Hamburg. Die „Tage des Exils“ geben Einblicke in das Leben verfolgter Menschen. Die Veranstaltungsreihe startet am 11. April.

„Man geht nicht zum Vergnügenins Exil.“ Die Aussage, an der in der gesellschaftlichen Debatte immer mal wieder ein paar Unbelehrbare Zweifel äußern, stammt von Alfred Kerr.

Der berühmte Autor und Theaterkritiker schrieb ihn 1933 in seinem Aufsatz „Empfindsame Flucht. Die ersten Worte nach dem Weggang aus Deutschland“. Der war dem Hitler-Gegner unter Lebensgefahr gerade noch rechtzeitig gelungen. Im Exil erlebte der Intellektuelle Kerr mit seiner Familie einen dramatischen sozialen Abstieg – ein Schicksal, das Exilanten aus aller Welt und zu allen Zeiten mit ihm teilen.

Tage des Exils: 50 Veranstaltungen spiegeln das Thema in unterschiedlichen Formaten

Wie erging, wie ergeht es Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und in einem fremden Umfeld politisch, publizistisch oder künstlerisch tätig zu sein – oder dort womöglich gar nicht arbeiten können?

Mit zahlreichen Veranstaltungen in unterschiedlichen Gattungen und Formaten beleuchten das auch in diesem Jahr die Hamburger „Tage des Exils“. Das Team der Körber-Stiftung um Bereichsleiter Sven Tetzlaff und Programmleiterin Sonja Wimschulte hat dazu in Kooperation mit vielen Institutionen und Initiativen zum fünften Mal ein Programm zusammengestellt, das die unterschiedlichen Facetten des Themas spiegelt.

Der Bogen der rund 50 Veranstaltungen ist zeitlich und geografisch weit gespannt: Da geht es um historische Aspekte wie die Bücherverbrennung oder die Verfolgung von Juden und Andersdenkenden in Nazi-Deutschland ebenso wie um Fluchtbewegungen aus Kriegs- und Krisengebieten der Gegenwart.

Schirmherrin der Veranstaltungsreihe in diesem Jahr ist Swetlana Tichanowskaja

So hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine in Europa eine große Flüchtlingsbewegung ausgelöst – auch aus Belarus, wo Machthaber Alexander Lukaschenko als Putins Lakai agiert und Oppositionelle erbarmungslos verfolgt.

Eine von ihnen ist die Siegerin der Präsidentschaftswahl von 2020, Swetlana Tichanowskaja, die nach Litauen geflohen ist. Die prominente Schirmherrin der diesjährigen „Tage des Exils“ hält bei der Auftaktveranstaltung im Körber Forum per Videozuschaltung die Rede zum Exil.

Ebenfalls um die Situation in Belarus geht es bei dem Interview, das der Journalist Johannes von Dohnanyi am 17. April mit der Lyrikerin Julia Cimafiejeva führt. Die Veranstaltung unter dem Motto „Nicht mit uns“ richtet sich an Schülerinnen und Schüler und findet in der Hamburgischen Bürgerschaft statt.

„Weißrussland war schon lange ein autoritärer Staat, jetzt ist es ein totalitärer Staat – jede und jeder kann jeden Moment festgenommen und eingesperrt werden. Ein einziges kritisches Wort, ein einziges Posting reicht“, beschreibt Cimafiejeva die Situation in ihrem Land. Mit ihr geflohen ist ihr Mann Alhierd Bacharevič. Am 20. April liest er im Literaturhaus aus seinem Hauptwerk „Die Hunde Europas“.

Wie Künstlerinnen und Künstler im Exil ihre Arbeit fortsetzen

Ebenfalls am 20. April nehmen im KörberHaus in Bergedorf der griechische Komponist Nikos Titokis und die britische Klarinettistin Samantha Wright das Publikum auf eine musikalische Reise in die Gefühlswelt von Menschen im Exil zwischen Entwurzelung und Neuanfang mit.

Eigens ein Werk zum Thema Exil komponiert hat einer der Pioniere der zeitgenössischen iranischen Musik, Mehdi Jalali. Hintergrund sind die politischen und wirtschaftlichen Missstände in seiner Heimat und die Protestbewegung dagegen.

Die Uraufführung des Werks durch das Berliner Sonar Quartett findet am 24. April im Rahmen der Reihe „2x hören“ im Körber Forum statt und wird vom Musikwissenschaftler Rafael Rennicke moderiert. Mit der sozialen Realität von Geflüchteten in ihrer unfreiwilligen neuen Heimat konfrontiert der aus Indien stammende Künstler Abhishek Thapar das Publikum am 4. Mai auf Kampnagel.

Intellektuelle als Küchenhilfe: Thapars Performance „Lacuna Kitchen“ rückt die Menschen in den Mittelpunkt, die in Restaurants das Essen vorbereiten und kochen und hinterher das Geschirr abwaschen – und deren Existenz wundersam unsichtbar bleibt.

Tage des Exils: Exilanten bereichern Gesellschaften, die ihnen Zuflucht bieten

Mit filmischen Mitteln nähert sich die in den USA lebende iranische Regisseurin Shirin Neshat dem Thema Exil: Die politische Satire „Land of Dreams“ beschreibt ein Amerika der Zukunft, das seine Außengrenzen abgeriegelt hat. Die Regierung startet ein Programm, um die Träume der Bürger zu überwachen. Bei der Aufführung am 7. Mai im Abaton-Kino ist Produzent Amir Hamz anwesend.

Einer der historischen Schwerpunkte der „Tage des Exils“ ist die Bücherverbrennung durch die Nazis, die sich im Mai zum 90. Mal jährt. Die Staats- und Universitätsbibliothek, die nach Carl von Ossietzky, einem der betroffenen Autoren, benannt ist, startet dazu am 10. Mai das Festival „Hamburg liest verbrannte Bücher“.

Ob aus der Ukraine, aus Belarus, aus Syrien oder dem Iran: Die verfolgten Menschen sind mit ihrem kulturellen Hintergrund, ihren Ideen und dem Einsatz für demokratische Werte in ihrem Herkunftsland eine echte Bereicherung für die Länder, die ihnen Zuflucht geben: Auch das ist eine Botschaft dieser „Tage des Exils“.

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