Hamburg. Der Versuch klingt ein wenig tollkühn: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Wie werden wir leben? Wie uns fortbewegen? Und wie arbeiten wir? Nach Antworten suchten die Hamburgische Architektenkammer und die Hamburgische Ingenieurkammer, die im September zum Workshop „Hamburg 2050 – Die Zukunft gestalten“ einluden. Verschiedene Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen entwarfen und diskutieren gemeinsam Szenarien und Trends für die Hansestadt im Jahr 2050.
Drei Themenfelder beackerten die Experten. Die Arbeitsgruppe „Stadt ohne Arbeit“ reflektierte die Auswirkungen der Digitalisierung. Sie glaubt, dass sich in Zukunft Arbeit und Wohnen annähern, wenn nicht vermischen werden. „Die Trennung der Funktionen ist in Auflösung“, sagt Carsten Venus, Koordinator der Arbeitsgruppe. Stadtteile, die jetzt noch monofunktional entweder von Wohnen oder Gewerbe geprägt sind, werden sich nachhaltig verändern. „Das Zeitalter der Quartiere bricht an“, so Venus. Dort werden nicht nur neue Räume zum Vernetzen und zum gemeinsamen Arbeiten entstehen, dort sollen auch Quartiersgemeinschaften gemeinsam wirtschaften. „Zentrale Bildungs-, Sozial-, Freizeit- und Kultureinrichtungen bilden Fixpunkte“ im Viertel.
Diskussion um urbane Freiräume
Die derzeit in der Stadt tobende Debatte um Nachverdichtungen drehte die zweite Arbeitsgruppe kurzerhand um und diskutierte über notwendige urbane Freiräume im Sinne nicht bebauter Orte und Räume. Berthold Eckebrecht, der Koordinator des Teams „Weite in der Stadt“ forderte eine Balance zwischen „Belastung und Entlastung“, ein „Recht auf Weite“. Dieser Gedanke müsse seinen Niederschlag im Baugesetzbuch und der Landeshaushaltsordnung finden.
Eckebrecht geht in seiner Vision so weit, dass kein kommunaler Grund mehr verkauft werden darf, „private Pkw im öffentlichen Raum nicht abgestellt werden dürfen“ und dass alle öffentlichen Gebäude begehbare Dachgärten bekommen. Auch für frei werdende Hafenflächen sollten rechtzeitig Nachnutzungskonzepte entwickelt werden.
Vorschlag: Hamburg soll zur Stadt der kurzen Wege werden
Die Verkehrswende prägte auch die Arbeitsgruppe „Stadt zu Fuß“. Die Koordinatorin Bettina Kunst sprach in diesem Zusammenhang auch nicht mehr von Individualverkehr, sondern „Zwangsmobilität“ durch die derzeit noch existierenden Strukturen in der Stadt. Dementsprechend müsse Stadt- und Verkehrsplanung verknüpft und Hamburg zur Stadt der kurzen Wege werden. Mobilität werde durch Fahrzeug-Teilen und autonomes Fahren revolutioniert, die Logistik neu organisiert. Magistralen könnten dann durch den reduzierten Verkehr ganz anders genutzt werden – etwa für Trassen des Nahverkehrs oder für Radwege. „Aber dort könnte auch ein Ponyhof oder eine Apfelplantage entstehen“, sagte Kunst.
Für manche kommen die Visionen der Hamburgischen Architektenkammer dem Traum einer nachhaltigen, ökologischen Stadt nahe – andere erinnern sie eher an den Albtraum eines dirigistischen Staates. „Wir sind in der Sackgasse und müssen klassische Lösungsmuster verlassen“, sagt Karin Loosen, die Präsidentin der Hamburger Architektenkammer. „Stadtentwicklung muss langfristig geplant und angelegt werden. Diese Wahrheit gerät gerade in Vergessenheit, weil unsere Großstädte vollauf damit beschäftigt sind, Zuwanderung und Wohnraummangel zu bewältigen.“ Loosen sieht die Visionen als Diskussionsgrundlage, um mit der Politik, aber auch den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Einen konkreten Wunsch formuliert Carsten Venus: „Wir brauchen einen Koordinator für die Smart City in der Behörde.“
Blick zurück: Wie war die Lage in Hamburg vor 32 Jahren?
Um zu verstehen, wie weit die Experten schauten, muss man den Blick zurückwerfen. 32 Jahre in die Zukunft beschreiben die gleiche Distanz wie von 1986 bis heute. Damals diskutierte man über die „Unregierbarkeit der Städte“, Rückbau von Siedlungen, Bevölkerungsschwund – und auf dem Spielbudenplatz sollte ein riesiger Vergnügungsdampfer vor Anker gehen. Vielleicht hatte Karl Valentin Recht, der einstmals spottete: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg