Hamburg

Kahrs-Erbe in der SPD Mitte: Tritt Falko Droßmann an?

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Peter Ulrich Meyer
Falko Droßmann (SPD) ist seit 2016 Bezirksamtsleiter in Hamburg-Mitte.

Falko Droßmann (SPD) ist seit 2016 Bezirksamtsleiter in Hamburg-Mitte.

Foto: imago stock / imago/Lars Berg

Weiter Machtkämpfe innerhalb der SPD Mitte nach Grote-Feier. Frist für SPD-Bundestagskandidatur läuft allmählich ab.

Hamburg. In gut einem Jahr wird der neue Bundestag gewählt, und es wäre sehr übertrieben zu behaupten, dass dieses Thema die Hamburger Parteien nicht schon heute stark beschäftige. Das Gegenteil ist der Fall. So sorgte in dieser Woche eine Entscheidung des Koalitionsausschusses von CDU, CSU und SPD in Berlin für helle Aufregung im Ludwig-Erhard-Haus am Leinpfad, der Parteizentrale der Christdemokraten.

Am Dienstag beschlossen die Spitzen der Großen Koalition nicht nur eine Verlängerung des Kurzarbeitergelds, sondern auch erste Schritte zu einer Reform des Bundestagswahlrechts, Stichwort: Verkleinerung des Parlaments.

Wahlrecht für Bundestagswahl 2021 modifiziert

Was die hiesigen Christdemokraten elektrisierte, war ein Satz, der auf den ersten Blick ziemlich harmlos wirkt. „Der erste Zuteilungsschritt (bei der Verteilung der Mandate, die Red.) wird ab der Bundestagswahl 2021 im geltenden Wahlrecht so modifiziert, dass er eine teilweise Verrechnung von Überhang- mit Listenmandaten der gleichen Partei ermöglicht und zugleich eine föderal ausgewogene Verteilung der Bundestagsmandate gewährleistet“, heißt es im Papier des Koalitionsausschusses.

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Um das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien wieder herzustellen, werden Ausgleichsmandate vergeben. Derzeit gibt es im Bundestag 46 Überhang- und 65 Ausgleichsmandate. Nach Angaben aus der CDU-Bundestagsfraktion sollen in Zukunft Überhangmandate im „niedrigen zweistelligen Bereich“ zwischen den Bundesländern ausgeglichen werden.

Wegen der Wahlreform könnte die CDU ein Mandat verlieren

Die Regelung des Koalitionsausschusses bedeutet, dass zum Beispiel fünf Überhangmandate der CDU in Baden Württemberg durch Streichung von fünf Listenmandaten in anderen Ländern „ausgeglichen“ werden. Findige Hamburger CDU-Politiker haben schon herausgefunden, dass die Hamburger CDU nach diesem Modell auf der Basis des Wahlergebnisses von 2017 ein Mandat weniger bekommen hätte – nur drei statt vier. Verständlicherweise hält sich die Freude über die Regelung im Ludwig-Erhard-Haus in sehr engen Grenzen.

Für die CDU ist die absehbare Neuregelung, deren Details noch verhandelt werden müssen, besonders gefährlich, weil die Partei drei der vier Bundestagsmandate 2017 über die Landesliste errungen hat. Doch im kommenden Jahr sind die Kräfteverhältnisse nicht mehr so eindeutig verteilt, auch weil die Grünen erstarkt sind. Selbst bei der erfolgsverwöhnten Hamburger SPD, die ihre fünf Mandate direkt gewonnen hat, könnte im kommenden Jahr die Liste „ziehen“, auch wenn viele Sozialdemokraten auf den Scholz-Effekt durch den SPD-Kanzlerkandidaten und früheren Ersten Bürgermeister hoffen.

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Johannes Kahrs war seit 1998 Bundestagsabgeordneter

Die Elb-SPD wird bei der Bundestagswahl weitgehend auf Kontinuität setzen. In fünf der sechs Wahlkreise treten die Abgeordneten erneut an: von Aydan Özoguz (Wandsbek) über Dorothee Martin (Nord/Alstertal), Niels Annen (Eimsbüttel) und Matthias Bartke (Altona/Elbvororte) bis zu Metin Hakverdi (Harburg/Bergedorf). Lediglich in der SPD Hamburg-Mitte, über mehr als zwei Jahrzehnte ein Ort fast hegemonialer Machtausübung, ist die Lage offen, ja, man muss es so sagen, umkämpft.

Dass noch völlig unklar ist, wer die SPD im Wahlkreis Hamburg-Mitte in den Wahlkampf führt, hängt mit dem abrupten Abgang von Johannes Kahrs zusammen. Kahrs, der seit 1998 stets direkt gewählte Bundestagsabgeordnete in Mitte und seit 2002 Kreisvorsitzender seiner Partei, hatte Anfang Mai Knall auf Fall alle Ämter niedergelegt und sich aus der Politik zurückgezogen.

Kahrs Abgang sorgt für Machtvakuum im Kreisverband

Kahrs war die unumschränkte Führungsfigur der SPD Mitte – er stärkte das Gewicht seines Kreisverbands durch eine bisweilen kompromisslose Personalpolitik in Senat und Bürgerschaftsfraktion und schuf nach innen ein System von Loyalitäten und Abhängigkeiten. Sein plötzlicher Abgang aus Enttäuschung darüber, dass er nicht Wehrbeauftragter des Bundestages wurde, hat ein Machtvakuum im Kreisverband hinterlassen. In diese Phase des Interregnums – Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit führt den Kreisverband kommissarisch – platzte die Grote-Affäre.

Innensenator Andy Grote, ebenfalls SPD Mitte, hatte bekanntlich mit rund 30 Genossen in einer Bar in der HafenCity auf seine Wiederwahl als Senator angestoßen und gefeiert. Ausgerechnet der Innensenator hat Corona Corona sein lassen. Inzwischen musste er ein Bußgeld zahlen, obwohl er selbst stets betont hatte, nicht gegen die Corona-Regeln verstoßen zu haben.

Andy Grotes Feier hat das Klima in der SPD Mitte vergiftet

Grotes Feier, die durch einen anonymen Hinweis öffentlich wurde, hat das Klima in der SPD Mitte vergiftet. Viele vermuten den Tippgeber in den eigenen Reihen. Die politischen Freunde von Grote vermissten zudem eine deutliche Rückenstärkung der kommissarischen Kreischefin Veit für den Senator. Die andere Seite wirft Grote Starrsinnigkeit vor, weil er seinen Fehler nicht einräumte. Von Lagerbildung ist die Rede.

„Unsere Stärke war immer, dass wir nach außen einen großen Grad von Einigkeit gezeigt haben“, sagt einer, der lange dabei ist, und fügt hinzu: „Wenn wir nicht einig sind, werden wir auch keinen Wahlkreisabgeordneten haben. Das Mandat geht im Streit verloren.“ Früher war der Wahlkreis eine sichere Bank für die SPD: Kahrs holte 1998 noch 50,9 Prozent der Erststimmen, 2017 reichte es mit 30,9 Prozent nur noch knapp für das Direktmandat.

Kreisvorsitz könnte von zwei SPD-Politikern besetzt werden

Offensichtlich ist bei den innerparteilichen Kombattanten Einsicht eingekehrt, denn ein Team von vier Mitte-Sozialdemokraten soll nun den inneren Frieden wieder herstellen: neben Carola Veit sind dies der stellvertretende Kreisvorsitzende und Ex-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber sowie der Bürgerschaftsabgeordnete Hansjörg Schmidt und die Ex-Abgeordnete Henriette von Enckevort. Schmidt und von Enckevort gehören dem Grote-Lager an.

Beim Thema Kreisvorsitz deutet sich ein Kompromiss an: Hier könnte es auf eine Doppelspitze hinauslaufen, gebildet von Veit und Schmidt. Voraussetzung wäre aber eine Änderung der SPD-Landessatzung, die bisher Doppelspitzen – anders als in der Bundes-SPD – nicht zulässt.

Es gibt erst einen Bewerber um die SPD-Kandidatur

Schwieriger gestaltet sich die Frage nach der Bundestagskandidatur. Bis zum 20. September müssen sich die Interessenten gemeldet haben. Bislang hat lediglich der Mitte-Bezirksabgeordnete Yannick Regh, stellvertretender Vorsitzender der SPD Hamm-Borgfelde und aus dem Grote-Lager, seine Bewerbung offiziell erklärt. Schmidt, dem auch Ambitionen nachgesagt wurden, hat sich gegen eine Kandidatur entschieden. Eine weitere Unbekannte im Rennen um eine Kandidatur ist Mitte-Bezirksamtsleiter Falko Droßmann, der sich ebenfalls mit dem Gedanken einer Bewerbung trägt.

Droßmann ist ein enger politischer Weggefährte und Freund von Johannes Kahrs. Wenn der langjährige Abgeordnete, wie es zunächst geplant war, bis zum Ende der Legislaturperiode im Bundestag geblieben wäre, hätte es mit ziemlicher Sicherheit einen „geordneten“ Übergang auf Droßmann als Nachfolger für die Bundestagskandidatur gegeben. Nun sind die Karten neu gemischt.

Droßmann darf keinen Wahlkampf betrieben

Droßmann könnte zwar nicht aus dem Amt heraus einen Wahlkampf führen, aber er könnte im Vorfeld unbezahlten Urlaub nehmen. Die eine Frage ist, wie groß der Rückhalt für Droßmann im Grote-Lager ist. Aber in der SPD Mitte kursiert auch diese Geschichte: Der CDU-Mitte-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, der erneut kandidiert, habe kein Interesse an dem prominenten Droßmann als Mitbewerber. Das Pikante: SPD und CDU bilden mit der FDP eine Koalition in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte.

Manche Genossen argwöhnen nun, de Vries könnte Druck auf die SPD ausüben, um eine Kandidatur Droßmanns zu verhindern. „Aber wollen wir uns von außen hineinreden lassen, wer von uns antritt?“, fragt ein Mitte-Sozialdemokrat. Es ist eine rhetorische Frage.

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