Hamburg. Gut ein Jahr lang hat das Abendblatt eine Einheit der Hamburger Polizei begleitet. Zum Abschluss: der Kommentar zur Serie.

Einmal im Jahr, wenn das Bundeskriminalamt das neue Bundeslagebild vorstellt, stehen die Polizistinnen und Polizisten im Fokus. Dann geht es um Beamte, die mit Waffen angegriffen wurden, verletzt, genötigt, bepöbelt oder bespuckt – und zwar nur, weil sie Polizistinnen und Polizisten sind. Einmal im Jahr richtet sich der öffentliche Fokus auf eine Kurve, die nur eine Richtung kennt: steil nach oben. Die Zahl der Angriffe steigt seit Jahren kontinuierlich an. Vielen gilt die Polizei inzwischen als personifizierter Prügelknabe.

2571 Hamburger Polizistinnen oder Polizisten sind im Jahr 2022 im Dienst Opfer einer Straftat geworden, weil viele Menschen jeden Anstand vermissen lassen. Der Polizist oder die Polizistin erscheint vielen inzwischen nicht mehr als Mensch, der seine Arbeit macht, sondern als Institution, an der man seinen Frust abladen darf. Frust über einen Staat, zu dem man sich nicht gehörig fühlt. Frust über die eigene unbefriedigende Situation und die hohen Belastungen. Und dies paart sich mit der oft fehlenden Fähigkeit, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Die Leidtragenden sind – Polizistinnen und Polizisten.

Wie werden Polizisten die Bilder von sterbenden Menschen wieder los?

Das Abendblatt hat mit einem Langzeitprojekt versucht herauszuarbeiten, was diese Entwicklung mit den Frauen und Männern bei der Polizei macht. Was erleben sie in den Einsätzen? Wie reagieren sie auf Angriffe, Beschimpfungen, Beleidigungen oder fehlenden Respekt? Wie gehen sie um mit Stress? Wie werden sie die Bilder von sterbenden Menschen oder misshandelten Kindern wieder los? Um das herauszufinden, hat das Abendblatt länger als ein Jahr eine Einheit der Polizei begleitet: die Streifenpolizistinnen und -polizisten von der A-Schicht am Polizeikommissariat 38 in Rahlstedt.

Rahlstedt ist Hamburg im Kleinen. Keine Kriminalitätshochburg wie der Kiez oder das Umfeld des Hauptbahnhofs, aber auch keine Wohlfühloase wie Blankenese oder Nienstedten. Rahlstedt ist ganz normal hamburgisch. Und das macht das Jahr an der Seite der Polizei so erschreckend: Verbrechen im psychischen Ausnahmezustand oder im Drogenwahn – zum Beispiel begangen mit der Alltagswaffe Messer – passieren hier beinahe tagtäglich.

Polizei Hamburg muss ausbaden, was sie nicht verschuldet hat

Das größte Problem, mit dem sich die Polizei im wahrsten Sinne herumschlagen muss, ist die steigende Zahl psychisch gestörter Menschen. Deren Verhalten ist für eingesetzte Beamte kaum vorhersehbar und auch kaum beeinflussbar. Menschen mit paranoiden Wahnvorstellungen, die Stimmen hören, wo niemand spricht, die Leute sehen, wo keine sind, die sich ohne Grund bedroht und angegriffen fühlen, benötigen medizinische Hilfe. Wer unter einer Psychose leidet, dessen Handeln ist kaum berechenbar. Auch für die Polizei nicht. Sie muss ausbaden, was sie nicht verschuldet hat.

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Polizisten sind nicht die Prügelknaben der Gesellschaft

Das Abendblatt hat bei der Langzeitbeobachtung Polizisten erlebt, die sich einem Menschen entgegenstellten, der mit einer Machete durch einen Stadtteil irrte; die einen Messerangreifer in Notwehr mit zwei Schüssen stoppten; die eine Frau davor retteten, das zweite Opfer eines Drogensüchtigen zu werden, der gerade erst eine andere Frau mit 100 Messerstichen getötet hat. Das Abendblatt hat Polizisten erlebt, die sich intensiv um hilfsbedürftige Senioren kümmern und um Opfer von Schockanrufen.

Polizisten sind nicht die Prügelknaben der Gesellschaft. Dafür, dass sie rund um die Uhr Dienst tun und die Stadt sicherer machen, haben sie Respekt und Anerkennung verdient. Und zwar das ganze Jahr über und nicht nur, wenn das neue Bundeslagebild vorgestellt wird.