Verkehr

Hamburger Senat lässt Tempo-30-Anträge unbearbeitet

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Ein Dieselfahrverbot gibt es schon in der Max-Brauer-Allee, Tempo 30 noch nicht. Ein Anwohner klagt deshalb.

Ein Dieselfahrverbot gibt es schon in der Max-Brauer-Allee, Tempo 30 noch nicht. Ein Anwohner klagt deshalb.

Foto: picture alliance

423 Hamburger warten teilweise schon seit Jahren auf Maßnahmen gegen Luft- und Lärmbelastung. Erst ein Antrag beschieden.

Hamburg.  Ist das schon bewusste Verschleppung – oder ist die Hamburger Verwaltung bloß vollkommen überlastet? Diese Frage stellt sich beim Blick auf die Liste der Anträge auf Einrichtung von Tempo 30 wegen hoher Luft- oder Lärmbelastung, die sich unbearbeitet in der Hamburger Innenbehörde stapeln. Insgesamt 424 Hamburger haben in den vergangenen Jahren wegen massiver gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch den Straßenverkehr beantragt, ein Tempolimit vor ihrer Wohnung oder ihrem Haus einzurichten. Das ist laut Straßenverkehrsordnung (StVO) und Gerichtsurteilen dann möglich, wenn Anwohner einer nicht zumutbaren Belastung durch Lärm oder Luftverschmutzung ausgesetzt sind.

Von den 424, oft seit Jahren vorliegenden Anträgen hat die Behörde von Innensenator Andy Grote (SPD) bisher einen einzigen beschieden – und dabei die Einrichtung von Tempo 30 abgelehnt. Alle anderen Anträge sind bisher nicht entschieden oder werden nicht bearbeitet, weil die Antragsteller nicht bereit waren, die hohe Gebühr von 360 Euro zu bezahlen, die die Grote-Behörde für die Bearbeitung verlangt. Der einzige Antragsteller, der bisher einen Bescheid erhielt, musste 889 Tage, also weit mehr als zwei Jahre, auf die Behördenantwort warten. Die bisher unbeschiedenen 423 Anträge lagen im Durchschnitt zum Stichtag 16. Oktober 2018 bereits seit 601 Tage in der Innenbehörde, ohne dass sie abschließend bearbeitet wurden. Ein Antragsteller wartet bereits seit 1230 Tagen, also deutlich länger als drei Jahre.

Kritik an Gebühren

Diese Zahlen gehen aus einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann hervor, die dem Abendblatt vorliegt. „Das ist echt dreist: Egal, was die Antragstellerinnen und Antragsteller machen, ihre Anträge zum Schutz der Gesundheit werden nicht bearbeitet“, sagt Sudmann. „Seit unfassbaren drei Jahren warten Lärm- und Abgasbetroffene auf eine Entscheidung der Behörde. Wer nicht bereit ist, 360 Euro für Bearbeitung zu zahlen, wird gleich aussortiert. Gesundheitsschutz kommt bei diesem Senat unter die Räder.“

Dass der Senat 360 Euro für die Prüfung der Anträge verlangt, stößt seit Einführung dieser Gebühren auf Kritik. Mehrere Bezirkskoalitionen und einzelne Politiker von SPD und Grünen haben bereits 2017 die Abschaffung oder Senkung der Gebühr verlangt. Der ADFC nannte die Gebühren und die Weigerung, Anträge zu bescheiden, einen „Skandal“. Die besonders hohen Gebühren hätten allein den Zweck, Bürger davon abzuhalten, ihnen zustehende Rechte wahrzunehmen, so Kritiker.

Seit mehr als einem Jahr sollte bereits über das Thema auch in der Bürgerschaft beraten werden. Offenbar sind SPD und Grüne aber auch dort zu keinerlei Resultat gekommen – womöglich in der Hoffnung, das Thema würde wieder aus der öffentlichen Debatte verschwinden. „Das ist in der Tat eine hohe Gebühr“, räumte nun immerhin auch Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) auf Abendblatt-Anfrage ein. „Aber das Thema ist im Parlament und in der Koalition noch nicht abgeschlossen.“

Noch 48 Verfahren anhängig

Die Innenbehörde begründet die Erhebung der hohen Gebühren damit, dass „für die rechtskräftige Bescheidung komplexe Prüfverfahren erforderlich sind“, etwa „Aufbereitung von Verkehrsdaten“, Lärmberechnungen, Einschätzungen möglicher Verlagerungs­effekte oder Auswirkungen auf den Busverkehr durch Tempolimits.

Wie es aus der Innenbehörde weiter heißt, habe man allen Antragstellern mitgeteilt, dass Gebühren von bis zu 360 Euro erhoben würden. Wenn diese die Zahlung nicht zugesagt hätten, habe man die Bearbeitung der Anträge eingestellt. Laut Senatsantwort auf die Linken-Anfrage sind derzeit noch 48 Verfahren anhängig, mithin: 48 Hamburger waren in der Hoffnung auf bessere Luft oder weniger Lärm bereit, die hohe Summe zu bezahlen. Bescheide aus der SPD-geführten Behörde haben sie trotzdem noch nicht erhalten.

Acht Anwohner haben Klagen eingereicht

„Nicht die komplexen Prüfverfahren sind das Problem“, sagt Linken Verkehrspolitikerin Sudmann mit Blick auf die hohen Gebühren und die extrem lange (Nicht-)Bearbeitungsdauer – „sondern die Komplexe in der Verkehrspolitik“. Offenbar haben nicht alle Hamburger die Geduld, jahrelang darauf zu warten, dass der rot-grüne Senat seine Arbeit macht.

Mittlerweile laufen acht Klageverfahren beim Hamburger Verwaltungsgericht, in denen Anwohner auf „verkehrsbeschränkende Maßnahmen“ nach Paragraf 45 der Straßenverkehrsordnung vor ihren Wohnungen klagen. Die Verfahren betreffen die Straßen Schwanenwik, Kirchwerder Landweg, Rissener Landstraße, Sülldorfer Brooksweg, Schäferkampsallee, Max-Brauer-Allee, Heimfelder Straße.

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