Hamburg. Zum 70-jährigen Bestehen trägt die bekannte Fernsehjournalistin Anja Reschke Artikel 18 des Grundgesetzes vor.

Das Grundgesetz ist für mich ein klarer Kompass, wie wir in diesem Land zusammenleben, welche Grundregeln für uns gelten sollen. Wenn man darüber nachdenkt, mit welcher Haltung man durchs Leben gehen soll, gibt das Grundgesetz klare Vorgaben. Wer hier lebt, hat im Prinzip stillschweigend zugestimmt, dass er diese Regeln akzeptiert. Man darf nicht vergessen, wie viel Auseinandersetzung, wie viel Kampf und Leid einzelnen Artikeln vorausgegangen sind; dass Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden, dass sie frei sind, dass sie ein Recht auf Leben und Unversehrtheit haben, all das war jahrhundertelang nicht selbstverständlich. Das muss man sich immer wieder klarmachen. Es ist ein sehr starkes Grundgesetz, das alle Erfahrungen, die in diesem Land gemacht wurden, aufgegriffen hat, den zivilisatorischen Gedanken, die Menschenrechte, die Demokratie.

Als Jugendliche habe ich nie darüber nachgedacht, wie wertvoll dieses Grundgesetz ist. Es war selbstverständlich, dass ich in einem Land aufwachse, in dem alle Freiheiten für alle Menschen und die Gewaltenteilung gelten. Wie kostbar es aber ist, dass solche Grundwerte absolute Gültigkeit haben, wird einem erst klar, wenn man sieht, wie sie in anderen Ländern angegriffen oder ausgehöhlt werden. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist ein so wunderbarer Satz, weil er jeden einzelnen Menschen, egal, wo er herkommt, welche Geschichte er mit sich herumschleppt, was er auch getan hat, immer Mensch sein lässt. Es ist ein Satz, der in den vergangenen Jahren so wichtig geworden ist.

Aktueller denn je

Und er ist aktueller denn je. Eigentlich müsste es keinen Jahrestag geben, um das Grundgesetz zu würdigen. Denn eigentlich müsste der Wert jedem klar sein. Es ist das Grundgesetz, das friedlichen, toleranten Umgang miteinander überhaupt erst möglich macht. Wenn Menschen das für zu selbstverständlich nehmen, muss man wohl doch daran erinnern. Nehmen wir zum Beispiel die Pressefreiheit. Es zeugt von der Stärke eines Landes, wenn Journalisten frei über alles berichten können, jeden Politiker alles fragen können, ohne Angst haben zu müssen, dafür verfolgt oder eingesperrt zu werden. Genau dieses Recht wird in Ländern, die sich zu Autokratien wandeln, meist zuerst eingeschränkt. Wenn Menschen unser Land diktatorisch nennen, ist das ein schlimmer Unfug. Da tritt man das, was das Grundgesetz ermöglicht, mit Füßen. Das ist ignorant gegenüber allen Freiheiten.

Denn man darf hier selbstverständlich sogar öffentlich die Regierung kritisieren, ohne dass man Repressalien zu fürchten hat oder sogar ins Gefängnis kommt. Das gibt es in vielen anderen Ländern nicht. Der Artikel, den ich für den Grundgesetz-Film gelesen habe, ist ein besonderer Artikel, weil er kein Grundrecht formuliert, sondern ein Verteidigungsinstrument der Demokratie. Er beinhaltet die Möglichkeit, jemandem bestimmte Grundrechte abzusprechen.

Erfahrungen der Weimarer Republik

Entstanden ist er aus den Erfahrungen der Weimarer Republik, aus der Überzeugung, dass man die Demokratie nie wieder schutzlos ihren Gegnern ausliefern sollte. Bestimmte Freiheiten haben da ihre Grenzen, wenn sie sich gegen das richten, was die Freiheit aller ermöglicht. Damit ist dieser Artikel so etwas wie ein Schild der Demokratie. Dass dieser Artikel noch nie zur Anwendung gekommen ist, spricht dafür, dass wir in einem sehr starken, stabilen Land leben.