Schulunterricht

Hamburger Streit um Schwimmen mit Epilepsie beigelegt

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Sophie Laufer
Für Kinder mit Epilepsie war es in den vergangenen Monaten quasi unmöglich, am Schwimmunterricht teilzunehmen.

Für Kinder mit Epilepsie war es in den vergangenen Monaten quasi unmöglich, am Schwimmunterricht teilzunehmen.

Foto: picture alliance / dpa

Behörde und Kinderärzte der Stadt haben sich geeinigt. Es soll vielen Kindern wieder ermöglicht werden, am Unterricht teilzunehmen.

Hamburg.  Durchbruch im Streit um den Schwimmunterricht von Kindern mit Epilepsie: Vor wenigen Tagen haben sich die Hamburger Schulbehörde und die Kinderärzte der Stadt auf eine Überarbeitung der derzeit geltenden Regelung geeinigt. „Uns ist hier ein Durchbruch gelungen“, sagt Michael Reichmann, Sprecher der Schulbehörde. Einigkeit habe darüber geherrscht, dass es bei allen Entscheidungen in erster Linie um die Sicherheit der Kinder gehe. „So weit lagen alle Beteiligten nämlich gar nicht auseinander.“ Nun habe man eine Lösung gefunden, „die alles abdeckt“.

Zum Hintergrund: Anfang des Jahres hatte die Behörde die Vorgaben für den Schwimmunterricht von Kindern, die an Epilepsie leiden, verschärft. Die betroffenen Jungen und Mädchen brauchen derzeit entweder eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung oder mussten zwei Jahre anfallsfrei sein und einen besonderen Schwimmkragen tragen. Eine zweijährige Anfallsfreiheit allein, wie zuvor anerkannt, reichte nicht mehr aus. Wobei selbst die Bescheinigung in den vergangenen Monaten häufig nicht von den Lehrern und Bademeistern anerkannt wurde. Die neue Regelung führte zu großem Ärger zwischen den Hamburger Kinderärzten und der Behörde (das Abendblatt berichtete).

Vorgaben sollen gelockert werden

Nun sollen diese scharfen Vorgaben gelockert werden. Künftig sollen auch Jungen und Mädchen mit gutartigen Epilepsien und schnell erreichter Anfallsfreiheit mit einem ärztlichen Attest am Unterricht teilnehmen dürfen. Der Hamburger Kinderneurologe und Chefarzt im Wilhelmstift, Dr. Burkhard Püst, hat mit seinen Kollegen dazu ein Formular erarbeitet, das an alle Ärzte, Schulen und Bäderland als Betreiber der Schwimmbäder gehen soll. „Diese Bescheinigung wird jetzt in der Behörde noch einmal genau überprüft“, so Reichmann.

Die Rede ist dabei von Kindern wie Milan. Der neunjährige Junge hatte vor ziemlich genau zwei Jahren zwei epileptische Anfälle. Seitdem ist Milan allerdings dank der regelmäßigen Einnahme passender Medikamente anfallsfrei. „Zwei Ärzte, unser Kinderarzt und der Neurologe Püst, haben ihm Atteste ausgestellt, dass er ins Wasser darf. Aber trotzdem wurde er wieder nach Hause geschickt“, sagt seine Mutter Sara Graf (Name von der Redaktion geändert).

Kinder werden ausgegrenzt

Auch in dieser Woche durfte er nicht mit. ‚„Ach, Mami, alle anderen dürfen ins Wasser, nur ich muss in der Schule arbeiten‘, hat er ganz traurig zu mir gesagt“, so seine Mutter. Sie leidet mit ihrem Sohn. „Er wird so ausgegrenzt. Jetzt wissen doch alle, dass er einmal einen epileptischen Anfall hatte. Wie gemein ist das denn?“ Dabei könne Milan bereits schwimmen. Er habe privat einen Kurs belegt. „Und ins Becken mit der Schule darf er nur mit einem riesigen Schwimmkragen“, sagt Graf. Empört habe ihr Sohn den abgelehnt. „Dann kann ich ja nicht mal tauchen“, habe er zu Recht kritisiert. Die Situation ist vertrackt. Nur noch bis Ende Januar läuft der Kurs mit seiner Klasse in Bergedorf. „Und er wünscht sich nichts mehr, als im Wasser dabei sein zu dürfen.“

Die Kinder werden unnötig stigmatisiert.

Dr. Burkhard Püst, Kinderneurologe und Chefarzt im Wilhelmstift

Vielleicht besteht jetzt nach der Einigung die Chance, dass Milan noch am Schwimmen teilnehmen kann. „Wir haben uns darauf verständigt, dass wir für genau diese Fälle dringend eine Überarbeitung der aktuellen Regelung brauchen“, sagt der Kinderneurologe Püst aus dem Wilhelmstift. Denn diese Kinder, die teilweise nur einen einzigen Anfall in ihrem Leben hätten, würden übermäßig stark von der Regelung getroffen. „Und das sind etwa 60 Prozent aller Betroffenen.“ Für das dritte Drittel, also Kinder, die unter starken Anfällen leiden, bedürfe es dann individueller Entscheidungen mit einer speziellen Betreuung.

Regelung schnell anpassen

Püst erlebt Geschichten wie die von Milan nun schon seit Monaten hautnah mit. „Die Kinder werden unnötig stigmatisiert“, sagt er. „Ich leide wirklich mit.“ Dem engagierten Mediziner ist wichtig, dass die Regelung jetzt schnell angepasst wird. „Ende Januar beginnt das nächste Schulhalbjahr. Dann gehen andere Klassen schwimmen, und damit steht wieder ein Haufen Eltern vor dem Problem mit der Schwimmerlaubnis“, so der Kinderneurologe. „Wir brauchen also zügig eine entsprechende Anpassung der derzeitigen Regelung, damit die Atteste von mir und meinen Kollegen auch endlich von den Lehrern und Bademeistern akzeptiert werden.“

Dr. Stefan Renz, der Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg, steht der Einigung aus der vergangenen Woche noch skeptisch gegenüber. „Ja, das Gespräch war gut und konstruktiv“, sagt Renz. „Aber ich habe Sorge, dass all das, was wir da besprochen haben, nun erst einmal wieder vielfach überprüft werden muss und wir dabei wieder wertvolle Wochen und sogar Monate verlieren.“

Viele Formen von Epilepsie

Die Behörde verkenne die Problematik. Ihm und den Kollegen sei gesagt worden, es gebe nur einige wenige Einzelfälle, bei denen es zu Problemen kommen könne mit einer Erlaubnis. „Doch, was wir hier im Alltag erleben, ist etwas ganz anderes.“ Wichtig ist Renz: „Epilepsie ist nicht Epilepsie. Es gibt so viele Formen, darauf muss einfach individuell eingegangen werden.“

Und ein wenig ärgert er sich auch über die Begründung der Verzögerung: „Uns wurde gesagt, man habe im vergangenen halben Jahr erst einmal die Experten zu dem Thema befragen müssen.“ Das sei ein absoluter Affront Kollegen wie Püst gegenüber gewesen. „Denn wenn sich jemand tagtäglich mit dem Thema befasst, dann wohl Dr. Püst und seine Kollegen. Die Behörde hatte also die echten Experten eigentlich direkt vor der Nase.“

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Püst sieht das entspannter, ihm geht es vor allem um die Sache. „In jeder Sprechstunde sitzen Eltern, die mit mir über das Thema sprechen wollen. Und ich möchte, dass das jetzt endlich aufhört.“ Er fordert individuelle Entscheidungen bei jedem betroffenen Kind. „Es muss von Eltern und Lehrern in Abstimmung mit den Ärzten angesprochen werden können, wie der Schwimmunterricht durchgeführt werden kann.“ Das bisherige Vorgehen sei den einzelnen Schicksalen nicht gerecht geworden. „Ganz wichtig ist es bei dem Thema Epilepsie nämlich, dass nicht pauschalisiert wird“, so Püst.

Wie beispielsweise bei Milan, der sich nichts mehr wünscht, als endlich wie alle seine Klassenkameraden am Schwimmunterricht teilnehmen zu dürfen. „Für den Jungen könnte es kein schöneres Weihnachtsgeschenk geben. Vielleicht schaffen wir das ja noch.“

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