Hamburg. In der Flut der Informationen rund um die Corona-Pandemie ist in dieser Woche ein bemerkenswerter Beschluss des Verwaltungsgerichts etwas untergegangen. Die Kammer 13 des Gerichts gab am Dienstag dem Antrag der Betreiberin mehrerer Fitnessstudios statt, ihre seit Anfang November per Rechtsverordnung geschlossenen Läden wieder zu öffnen. Es geht weniger um die Entscheidung in der Sache – bis zum Beschluss des Oberverwaltungsgerichts müssen die Studios ohnehin geschlossen bleiben –, interessant ist die Begründung des Verwaltungsgerichts.
Zum ersten Mal haben Hamburger Richter in einer Entscheidung die Beteiligung des Parlaments als gesetzgebender Gewalt an so massiven Grundrechtseingriffen wie der Schließung von Betrieben verlangt, eine bloße Rechtsverordnung der Exekutive, also des Senats, reiche nicht (mehr) aus. „Der in der Verfassung ausdrücklich erwähnte Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes ist Ausfluss des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips … Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“, schreiben die Verwaltungsrichter.
Zweite Corona-Welle in Hamburg kam nicht überraschend
Bislang ermächtigt eine sogenannte Generalklausel des Infektionsschutzgesetzes die Bundes- und Landesregierungen, Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie im Rahmen von Rechtsverordnungen zu erlassen. Doch was zu Beginn der Pandemie angemessen war, reicht heute nach Auffassung der Richter als Begründung nicht mehr aus.
„Seit dem Eintritt der epidemischen Lage im März dieses Jahres ist bereits über ein halbes Jahr vergangen, wobei die nunmehr zu Tage tretende zweite Welle in der breiten Öffentlichkeit bereits in den Sommermonaten vorhergesehen worden ist“, heißt es in dem Gerichtsbeschluss. „Der Gesetzgeber ist – anders als im März 2020 – nicht durch den Anstieg der Corona-Infektionen überrascht worden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber es versäumt, rechtzeitig vor der zweiten Welle tätig zu werden“, schreiben die Richter den Politikern ins Stammbuch.
Nun gehört es zur Wahrheit, dass es Entscheidungen anderer Kammern des Verwaltungsgerichts gibt, die die Anträge auf Öffnung pandemiebedingt geschlossener Betriebe abgelehnt haben, einmal ging es ebenfalls um ein Fitnessstudio. Aber auch in diesem Beschluss äußern die Richter „erhebliche Zweifel“ daran, dass die Generalklausel im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt noch „eine hinreichende Rechtsgrundlage“ für die Hamburger Eindämmungsverordnung bietet.
Drängende Problemlage ist Senat und Bürgerschaft bekannt
Dem Grunde nach ist die drängende Problemlage Senat und Bürgerschaft bekannt. Seit mehreren Wochen laufen die Abstimmungsprozesse zwischen den Koalitionspartnern von SPD und Grünen in der Frage, wie die Bürgerschaft eingebunden werden kann. Nur ein Ergebnis steht noch aus. Am lautesten fordert verständlicherweise die Opposition die parlamentarische Beteiligung.
„Im März und April ging es um schnelle Entscheidungen, da war gar nicht die Zeit für die Beteiligung der Bürgerschaftsfraktionen oder gar der Hamburger Zivilgesellschaft – und wir Linke haben das komplett mitgetragen“, sagte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus in der aktuellen Stunde der Bürgerschaft am Mittwoch. „Doch mit jeder weiteren Pressekonferenz wächst die Kritik, sowohl an Ausmaß und Umfang bestimmter Maßnahmen als auch an deren undemokratischem und selbstherrlichem Zustandekommen“, fügte Boeddinghaus hinzu.
AfD-Fraktionschef sorgt für Empörung
Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) ging auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts direkt ein. „Die selbst ernannte Bürgerrechtspartei von den Grünen trägt Senatsmaßnahmen mit, die per Rechtsverordnung an der Bürgerschaft vorbei durchgesetzt werden, was ein Verfassungsbruch ist, wie nun auch Gerichte feststellen“, sagte die fraktionslose Abgeordnete.
Corona-Krise: Experten sagen, wie es in Hamburg weitergeht
AfD-Fraktionschef Alexander Wolf hatte schon in der Sitzung vor 14 Tagen für Empörung gesorgt, als er in provokativer Absicht das Bundesinfektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 verglich. Mit dem sogenannten Gesetz hatte sich der Reichstag selbst entmachtet und die gesetzgebende Gewalt faktisch auf Adolf Hitler übertragen.
Änderungsentwurf für das Infektionsschutzgesetz
„Wir warten jetzt erst einmal den endgültigen Beschluss des Bundestages ab, sehen uns den genau an und werden daraus die Konsequenzen für Hamburg ziehen“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf dem Abendblatt am Freitag. Union und SPD im Bundestag haben einen Änderungsentwurf für das Infektionsschutzgesetz vorgelegt. „Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts … angesichts der länger andauernden Pandemielage und fortgesetzt erforderlichen eingriffsintensiven Maßnahmen zu entsprechen, ist eine gesetzliche Präzisierung im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen angezeigt“, heißt es unmissverständlich zum Ziel des Gesetzentwurfs.
Corona-Krise: Hamburg ändert die Strategie
In einem neuen Paragrafen 28a des Gesetzes wird erstmals ein (nicht vollständiger) Katalog von in Betracht kommenden freiheitseinschränkenden Maßnahmen aufgelistet – von Ausgangs- sowie Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht über die Schließung von Betrieben, Gaststätten und Kultureinrichtungen bis hin zu Versammlungsverboten und Reisebeschränkungen.
Anti-Corona-Maßnahmen mit einem eigenen Beschluss bestätigen
Die Länder sollen die Maßnahmen je nach Infektionsgeschehen nach einem Stufenmodell umsetzen. „Schwerwiegende Schutzmaßnahmen“ sollen von einem Schwellenwert von mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen an ergriffen werden. „Stark einschränkende Maßnahmen“ kommen von einem Sieben-Tage-Wert von 35 an in Betracht. Allerdings: Welche Einschränkungen es zu welchem Zeitpunkt genau sein sollen, wird nicht vorgegeben. Wenn die Schwellenwerte bundesweit überschritten werden, sollen die Maßnahmen bundeseinheitlich gelten, sonst innerhalb des betroffenen Landes.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Noch ist offen, ob Rot-Grün mit einem bürgerschaftlichen Ersuchen den Senat auffordert, dem Landesparlament einen Entwurf für ein entsprechendes Landesgesetz vorzulegen. Damit könnte die Bürgerschaft den Rahmen der Bestimmungen vorgeben. Alternativ könnte der Senat von sich aus den Entwurf in die Bürgerschaft einbringen.
Der SPD geht es laut Kienscherf vor allem darum, dass die Bürgerschaft langfristig wirkende Anti-Corona-Maßnahmen, die per Rechtsverordnung durch den Senat erlassen werden, mit einen eigenen Beschluss bestätigt. Außerdem soll es eine regelhafte Information des Parlaments über die aktuelle Coronalage durch den Senat geben. Auch wenn Hamburg als Stadtstaat mit Flächenländern mit Landkreisen und kreisfreien Städten nur bedingt vergleichbar ist, orientieren sich die Vorschläge am Pandemiegesetz von Baden-Württemberg.
Gemeinsamer rot-grüner Antrag noch im Dezember?
Bei den Grünen wird darüber diskutiert, ob es sinnvoller ist, im Landesgesetz die möglichen Grundrechtseinschränkungen auch konkret aufzulisten, wie es auf Bundesebene vorgesehen ist. So könnte die Bürgerschaft im Rahmen eines Stufenmodells die wichtigsten Eindämmungsmaßnahmen für jede Ebene definieren. Gleichzeitig sollte dem Senat im Rahmen der Rechtsverordnungen genug Spielraum bleiben, um kurzfristig auf neue Entwicklungen der Pandemie und neue Erkenntnisse zu Infektionswegen reagieren zu können.
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„Wir erwarten nicht, dass wir als Parlament zu anderen Einschätzungen hinsichtlich der Pandemie-Bekämpfung kommen als der Senat. Aber die Beteiligung der Bürgerschaft an den Entscheidungen kann die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung erhöhen“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Jennifer Jasberg. Die Grünen-Politikerin rechnet damit, dass ein gemeinsamer Antrag von SPD und Grünen für ein landeseigenes Pandemiegesetz zur letzten Bürgerschaftssitzung des Jahres am 16. Dezember eingebracht wird.
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