Hamburg bemühten sich mit Nachdruck, Alffcke als schwarzes Schaf in einer ansonsten vorbildlichen Behörde darzustellen. „Man kann nie ausschließen, dass es unter 9000 Menschen (so viele Polizeibeamten taten zu dieser Zeit in Hamburg Dienst) nicht einen gibt, der nichts taugt“, zitierte die Bergedorfer Zeitung am 5. Januar den Sekretär der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Dessen CDU-Kollege ergänzte gegenüber der Presse: „Lumpen gibt es in jedem Kleide“.

Das Interesse der Bevölkerung an dem Fall war groß, und am 10. Januar schilderte die Bergedorfer Zeitung in einem Artikel mit dem Titel „Beinahe wie eine Sippenhaft“, wie neugierige Nachbarn vor dem Haus, in dem die Familie wohnte, „lange Hälse“ machten und bereitwillig den Journalisten schilderten, dass Alffcke durchaus einen aufwendigen Lebensstil gepflegt und „rauschende Familienfeste“ feierte.

Aus heutiger Sicht fällt auf: Auch unsere Zeitung nannte den Täter und auch seine Frau sofort bei vollem Namen und veröffentlichte in fast jedem Artikel sein Foto - noch bevor er rechtskräftig verurteilt wurde. Eben dieses Urteil fiel dann schnell und in einem unspektakulären Prozess. Alffcke blieb bei seinem umfassenden Geständnis und wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Reporter der bz beschreibt den Bankräuber vor Gericht als „korrekt, bieder und fast teilnahmslos.“

Der üble Geruch aus Fabriken belästigte die Bergedorfer - gesundheitsschädlich war er aber angeblich nicht.
Der üble Geruch aus Fabriken belästigte die Bergedorfer - gesundheitsschädlich war er aber angeblich nicht. © Bergedorf Zeitung | Julian Willuhn

Deutlich emotionaler äußerten sich die Kollegen am 16. Februar 1966 in einem weniger prominenten Kriminalfall. Unter der Überschrift „Auch Nachbarn zittern vor der bösen Oma aus der Holtenklinker Straße“, berichtete die bz von der 74-jährigen Hedwig Bartoczek, die schon im Januar ihren Mieter mit Säure attackiert hatte. Das Opfer erblindete durch die Attacke der „unberechenbaren Greisin“, wie die Bergedorfer Zeitung die Seniorin nannte und verließ gemietete Wohnung. Als im Februar dann eine Bekannte vor Ort nach dem Rechten sehen wollte, „schlich sie sich aus einer dunklen Ecke des Wohnzimmers an“ und schlug mit einem Schlüsselbund auf die Frau ein. „Es dürfte ziemlich einmalig sein, daß eine alte Frau sich in ihrem bitteren Hass soweit hinreißen läßt, auch vor Attentaten und Überfällen nicht zurückzuschrecken“, schrieb die bz und forderte das rasche Einschreiten der Sozialbehörden.

Stinkende Luft belastet die Bewohner von Bergedorf

Nicht nur kriminelle und gewalttätige Mitbürger trieben den Bergedorfern 1966 Sorgenfalten auf die Stirn. In der zweiten Jahreshälfte thematisierte die bz ein anderes Problem – die übelriechende Luft im Bezirk. Dabei waren einst die reichen Hamburger gerade nach Bergedorf gezogen, um tief durchzuatmen. Zwar beruhigte das Gesundheitsamt die Bevölkerung am 8. Oktober: Die „penetranten Phenol-Gerüche“ seien nicht gesundheitsschädlich. Die als Verursacher ausgemachten Betriebe in Bergedorf und Glinde, deren Namen unsere Zeitung nicht nennen wollte, hätten der Politik zudem rückgemeldet, dass sie „kostspielige Kondensatoren“ und „katalytische Nachverbrennungsöfen“ eingebaut hätten, um den stinkenden Schwaden Herr zu werden. Die Beschwerden aus der Bevölkerung rissen dennoch nicht ab.

Im Dezember griff die bz dann eine zweite Quelle für schlechte Luft auf, die noch besorgniserregender war. Schleusengraben und Bille waren auf dem Weg, sich in „stinkende Kloaken“ zu verwandeln. Caesar Meister, Präses der Hamburger Baubehörde, erklärte bei einem Vortrag in Bergedorf, dass man der „Abwässer nicht mehr Herr werde“. Ein Gutachten bezeichnete die Bille als „stagnierendes und fauliges Gewässer“, seit in der Nähe der Autobahn ein kleines Sperrwerk gebaut worden war. Eine technische Lösung sei ein starke Druckrohrleitung zur Dove-Elbe, um den Schleusengraben zu entlasten. Meister betonte jedoch: „Das wird mit ungeheuren Kosten verbunden sein, die in Zukunft kaum zu verkraften sind“.

Das Neubaugebiet Lohbrügge-Nord aus der Luft. Die fehlende Infrastruktur sorgte für Kritik.
Das Neubaugebiet Lohbrügge-Nord aus der Luft. Die fehlende Infrastruktur sorgte für Kritik. © Jürgen Joost | Juergen Joost

Der neue Stadtteil Lohbrügge-Nord war 1966 noch nicht fertiggestellt. Die Menschen, die bereits in der Siedlung lebten, kritisierten die Situation in der Bergedorfer Zeitung aber scharf. Im April beklagten Familien gegenüber der Presse fehlende Spiel- und Bolzplätze. Auch Handwerker und Einkaufsmöglichkeiten waren nicht in ausreichendem Maß zu finden. Bezirksamtsleiter Wilhelm Lindemann erklärte die Planung des neuen Viertels für verfehlt. Die Bergedorfer Zeitung titelte am 14. Mai: „Wer will den Menschen in Lohbrügge-Nord das Schimpfen verübeln?“, und kommentierte schließlich: „Hamburgs modernster Stadtteil ist ein Torso, dem wichtige Glieder fehlen“.

Der Jazz-Trompeter und Schlagersänger Billy Mo wird Deutscher

Die austreibenden Bäume und Sträucher in den neuen Grünanlagen ließen Lohbrügge-Nord mit dem Beginn des Sommers immerhin nicht mehr so sehr wie eine öde Steinwüste aussehen, wie die bz in ihrer Pfingstausgabe schilderte. Am 3. August konnte unsere Zeitung dann vermelden: „Endlich erstes Kindertagesheim für Lohbrügge-Nord“. Und am 11. August begannen die Bauarbeiten für ein neues Ladenzentrum. Zum Jahresende titelte das Blatt angesichts eines Sachstandsberichts des Bezirksamts schon versöhnlicher: „Lohbrügge-Nord bleibt Zeugnis imponierender Bauleistungen“. In Sachen Grünplanung und bei den Ladengeschäften blieben jedoch weiter viele Fragen offen.

Mit dem Song „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“ wurde Billy Mo berühmt. Das Foto zeigt ihn im Jahr 1997.
Mit dem Song „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“ wurde Billy Mo berühmt. Das Foto zeigt ihn im Jahr 1997. © Bergedorf | Nestor Bachmann

1966 war auch das Jahr, in dem die Bergedorfer quasi in Echtzeit miterleben konnten, wie der damals in Lohbrügge lebende Jazz-Trompeter und Schlagersänger Billy Mo auch auf dem Papier zum Deutschen wurde. Im Februar trat der Sänger von „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“ im Fernsehen auf und konnte in einer Home-Story verkünden, dass er ab April seit zehn Jahren in der Bundesrepublik lebe und somit die Einbürgerung beantragen könne.

Ein wichtiger Schritt zur Integration in die deutsche Nachkriegsgesellschaft folgte im Frühjahr: Am 9. Mai konnte die Bergedorfer Zeitung verkünden: „Billy Mo wurde Mitglied der Bergedorfer Schützengesellschaft“. Der aus Trinidad stammende schwarze Musiker schlüpfte also in den grünen Rock eines Schützenbruders. Am 8. Juli war es dann endlich so weit. Der bürgerlich eigentlich Peter Mico Joachim heißende Künstler erhielt die Einbürgerungsurkunde. „Hamburg hat einen Gastarbeiter weniger“, kommentierte Billy Mo selbst.

Fußball-WM in England: Deutschland feiert Einzug ins Finale

Drin oder nicht? Das Wembleytor bewegt bis heute die Gemüter, sorgte aber 1966 in der bz für erstaunlich wenig Aufregung.
Drin oder nicht? Das Wembleytor bewegt bis heute die Gemüter, sorgte aber 1966 in der bz für erstaunlich wenig Aufregung. © imago images/Horstmüller | imago sportfotodienst via www.imago-images.de

Der Sommer des Jahres brachte ein sportliches Großereignis: Die Fußballweltmeisterschaft in England. Das Weiterkommen der deutschen Nationalmannschaft feierte die Bergedorfer Zeitung standesgemäß auf den Titelseiten. „Endspiel erreicht“, hieß es am 26. Juli, nachdem die DFB-Auswahl sich mit 2:1 gegen die Sowjetunion durchgesetzt hatte. Die Vorfreude auf das Finale im Londoner Wembleystadion war groß, und am 30. Juli ließ die Heimatzeitung Bergedorfer Bürger auf einer ganzen Seite ihre Tipps für das Endspiel abgeben. Überwältigend setzten die Befragten auf einen deutschen Sieg, in einem Fall versehen mit dem Kommentar: „Die Engländer haben es verdient, daß sie mal einen kleinen drauf kriegen“.

Der interviewte Bergedorfer bezog sich allerdings nur auf gehässige Kommentare in der britischen Presse zur Leistung der Deutschen auf dem Fußballplatz. Nur Alfred Frankenfeld, Vizepräsident der Bürgerschaft, der ausgerechnet beteuerte, er sei „kein Fußballexperte“, sollte Recht behalten, als er auf einen Sieg der Engländer setzte.

Bergedorfer Zeitung nimmt das umstrittene Wembley-Tor sportlich

Auch angesichts dieser Siegesgewissheit überrascht die Berichterstattung der Bergedorfer Zeitung über das mit 2:4 verlorene Endspiel aus heutiger Sicht. Schließlich ist das „Wembley-Tor“ jedem Fußballfan bis heute ein Begriff. In der 101. Minute prallte der Schuss des englischen Stürmers Geoff Hurst an die Unterkante der Latte und von dort aus Sicht des Schiedsrichtergespanns ins Tor. Ob der Ball tatsächlich die Torlinie überquert hatte, wird bis heute heiß diskutiert. Der möglicherweise gestohlene WM-Titel ist eine kaum verheilte Wunde in der deutschen Fußballseele und wird bei jedem Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Doch die Schlagzeile am Montag nach dem großen Spiel? „100.000 Menschen umjubelten die deutsche Nationalelf“ steht auf der Titelseite der bz. Von einer Skandalentscheidung, von Betrug oder einem unfähigen Linienrichter findet sich auf der Titelseite kein Wort. Stattdessen nur lobende Worte für die heimgekehrten Vizeweltmeister. Weiter hinten in der Ausgabe finden sich Kommentare von Hamburger Bürgern, nachdem die bz die Jubelschreie und das Aufstöhnen aus den Häusern der Hansestadt schildert. Die vorherrschenden Kommentare, die von der Zeitung dokumentiert wurden: „Es ist ja nur ein Spiel“ und „Die Engländer waren eben besser“.

Das bis heute umstrittene Wembley-Tor wird in der Ausgabe nach dem Finale nur unten links in der Ecke besprochen.
Das bis heute umstrittene Wembley-Tor wird in der Ausgabe nach dem Finale nur unten links in der Ecke besprochen. © Bergedorfer Zeitung | Julian Willuhn

Auf der Sportseite findet sich dann endlich ein Kasten mit der Überschrift „Heiße Diskussionen um ein Tor!“, in dem wütende Nationalspieler zu Wort kamen. Doch auch diese Seite wird von der Schlagzeile „Ehrenvoller kann man ein Spiel nicht verlieren“ beherrscht, und dass der kleine Hund „Pickles“, der den früher im Jahr gestohlenen WM-Pokal aufstöberte, Ehrengast beim Finalbankett war, ist fast ebenso prominent auf der Seite zu finden wie die Tordiskussion.

Ludwig Erhard tritt als Bundeskanzler zurück: Weg frei für die Große Koalition

Ein historisches Ereignis, das hingegen auch 1966 schon die Schlagzeilen dominierte, war der Abgang von CDU-Politiker Ludwig Erhard als Bundeskanzler und die darauf folgende Große Koalition in Bonn. „Koalition gefährdet“, lasen die Käufer der bz am 20. Oktober auf der Titelseite. Die Regierungspartner Union und FDP drohten sich über die Frage nach Steuererhöhungen zu zerstreiten.

Eine Woche später kam es dann zum Bruch. Die FDP-Minister verließen das Kabinett Erhard und der Vater des Wirtschaftswunders musste zunächst eine Minderheitsregierung bilden. In der Folge machte die Unionsführung Druck auf den Kanzler, der aber zunächst an seinem Amt festhielt, ehe er schließlich erklärte, bereit zum Rückzug zu sein.

SPD-Chef Willy Brandt (l.) und der neue Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU)
SPD-Chef Willy Brandt (l.) und der neue Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) © dpa | Wolfgang Weihs

Welche Koalition das Land in Zukunft regieren sollte, war für die Zeitgenossen damals völlig offen. Am 9. November berichtete unsere Zeitung von der Suche der CDU nach einem neuen Kanzlerkandidaten, darunter Fraktionschef Rainer Barzel und der baden-württembergische Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger. Am Folgetag kristallisierte sich der Letztgenannte zwar als Favorit der Union heraus, doch eine neue Koalition aus SPD und FDP erschien der bz genauso wahrscheinlich. Die NS-Vergangenheit Kiesingers wurde damals bereits auf der Titelseite der bz erwähnt.

Ende November schien dann auf einmal eine Große Koalition als wahrscheinlichste Option. Während die Hamburger SPD dieser Option zustimmte, protestierten andere Landesverbände. „SPD gespalten“, titelt die Bergedorfer Zeitung am 28. November. Letztlich wurde das neue Kabinett Kiesinger am 1. Dezember vereidigt. Deutschland hatte eine neue Regierung, die sich in den kommenden Jahren mit der Studentenbewegung auseinandersetzen musste.

Im Spiegelsaal des Bergedorfer Rathauses traten Vertreter der Hamburger FDP zusammen und schworen die Partei auf baldige Neuwahlen ein. Bereits jetzt herrsche eine „breit gestreute Unzufriedenheit“ mit der neuen Regierung. Die Hamburger Sozialdemokraten verzeichneten dagegen 40 Austritte aus Protest gegen die Koalition mit dem langjährigen politischen Rivalen. „Es werden sicherlich noch mehr werden“, erklärte SPD-Chef Paul Nevermann bei einer Veranstaltung in Bergedorf. Er selbst habe sich erst durch ein Gespräch mit Willy Brandt von den Vorteilen der Großen Koalition überzeugen lassen.

2500 Menschen demonstrieren in Hamburg gegen die NPD

Die düstere Vergangenheit Deutschlands reckte nicht nur in der Vita des neuen Bundeskanzlers ihr Haupt. Am 2. Oktober berichtete die Bergedorfer Zeitung auf ihrer Titelseite, dass die NS-Größen Albert Speer und Baldur von Schirach nach 20-jähriger Haft aus dem Gefängnis in Spandau entlassen wurden. Architekt Speer war im Dritten Reich als Rüstungsminister tätig und hatte Einfluss auf den Bau und Betrieb von Konzentrationslagern genommen. Nach der Haftentlassung gelang es ihm, seine eigene Rolle im Nazi-Regime herunterzuspielen, er führte ein finanziell sorgenfreies Leben in Heidelberg.

Bedrohlicher für die immer noch junge Demokratie in Deutschland waren jedoch die Wahlerfolge der NPD, die 1966 in Hessen (7,9 Prozent) und Bayern (7,4 Prozent) in die Landtage einziehen konnte. Daraufhin kam es in Hamburg zu Demonstrationen gegen die rechtsradikale Partei. „In einer Demokratie dürfen die Narren reden, aber sie dürfen kein zweites Mal regieren“, rief Innensenator Heinz Ruhnau (SPD) den 2500 meist jungen Demonstranten zu. Er betonte: „Den Ewiggestrigen sagen wir: Die junge Generation dieser weltoffenen Stadt hat mit ihnen nichts gemein“. Heute firmiert die NPD unter dem Namen „Die Heimat“ und ist spätestens seit dem Aufstieg der AfD marginalisiert.

Die NPD bei einem Parteitag in Karlsruhe im Jahr 1966.
Die NPD bei einem Parteitag in Karlsruhe im Jahr 1966. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people

Weniger Unterstützung von den regierenden Parteien erhielten die Hamburger Studenten, die am 4. Juli gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam protestierten. Anlass war der „Amerikatag“ in Hamburg, zu dem auch ein Flugzeugträger der US-Streitkräfte im Hafen angelegt hatte. Der Bericht in der Heimatzeitung unter dem Titel „Transparente, Sprechchöre und Gesang“ ist nüchtern abgefasst, von einer aufkeimenden Angst vor der aufmüpfigen Jugend ist wenig zu spüren. Der Konflikt in Südostasien war in diesem Jahr ein Dauergast auf der Titelseite der bz, im Herbst ist allerdings schon Hoffnung auf ein Ende des Kriegs spürbar. Die Amerikaner hatten angeboten, ihre Truppen aus Südvietnam abzuziehen, wenn die kommunistischen Nordvietnamesen das Gleiche tun. Zum Jahresende muss unsere Zeitung am 27. November aber erneute Bombenangriffe der USA nach einer Waffenruhe vermelden. Erst 1973 sollten die letzten US-Soldaten das Land verlassen.

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„Turbulente Szenen“ und „schrille Schreie“ beim Auftritt der Beatles

Nachdem das Konzert der Rolling Stones in Hamburg im Vorjahr von der Bergedorfer Zeitung noch fast wie eine Naturkatastrophe behandelt worden war, begleitete die Zeitung das Gastspiel der Beatles in der Hansestadt wohlwollender. Schließlich ergatterte für den Auftritt der Fast-Lokalmatadore auch eine 77-Jährige eines der begehrten Tickets, wie die bz im Mai berichtete. Die Polizei kündigte dennoch an, „Motorräder und Hunde“ einzusetzen, um Krawalle zu verhindern.

Am 27. Juni schilderte die Heimatzeitung dann „turbulente Szenen“ und „schrille Schreie“ von Teenagern, als die Pilzköpfe ihr erstes Konzert in der Ernst-Merck-Halle spielten. „Musikalische Auffassung und Sauberkeit der Technik“ war dem Redakteur von damals immerhin ein Lob wert, die Liverpooler hoben sich damit „wohltuend von anderen Gruppen ab“. Misstrauen gegenüber der Jugendkultur ist dennoch zu spüren, die jungen Leute hatten schließlich „alle Scheu abgelegt“ und die Kürze der Röcke fand ebenfalls Erwähnung.

Das S-Bahn-Unglück lieferte dramatische Bilder. Verletzt wurde jedoch zum Glück niemand.
Das S-Bahn-Unglück lieferte dramatische Bilder. Verletzt wurde jedoch zum Glück niemand. © Bergedorfer Zeitung | Julian Willuhn

Erschreckende Bilder boten sich den Lesern der bz am 15. Oktober, als die Zeitung von einem S-Bahn-Unglück am Bergedorfer Bahnhof berichtete. „Zersplittertes Holz und verbogene Eisenträger“ waren zu sehen gewesen, nachdem ein Zug wenige Hundert Meter vom Bahnhof entfernt aus den Schienen gesprungen war. Ein Beamter im Stellhaus hatte die Weiche zu früh umgelegt, so landete der vordere Teil der Bahn auf Gleis 10, während der hintere Teil auf Gleis 9 umgeleitet wurde. Doch trotz des dramatischen Anblicks gab es nicht nur keine Verletzten zu beklagen – nicht einmal der Zugverkehr zwischen Bergedorf und Reinbek wurde eingeschränkt.