Streitmobil

Wie eine Hamburgerin in Altona Konflikte löst

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Unverdrossen im Einsatz für andere: Katja Kaiser mit einem Gesprächspartner beim Flottbeker Wochenmarkt neben ihrem Streitmobil.

Unverdrossen im Einsatz für andere: Katja Kaiser mit einem Gesprächspartner beim Flottbeker Wochenmarkt neben ihrem Streitmobil.

Foto: Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Katja Kaiser fährt jede Woche durch den Bezirk und hört sich die Sorgen anderer Menschen an. Über das besondere Projekt.

Hamburg.  Von Weitem wirkt die Szene so ähnlich wie ein Schnack unter Campingurlaubern: Zwei Menschen sitzen auf zwei Stühlen vor einem Bus mit geöffneter Seitentür und unterhalten sich. Der Mann spricht viel, die Frau eher wenig. Die Frau ist Katja Kaiser, die mit ihrem Streitmobil in Altona unterwegs ist und regelmäßig an den immer selben Standorten stoppt. Wer will, kann sich dann zu ihr setzen und seine Sorgen loswerden. An diesem Mittwoch steht der Wagen mit dem unübersehbaren Schriftzug („Zuhören und sich verstehen“) auf einem Parkplatz neben dem gut besuchten Flottbeker Wochenmarkt.

Katja Kaiser bittet um Diskretion während der Gesprächsphase, und entsprechend hält sich auch das Abendblatt-Team noch eine Weile im Hintergrund. Zu verstehen ist für Außenstehende nichts – und so soll es ja auch sein. Kaiser hat eine positive Ausstrahlung. Weit vorgebeugt, blickt sie ihr Gegenüber aufmerksam an, eine Hand unter dem Kinn, wirkt sie aufgeschlossen und zugewandt. Seit zwei Jahren gibt es das Streitmobil nun schon.

Streitmobil wird vom Bezirksamt Altona gefördert

Gefördert wird das Projekt vom Bezirksamt Altona, als „kostenfreies Stadtteilprojekt zur friedlichen Konfliktklärung“, wie es auf der Homepage heißt. Kaiser, im Hauptberuf fest angestellte Pflegeberaterin, ist ehrenamtlich auf Tour. Am Volkspark kann man sie antreffen, im Bahrenpark Höhe Gasstraße und eben beim Wochenmarkt. Montags, mittwochs und sonntags, jeweils zwei Stunden. Das Angebot ist, wie man so sagt, niedrigschwellig. Menschen, die den Weg zu Beratungsstellen nicht finden oder gehen wollen, die Scheu vor nüchternen Büros und Praxen haben, fühlen sich hier gut aufgehoben.

Die Themen, mit denen Katja Kaiser zu tun hat, sind vielfältig. Mal geht es um Konflikte mit Nachbarn oder Behörden, mal um Streitigkeiten innerhalb einer Familie. Die Frauen und Männer, die sich zu Kaiser setzen und einfach erzählen, fühlen sich missverstanden oder zu Unrecht angegriffen, abgeschoben oder ausgenutzt. Eine Seniorin meint, dass ihr die Enkelkinder entzogen werden, eine andere sieht sich dagegen als Dauerbabysitterin ausgenutzt.

Viele Konflikte bezüglich Impfungen

Einsamkeit ist ein häufiges Thema. Nicht wenige Menschen sind auch über sich selbst verstört oder geradezu verzweifelt, berichtet Kaiser. Erst kürzlich sei ein Mann bei ihr gewesen, der die Menschen seit der Corona-Zeit verändert findet. Er habe das Gefühl, überall nur noch in „böse“ Gesichter zu gucken, alle seien plötzlich angespannt, wütend.

Überhaupt Corona. Die Pandemie startete fast gleichzeitig mit dem Projekt „Streitmobil“. Entsprechend traf man sich dann zum Gespräch auch nicht mehr im Bus, wie ursprünglich geplant, sondern unter freiem Himmel daneben. Viele Konflikte habe es wegen des Impfthemas gegeben, berichtet Kaiser. Impfskeptiker seien von alten Freunden und Bekannten wie Rechtsradikale behandelt worden, sogar innerhalb der Familien sei das vorgekommen. Umgekehrt waren ängstliche, vorsichtige Menschen Spott ausgesetzt, wurden als Hysterikerinnen und „Supermissionare“ bezeichnet. Freundschaften seien deshalb zerbrochen, viele davon scheinbar für immer. Aber muss es dabei bleiben?

Gewaltfreie Kommunikation als Lösungsansatz

Katja Kaiser hilft dabei, dass Menschen wieder miteinander ins Gespräch kommen, auch wenn der Faden gerissen, die Verbindung abgebrochen ist. Auf der Homepage liest sich das so: „Zielgruppen sind alle Menschen, die im Streit mit anderen stehen oder Groll gegen andere Gruppen hegen. Ihnen soll die Chance gegeben werden, Konflikte mit der richtigen Kommunikationsstrategie zu lösen.“ Und weiter: „Die Konzentration auf die Bedürfnisse beider Parteien, die Vermeidung von Hass und die Stärkung des Mitgefühls für andere Positionen und Menschen stehen dabei im Mittelpunkt.“

Katja Kaiser war und ist tief beeindruckt von den Schriften des amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg (1934–2015) zur gewaltfreien Kommunikation. Sie sieht sich als „Botschafterin“ seiner Arbeit und gibt den Menschen, die zu ihr kommen, entsprechende Hilfestellung. Aber es geht nicht nur darum, was im und am Streitmobil vermittelt wird, sondern wie und vor allem von wem. Kaiser hat eine sanfte, mitfühlende und dabei zugleich konsequente Art.

„Ich bin kein Langzeitangebot“

Gelegentlich muss auch sie sich abschirmen gegen „Stammkunden“, die sie über Gebühr in Beschlag belegen, ohne wirklich zuhören zu wollen. „Ich bin kein Langzeitangebot“, ist ein Satz, den sie dann – selten – sagt, wenn es ihr dann doch mal zu viel wird. Brenzlige Situationen habe es in den vergangenen Jahren während der Gespräche aber nie gegeben. Kaiser selbst geht regelmäßig zur Supervision – also zum beratenden Gespräch, bei dem über die Arbeit reflektiert wird. Und sie empfiehlt, wenn sie den Bedarf erkennt, auch weiterführende Hilfsangebote wie zum Beispiel die bezirkliche Erziehungsberatung.

Manchmal kommen auch zwei Menschen gemeinsam zum Gespräch. Gerade sei eine Mutter mit ihrem Kind da gewesen, das nicht in die Schule gehen wollte. Erst hat man sich zu dritt unterhalten, dann sei mal die Mutter weggegangen, dann das Kind. Lösungen für all das kann die aparte Frau mit der schönen Stimme auch nicht aus dem Hut zaubern, Aber sehr oft hilft ihren Gesprächspartnerinnen und -partnern schon, dass sie sich mal etwas von der Seele reden können, dass ihnen jemand ganz unvoreingenommen zuhört.

Streitmobil: Konflikte gibt es in ganz Hamburg

„Wichtig ist, dass ich den Menschen erst mal klarmache, dass ich ihnen glaube“, sagt Kaiser, „dass sie ,wahr‘ sprechen.“ Das gelte auch dann, wenn die angesprochenen Dinge zunächst völlig absurd wirken. „Ich motiviere sie dann, dass sie weitererzählen sollen. Dass ich das Ganze zwar möglicherweise anders sehe, aber dass das irrelevant sei.“ Unterscheiden sich die Gesprächsinhalte zwischen Osdorf und Groß Flottbek? Katja Kaiser denkt lange nach, will präzise antworten. „Einerseits ja, andererseits nein“, sagt sie schließlich, ohne das weiter auszuführen. Und dann: „Auch in den feineren Stadtteilen haben Menschen quälende Gedanken, die ihr Leben vergiften.“

Mitten im Gespräch stellt sich eine ältere Dame neben Katja Kaiser – „Haben Sie gleich mal Zeit?“ Kaiser verabschiedet sich, streckt sich kurz und beginnt das nächste Gespräch. Offen sein für einen fremden Menschen und helfen, wo es geht – wieder einmal.

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