Hamburg. Rückblick auf einen Vorfall, der Historiker bis heute bewegt. Besonders wegen seiner Aufarbeitung ein halbes Jahrhundert später.

Ein Drama am Himmel über Bergedorf aus den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs wird neu aufgerollt. „Ein unglaublicher Sonderfall der Luftkriegsgeschichte“ hat Historiker Gerhard Bracke seinen umfangreichen Beitrag in der Herbst-Ausgabe des Flugzeug-Magazins „Jet & Prop“ überschrieben. Auf fünf Seiten erzählt der Experte für Militär-Fliegerei von der Spurensuche des kanadischen Bomberpiloten Kenneth Blyth, die diesen 56 Jahre nach seinem Absturz am Ostersonnabend 1945 in Bergedorf zurück an den Ort des Geschehens führte.

Es ist eine gleich im doppelten Sinne einzigartige Geschichte. Denn einerseits wurde die viermotorige Halifax Opfer einer Me262, des ersten Düsenjägers der Geschichte, eingesetzt ab 1945 von der deutschen Luftwaffe. Andererseits gelang es Blyth und Bracke tatsächlich, die Identität des Düsenjägerpiloten zu ergründen: Es war Willi Strübing aus Lauenburg, dessen Neffe Detlef Mohr jene Urkunde ein halbes Jahrhundert aufbewahrt hatte, nach der er für diesen und weitere Abschüsse das Ritterkreuz bekommen sollte

Kenneth Blyth, kanadischer Pilot des am Ostersonnabend 1945 über Bergedorf abgeschossenen Halifax-Bombers.
Kenneth Blyth, kanadischer Pilot des am Ostersonnabend 1945 über Bergedorf abgeschossenen Halifax-Bombers. © bz | bz

Zeitzeugen von 1945 kommen 2001 bei der Bergedorfer Zeitung wieder zusammen

Mohr war einer von vier Zeitzeugen, die durch mehrere Artikel der Bergedorfer Zeitung im September 2001 schließlich in unserem Konferenzraum zusammentrafen. Von hier aus wurden dann gemeinsam die Schauplätze des Absturz-Dramas vom Morgen jenes 31. März 1945 besucht. Ein Ausflug, den Gerhard Bracke in seinem Aufsatz jetzt ebenso beschreibt, wie die bangen Minuten des Absturzes um kurz nach 9 Uhr morgens 56 Jahre zuvor.

Ex-Bomberpilot Kenneth Blyth (M.) im September 2001 im Konferenzraum der Bergedorfer Zeitung. Von links: die Zeitzeugen Detlef Mohr, Windfried Fiebag, Otto Beckmann, Gerhard Hackmanck und Historiker Gerhard Bracke.
Ex-Bomberpilot Kenneth Blyth (M.) im September 2001 im Konferenzraum der Bergedorfer Zeitung. Von links: die Zeitzeugen Detlef Mohr, Windfried Fiebag, Otto Beckmann, Gerhard Hackmanck und Historiker Gerhard Bracke. © bgz | Gerhard Bracke

Pilot Kenneth Blyth, selbst gerade erst 21 Jahre jung, war Chef der siebenköpfigen Besatzung, die wegen ihres Alters von kaum 20 Jahren von den Staffel-Kameraden „Cradle Crew“ genannt wurde, frei übersetzt „Säuglingscrew“. Ihr Flieger flog wegen technischer Probleme damals weit hinter dem Verband, der Hamburgs U-Boot-Bunker bei Tageslicht angriff. So gelang es Blyth zwar noch, seine Bomben halbwegs ins Ziel zu bringen. Doch anschließend war er leichte Beute für den blitzschnellen Düsenjäger von Willi Strübing, der mit 53 Jahren Fluglehrer auf der ME232 war.

Teile der „Cradle Crew“ von Kenneth Blyth mit ihrem Bomber vor dem Abschuss auf ihre Basis in Großbritanniern.
Teile der „Cradle Crew“ von Kenneth Blyth mit ihrem Bomber vor dem Abschuss auf ihre Basis in Großbritanniern. © bgz | Gerhard Bracke

Kenneth Blyth hielt den Flieger lange in der Luft, rettete so die Besatzung

Gerhard Bracke beschreibt detailliert, wie der Angriff ablief – und welchen Anteil Blyth ebenso wie Strübing daran hatten, dass die gesamte „Säuglingscrew“ den Absturz überlebte. So hielt Kenneth Blyth die brennende Maschine so lange in der Luft, dass alle mit dem Fallschirm aussteigen konnten. Und Willi Strübing umkreiste die Ausgestiegenen zwar noch, griff aber nicht mehr an.

Kinder auf den Trümmern des abgeschossenen Halifax-Bombers der Royal Canadian Air Force in Boberg..
Kinder auf den Trümmern des abgeschossenen Halifax-Bombers der Royal Canadian Air Force in Boberg.. © fotovzgbzgh

Was anschließend am Boden passierte, konnten die weiteren Zeitzeugen berichten. Gerhard Hackmann, Otto Beckmann und Windfried Fiebag hatten als Kinder oder Jugendliche beobachtet, wie die Besatzungsmitglieder an weißen Fallschirmen zwischen Kröppelshagen und Bergedorf niedergingen – und sofort von Trupps der in Wentorf stationierten Wehrmacht gefangengenommen wurden. Der brennende Bomber mit dem Spitznamen „EQ-Queene“ ging in der Nähe des heutigen Segelflugplatzes in Boberg nieder.

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Die Titelseite von Kenneth Blyths Buch über die Aufarbeitung seines Absturzes am Ende des Zweiten Weltkriegs über Bergedorf: „Who shot down EQ-Queene?“ von 2004.
Die Titelseite von Kenneth Blyths Buch über die Aufarbeitung seines Absturzes am Ende des Zweiten Weltkriegs über Bergedorf: „Who shot down EQ-Queene?“ von 2004. © bgz | Gerhard Bracke

Gerhard Bracke blickt in seinem Aufsatz als Militär-Historiker auf das Ereignis und seine detaillierte Aufklärung ein halbes Jahrhundert danach. Sein Fazit: Die Gegner von einst sind Freunde geworden. So sah es übrigens auch der 2016 verstorbene Kenneth Blyth. Er trug seine Recherchen aus Bergedorf und seine Eindrücke von den Deutschen schon 2004 in seinem zweiten Buch zusammen. Nach der Aufarbeitung seiner Kriegserlebnisse in „Cradle Crew“ (1997), nimmt der Titel sieben Jahre später Bezug auf den Spitznamen seines abgeschossenen Bombers: „Who shot down EQ-Queenie?“.