Hamburg. Die belarussische Oppositionsführerin ist in diesem Jahr Schirmherrin der „Tage des Exils“. Einen Monat lang Programm.

Swetlana Tichanowskaja (40), belarussische Oppositionsführerin, musste ihre Heimat verlassen, aber ihren Kampf für Demokratie und Freiheit in Belarus gibt sie nicht auf. Aus dem Exil in Litauen kämpft die Bürgerrechtlerin für freie Wahlen in ihrer Heimat. Als Schirmherrin der Hamburger Tage des Exils 2023 eröffnet sie am 11. April das Veranstaltungsprogramm. Das Abendblatt hat mir ihr vorab gesprochen.

Belarussische Oppositionsführerin kommt nach Hamburg

Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Jahr die Schirmherrin der „Tage des Exils“ zu ­werden?

Swetlana Tichanowskaja: Ich wurde dazu eingeladen und habe zugesagt, weil mich das Thema tief berührt. Ich kenne den Schmerz und das Leid, die mit dem Exil einhergehen, und ich freue mich, dazu beizutragen, das Bewusstsein für die Situation von Menschen im Exil in der ganzen Welt zu schärfen.

Sie leben schon seit August 2020 in Litauen, weil Sie aus Ihrer belarussischen Heimat fliehen mussten. Wie kommen Sie damit zurecht?

Ich glaube, dass meine Einstellung eine entscheidende Rolle dabei spielte, die Situation zu akzeptieren. Ich habe mich auf den positiven Einfluss konzentriert, den ich auch vom Exil aus auf mein Land ausüben konnte. Es bricht einem das Herz, sein Land, seine Heimat und seine Familie zu verlassen – und nicht zu wissen, wann man zurückkehren kann. Was mich jedoch sehr inspiriert, ist die Tapferkeit der Menschen, die vor Ort kämpfen, aber auch derer, die im Gefängnis sitzen. Ich wache jeden Morgen auf und überlege, was ich tun kann, um ihnen zu helfen.

Ihr Mann kandidierte für das Präsidentenamt, wurde aber inhaftiert. Sie sprangen ein und gewannen die Wahl. Machthaber Alexander Lukaschenko jedoch hielt mit Gewalt am Präsidentenamt fest. Würden Sie das noch einmal machen? Mit all den Konsequenzen?

Auf jeden Fall. Dieser Kampf ist viel ­wichtiger als eine einzelne Person oder eine Gruppe. Die Verurteilung meines Mannes und mein eigener Prozess in Abwesenheit haben mich nicht aufgehalten. All das hat mich in meiner Entschlossenheit bestärkt, weiterzukämpfen. Der Kampf für Demokratie und Freiheit in Belarus ist zu wichtig, um aufzugeben.

Ihre Kinder sind bei Ihnen in Litauen, aber Ihr Mann ist ein politischer Gefangener in Minsk. Seit seiner Inhaftierung 2020 konnten Sie nicht mit ihm sprechen. Was hilft Ihnen in dieser Situation?

Mein Mann ist ein starker Mann – es ist ihnen nicht gelungen, ihn zu brechen. Obwohl sie ihn grausam behandeln, erträgt er seine Gefangenschaft mit Mut. Es ist schmerzlich, dass ich und meine Kinder nicht mit ihm sprechen können. Die Kommunikation muss über den Anwalt laufen. Sie haben ihn im Gefängnis daran gehindert, Geld zu erhalten, um sich das Nötigste und Essen kaufen zu können. Aber ich bin nicht allein: Auf jeden der 1500 politischen Gefangenen in Belarus wartet jemand draußen – gibt es zerbrochene Familien. Wir unterstützen uns gegenseitig.

Was tun Sie vom Exil aus, um die Situation in Ihrem Heimatland zu verändern?

Das Exil gibt mir die Möglichkeit, zu reisen und mit führenden Politikern der ganzen Welt über die Lage in Belarus zu sprechen, um Unterstützung für politische Gefangene, die Zivilgesellschaft und unsere Diaspora zu gewinnen und den Druck auf das Regime zu erhöhen. Die Belarussinnen und Belarussen im Exil haben großartige Arbeit geleistet, indem sie sich gegenseitig im Kampf für unsere gemeinsamen Ziele unterstützt haben. Sie dürfen nicht vergessen, dass Hunderttausende Belarussinnen und Belarussen seit 2020 gezwungen waren, das Land zu verlassen. Vom Exil aus tun sie alles, um ihrem Land zu helfen. Belarussische Nichtregierungsorganisationen lebten im Exil wieder auf und Hunderte von ihnen setzen ihre wichtige Arbeit fort.

Hannah Arendt hat einmal gesagt: „Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren.“ Wie sieht Ihr Leben in Litauen aus?

Es ist jetzt ganz anders als das Leben, das ich von Belarus kannte. Ich musste mich daran gewöhnen, unter ständigem Schutz zu leben. Ich bin dankbar für die Unterstützung und Freundlichkeit der litauischen Bevölkerung, die mich und meine Familie mit offenen Armen empfangen hat. Auch Litauen hat mich als Anführerin eines demokratischen Belarus anerkannt und mir den diplomatischen Status ver­liehen. Das ist etwas, das wir nie vergessen werden.

Was haben Sie im Exil über sich selbst gelernt?

Ich bin auf jeden Fall stärker und widerstandsfähiger geworden. Ich habe gelernt, dass ich viel mehr tun kann, als ich jemals zuvor erwartet hatte. Ich habe gelernt, wie wir unserer Stimme auf einer globalen Bühne Gehör verschaffen können. Es war eine unglaubliche Lernerfahrung. Aber im Grunde genommen bin ich immer noch dieselbe Person, die für die Demokratie kämpft. Und ich bin eine Mutter und eine Ehefrau. Ich denke, es ist wichtig, sich selbst treu zu bleiben und nicht aus den Augen zu verlieren, wer man ist.

Ein schneller Regimewechsel in Belarus ist unwahrscheinlich. Was ist, wenn Sie jahrzehntelang nicht zurückkehren können? Kann das Exil auch zur Heimat werden?

Unser Kampf für die Freiheit hat keine zeitliche Begrenzung, aber jeder Tag bedeutet mehr Leid für die politischen Gefangenen und für alle Belarussinnen und Belarussen, die unter den Repressionen des Regimes und der Unfähigkeit, unser Land zu verwalten, leiden. Meine Kinder vermissen ihren Vater, genau wie so viele Kinder in Belarus, die ihre inhaftierten Eltern vermissen. Ich weiß, dass uns jeder Tag dem Sieg näherbringt, aber ich kann nicht sagen, wann dies geschieht. Litauen ist für mich zu einer vorübergehenden Heimat geworden, aber wir wollen alle zurückkehren und unserem Land helfen.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was stimmt Sie zuversichtlich?

Es gibt mir Hoffnung, wenn ich sehe, dass die Belarussinnen und Belarussen weiter Widerstand leisten, weiter kämpfen. Sie geben nicht auf. Wenn ich politische Gefangene wie den Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki vor Gericht sehe, unnachgiebig und stolz, auch wenn die Gefangenen in Handschellen und in einem Käfig gehalten werden. Ihre Widerstandskraft und Entschlossenheit geben mir Hoffnung. Trotz der Brutalität und Unterdrückung durch das Regime sind die Menschen ungebrochen. Wenn ich sehe, wie die Welt uns unterstützt, gibt mir das Hoffnung. Wenn ich sehe, wie die Belarussinnen und Belarussen im Exil den Ukrainerinnen und Ukrainern helfen, dann gibt mir das Hoffnung. Das ist die Zukunft, die wir uns wünschen: in Frieden und Freundschaft zu leben. Und dass alle Menschen im Exil in ihre Heimat zurückkehren können. (Übersetzung aus dem Englischen: Monika Ott)

Veranstaltungsreihe

Die „Tage des Exils“ finden in diesem Jahr bereits zum fünften Mal in Hamburg statt. Sie werden von der Körber-Stiftung in Ko­operation mit der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung sowie mit zahlreichen Partnern aus der Stadt organisiert. Die Körber-Stiftung will mit dem Programm zu Dialog und Verständigung in der Stadtgesellschaft anregen und dadurch zum Zusammenhalt in Hamburg beitragen.

www.koerber-stiftung.de