Viertel, in denen viele Alleinstehende leben, ziehen automatisch weitere an. Die Stadtteile werden so immer homogener, warnen Soziologen.

Barmbek/Neuallermöhe. "Es ist angenehm unaufregend, hier zu wohnen", sagt Ole Steiner, 43, über Barmbek-Nord - sein Zuhause seit 17 Jahren. Er lebt in dem Hamburger Stadtteil, der mit über 71,2 Prozent einen der höchsten Anteile an Einpersonenhaushalten in einem klassischen Wohngebiet aufweist.

Darüber hinaus gehört Ole Steiner nach der in dieser Woche veröffentlichten Erhebung des Statistikamts Nord neben den typischen Seniorinnen zur größten zusammenhängenden Gruppe der Alleinlebenden: Fast 40 Prozent der der 30- bis 50-jährigen Männer in Hamburg leben in einem Einpersonenhaushalt, was jedoch nicht unbedingt heißt, dass es sich dabei zwangsläufig um Singles handelt. Auch Ole Steiner verlässt am Wochenende oft die Stadt der Liebe wegen, denn er führt eine Fernbeziehung nach Bayern.

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Schon als Student zog es ihn aufgrund der günstigen Miete in das Viertel mit dem bodenständigen Charme. Seitdem ist er nur einmal umgezogen, im selben Haus, in dem er 350 Euro warm für 42 Quadratmeter zahlt.

War es in Barmbek nach dem Krieg zunächst darum gegangen, möglichst schnell möglichst vielen Menschen wieder ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, sind viele der heute verfügbaren Wohnungen von damals für Familien zu klein und die wenigen größeren häufig zu teuer. Die Nachfrage wird jedoch nicht vorrangig durch die Zahl der Einwohner bestimmt, sondern durch die Zahl der Haushalte, die sich nach Einschätzung des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) in den vergangenen Jahren nahezu vervierfacht hat.

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Trotzdem ist Barmbek-Nord für ihn nicht nur eine ewige Notlösung. "Es ist abseits der Hauptstraßen schön grün und ruhig", sagt Steiner, "und außerdem ist die Verkehrsanbindung super." Gerade mal 20 Minuten braucht er ins Zentrum, etwas mehr als eine halbe Stunde in die Partyszene von St. Pauli oder dem Schanzenviertel.

Doch er nutzt immer öfter das Vergnügungsangebot in Barmbek-Nord, wo sich längst eine lebendige Kneipen- und Restaurantszene entwickelt hat, die beispielsweise in Neuallermöhe nicht vorhanden ist. Auch beruflich muss er die Grenzen seines Quartiers nicht überschreiten, denn er arbeitet als einziger professioneller Billardcoach Deutschlands im Barmbeker Snookerclub gleich um die Ecke.

Ob Single, alleinerziehend oder eben Großfamilie: Ausschlaggebend für die Wahl des Quartiers ist oft der Mietenspiegel. Deshalb ziehen Familien auch eher an den Stadtrand (und immer häufiger auch darüber hinweg). Als - zumindest statistisches - Hamburger Familienparadies hat sich der auf dem Reißbrett geplante, recht neue Stadtteil Neuallermöhe etabliert. In keinem anderen Quartier der Stadt wohnen - mit einem Haushaltsanteil von 37,5 Prozent - mehr Familien. So wie die Führers. Sie zogen vor 14 Jahren hierher, aus Essen. Hans-Joachim Führer hatte einen neuen Job bei einer Reederei gefunden. "Wilhelmsburg mit seinem damaligen Ruf kam für uns nicht infrage", sagt Constanze Führer, 47, heute.

"Und in die Schanze wollten wir auch nicht, denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dort ein Kind großzuziehen." Ihre Tochter Katharina war damals zwei Jahre alt. "Gerade als junge Mutter wollte ich in einer neuen Stadt schnell Kontakte zu anderen Familien knüpfen." Neuallermöhe, das in den 1990er-Jahren entstand, kam den Führers deshalb gerade recht. "Ich dachte, es fällt uns in einem Quartier, das sich gerade entwickelt, leichter, dort auch hineinzuwachsen." Ihr Plan, so Constanze Führer, sei aufgegangen.

Zwar ist der Weg zur Arbeit für ihren Mann, den Hauptverdiener, naturgemäß weiter, doch dafür hatte Constanze Führer aufgrund der ähnlichen Familienstrukturen und Interessenlagen die Chance, nicht nur als "typische Hausfrau und Mutter" ihr Leben zu gestalten. Auch die Fluktuation ist relativ niedrig, sodass sich über die Jahre viele Freund- und Bekanntschaften bilden konnten.

Constanze Führer hat zunächst beim Aufbau der evangelischen Gemeinde mitgeholfen und arbeitet heute in der kirchlichen Kita. Am Wochenende erholt sich die Familie in ihrem Schrebergarten in Neuallermöhe oder fährt an einen See in der Umgebung. Jetzt feiert man in Neuallermöhe häufig Gartenpartys. Katharina, inzwischen Teenager, verbringt ihre Freizeit mit Freunden im Jugendzentrum oder bei ihrem Pferd. Zum Stall fährt sie mit dem Fahrrad gerade mal drei Minuten.

Von solch engen sozialen Kontakten kann Ole Steiner nur träumen. Zu seinen Nachbarn hat er nur wenig Kontakt, denn kaum, dass man ins Gespräch komme, seien sie schon wieder weg. "Alle zwei bis drei Jahre ziehen die meisten Leute um." So ist die Singlehochburg Barmbek-Nord auch eine Art Durchgangsstation - bis zu einem neuen Beziehungsstatus oder wenn sich die Chance eröffnet, in einen attraktiveren Stadtteil zu ziehen. "Familien sehe ich nur selten", sagt Steiner, "die meisten sind Singles oder Wochenendfahrer."

Doch die Stadt ist daran interessiert, Singlehochburgen wie Barmbek auch für Familien wieder attraktiv zu machen. Werner Frömming von der Kulturbehörde ist für den Umbau von Altbauten zu familiengerechten Wohnungen zuständig. "Wenn wir jedoch gezielt Familien anwerben wollen, müssen wir auch in der Lage sein, größere Wohnungen anzubieten", sagt er.

Wenn sich die Bevölkerungsstruktur in einem Stadtteil ändert, verändert sich auch das wirtschaftliche Profil des Quartiers. Vor allem Dienstleistungsfirmen aller Art siedeln sich an, dazu schnellgastronomische Betriebe, und auch die Grundversorgung der Bevölkerung ist Veränderungen unterworfen, wie etwa im Edeka-Markt von Ulf Schumann an der "Fuhle". Der Kaufmann hat das Angebot seines knapp 1000 Quadratmeter großen Geschäfts auf seine Stammkunden zugeschnitten.

"Die sind durchschnittlich 60 plus", sagt er. Dementsprechend mehr Platz werde kleineren Verpackungseinheiten eingeräumt wie Viererkartons mit Eiern oder portionierbarem Convenience-Food. Auch eine Salat- und Obstbar sowie eine Wurst-Käse-Theke seien unverzichtbar: "Der Mehraufwand an Personal ist zwar teuer, aber die Alleinstehenden und vor allem die Senioren wünschen solch individuellen Service, auch wenn die Preise höher werden."

Prof. Stefan Hradil von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz empfiehlt aus soziologischer Sicht eine "gemischt soziale Schichtung, und zwar sowohl ethnisch als auch hinsichtlich des Alters und des Einkommens." Der Trend gehe jedoch zur "sozialen Segregation", zu homogenen Stadtvierteln, in denen eine zunehmende Zahl von Menschen ihren Lebensentwurf mit ihresgleichen teilen will. "Eine Stadtteilentwicklung ist letztlich kaum von oben zu beeinflussen", sagt der Experte. Viele solcher Initiativen, gemischte Quartiere zu erzielen, seien bereits fehlgeschlagen. "Die Hauptsache ist, dass ein Viertel auch für andere attraktiv bleibt und sich nicht abschottet, sodass Vorurteile gar nicht erst entstehen können."