Hamburg. Eine Viertelstunde nach dem vereinbarten Termin kommt Michael Poliza im Laufschritt durch die Tür seiner Galerie. „Entschuldigung“, sagt er zerknirscht. „Ich habe zu Hause im Büro einfach die Zeit vergessen.“ Dann lässt er sich auf den Stuhl fallen und holt seinen Laptop heraus, auf dem er ein paar Bilder aus seinem Leben vorbereitet hat. „Das macht es vielleicht ein bisschen leichter.“
Bilder sind es auch, die man sofort im Kopf hat, wenn man an den Hamburger denkt. Solche von den großen Elefantenaugen, die einem direkt ins Herz zu schauen scheinen. Von der Giraffe am Wasserloch, die ihre Beine in einer geradezu perfekten Formation angeordnet hat. Oder von dem Eisbär, der durch eine lilafarbene Blumenwiese schreitet. Oder … man könnte lange so weitermachen.
Wer Polizas Geschichte erzählen will, muss viele Geschichten erzählen. Die vom Fotografieren natürlich, aber auch die von der Fernsehkarriere, der eigenen Computerfirma oder der Weltreise mit einem Motorboot. Aber fangen wir von vorne an.
19-mal umgezogen in ersten 18 Lebensjahren
Poliza wuchs in Hamburg als Sohn eines Versicherungsvertreters und einer Restaurantbesitzerin auf. Lernte schon früh ein unstetes Leben kennen. „Ich bin in den ersten 18 Jahren meines Lebens 19-mal umgezogen“, sagt er. Seine Mutter habe „Hummeln im Hintern“ gehabt, konnte nie lange an einem Ort bleiben. „Mal passten ihr die Nachbarn nicht. Mal wollte sie eine größere Wohnung beziehen. Oder wir zogen hinter ihrem neuen Job her.“ Die Familie habe sich dem Drang nach Veränderung angepasst, was sollte sie auch anderes tun. „Vielleicht wurde da die Grundlage für meinen Lebensstil gelegt.“
Im Restaurant seiner Mutter, das in der Nähe vom Studio Hamburg lag, wurde der damals zehn Jahre alte Junge auch für das Fernsehen entdeckt. „Wir hatten viele Besucher aus den Filmstudios. Ein Stammkunde war Produzent. Um ehrlich zu sein, war der hinter meiner Schwester her“, sagt Poliza und lacht. Der habe sich wohl gedacht, dass der Weg zur Schwester über den Bruder führt. Und ihn eines Tages gefragt, ob er nicht Lust habe, in einem Film eine Komparsenrolle zu übernehmen. Hatte Michael.
Aus einer kleinen Rolle wurden schnell mehr. Für rund 100 Filme stand der junge Poliza in den darauffolgenden Jahren vor der Kamera. Oder auf verschiedenen Bühnen, wie der des Thalia Theaters. Sein bis heute wohl bekanntester Auftritt war 1975 die Rolle des jungen Walter Kempowski im Film Tadellöser & Wolff. „Das waren tolle Erlebnisse für einen Jungen wie mich“, sagt Poliza. Doch irgendwann war Schluss. Und das nicht, weil es keine Angebote mehr gegeben hätte. Nein, Poliza selbst beendete die erste Geschichte seines Lebens. Und ging als Austauschschüler nach Amerika, um dort den Highschool-Abschluss zu machen. Und seine Leidenschaft für Computer zu entdecken.
Bill Gates zu treffen war nichts Besonderes
Der junge Mann studierte in den USA Computer Science. Zu einer Zeit, als in Deutschland sich die wenigsten mit diesem Thema befassten. Zurück in der Heimat war er mit seinem Wissen deshalb ein gefragter Mann. Arbeitet als Werkstudent für IBM und hatte schnell mehrere Auftraggeber gleichzeitig. „In dieser Zeit habe ich wirklich jeden Job angenommen, den ich spannend fand. Aber nicht wegen des Geldes, sondern einfach aus Spaß.“ Bis heute ist das sein Motto: „Wenn etwas Freude macht, steckt man automatisch viel Energie hinein und liefert gute Ergebnisse ab. Und mit der guten Leistung kommt eigentlich immer ein finanzieller Erfolg.“
Überhaupt scheint es Poliza nie schwergefallen zu sein, seine Interessen durchzusetzen. Ideen zu verwirklichen. Das zeigt das Beispiel seiner ersten eigenen Firma. Der Computerriese IBM begann Mitte der 80er-Jahre, seine Produkte auch in Deutschland zu vertreiben. „Ich will dabei mithelfen“, habe Poliza sofort dem Unternehmen signalisiert.
Eigentlich, so erzählt er heute, sei er eine viel zu kleine Nummer gewesen, um in das Importgeschäft einzusteigen. Doch er drängelte so lange, bis er schließlich eine Lizenz zum Verkauf erhielt. Poliza wär nicht Poliza, wenn es bei einer Lizenz und einigen verkauften Computern geblieben wäre. Innerhalb eines halben Jahres sei er zum größten IBM-Händler Deutschlands aufgestiegen, so Poliza. Belieferte beinahe alle großen Hamburger Unternehmen. „Das war eine irre Zeit“, sagt er noch heute.
Die Geschichten aus diesen Jahren klingen wirklich verrückt. Da sind Flüge nur für ein Meeting nach Amerika („Was für ein Wahnsinn“). Oder „ganz normale Treffen“ mit Bill Gates. „Der flog damals auch noch Economy, ein total netter Typ“, sagt Poliza und betrachtet lachend das Bild von sich und dem Microsoft-Gründer. Doch irgendwann wurde ihm die Nummer zu groß. Vielleicht brauchte der Hamburger aber auch eine Veränderung. Poliza verkaufte sein Unternehmen und hatte noch vor seinem 30. Lebensjahr die erste Million verdient.
Er war einer der Mitbegründer von Cinemaxx
Über die kommenden Jahre geht Poliza im Gespräch schnell hinweg. Auch wenn sie nicht minder interessant zu sein scheinen. So war er gemeinsam mit Hans-Joachim Flebbe einer der Mitbegründer der Kinokette Cinemaxx. Es folgte eine zweite Computerfirma und deren Verkauf in den 90er-Jahren. „Dann stand ich plötzlich da und musste mir zum ersten Mal überlegen, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen will“, sagt Poliza. Er holte erst einmal das nach, was er total vernachlässigt hatte: das Reisen. Er flog um die Welt und begann, mit Fotos und Videos seine Erlebnisse festzuhalten. Schnell wurde Hamburg zu klein, Deutschland zu eng.
Also zog er ganz nach Amerika. Und beschloss, mit einem Schiff die Welt zu erkunden. „Ich war beim Verkauf der Firma in Aktien bezahlt worden. Und die sanken zu dieser Zeit eigentlich täglich im Wert, noch während der Sperrfrist. Also konnte ich nichts tun, musste zusehen, wie mein Vermögen immer kleiner wurde.“
Doch die Idee begraben, das war nicht Polizas Sache. Er beschloss, sich Partner für sein Projekt zu suchen. So landete er schließlich beim „Stern“. „Wie wär es“, schlug er der Redaktion vor, „wenn ich zum Jahrtausendwechsel drei Jahre lang um die Welt fahre und in einem Tagebuch immer von meinen Erlebnissen berichte?“ Der „Stern“ ließ sich darauf ein, auch weil Poliza Gelder von Sponsoren besorgte.
Sein erster Bildband war ein großer Erfolg
So konnte er 1998 mit der „Starship“, einer 23 Meter langen Motoryacht, und einem etwa zehnköpfigen Team, darunter Wissenschaftler und Fotografen, von den USA aus starten. Diese Weltreise ist seine dritte große Lebensgeschichte. Poliza machte Bilder von Orten, an denen vor ihm kaum Menschen fotografiert hatten. Die Reise dauerte 1000 Tage, 950 war Poliza an Bord. Der „Stern“ veröffentlichte beinahe jede Woche eine Geschichte oder einen Tagebucheintrag – und Poliza entdeckte das Fotografieren für sich.
Nach drei Jahren stand er, sagt er noch heute, aber wieder genauso da wie vorher. Das Projekt war beendet – und der mittlerweile 43-Jährige hatte keinen Plan, was er mit seinem Leben anfangen wollte. „Meine Freundin war mir auf der Reise abhandengekommen. Einen Job hatte ich nicht mehr.“ Und ein Zuhause nach dem Verkauf des Schiffes schon gar nicht. Das ging übrigens, auch nicht ganz uninteressant, an Gene Hackmann.
Dieses Mal landete Poliza in Afrika. Mit der Kamera und einem Rucksack zog er durch die Nationalparks und begann, Natur und Tiere zu fotografieren. „Ich durfte in den Parks umsonst leben und habe den Betreibern dafür meine Fotos zur Verfügung gestellt“, sagt er. Poliza zeigt jetzt einige Bilder, die bewusst anders sind als Tieraufnahmen, die man sonst so kennt. Hier sieht man beispielsweise nur den üppigen Bart rund um das Maul eines Löwen. Dort die Augen eines Elefanten oder die Schatten, die eine Herde auf den Boden wirft. Dazu atemberaubende Luftaufnahmen, die den Kontinent und seine Landschaften zeigen. „Naturfotografie erfordert viel Geduld“, sagt er. „Und einen Riecher für den richtigen Moment. Denn man kann ja nie sagen, bitte noch einmal.“
2006 veröffentlichte Poliza mit „Africa“ seinen ersten Bildband. Und wurde vom Erfolg überrollt. Auf der ganzen Welt wurde der Titel besprochen, war in den USA am ersten Tag ausverkauft. Seitdem hat Poliza viele Fotobände veröffentlicht. Wie „Eyes over Africa“, das Buch zu einer Helikopterreise von Hamburg nach Kapstadt. Oder „Antarctic“, in dem er das Leben im Eis dokumentiert hat.
Lebensmittelpunkt wieder in Hamburg
Mittlerweile hat Poliza seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Hamburg zurück verlegt. Hier wohnt er jetzt mit seiner Lebensgefährtin Marlies und seinen zwei „Beutekindern“ in Eppendorf. Doch noch immer ist der 60-Jährige nicht sesshaft. Denn Poliza bringt Interessierte an die „schönsten Orte der Welt“, wie er sagt. Hat dafür eine kleine Reiseagentur gegründet.
Mittlerweile hat er einen weltweiten exklusiven Kundenstamm. Denn die Reisen sind teuer. Bis zu 800.000 Euro haben die schon für seine Arrangements bezahlt. Geht natürlich auch günstiger. Rund 60 Trips plant und führt Michael Poliza Private Travel jetzt jedes Jahr durch. Auf einigen ist er selbst dabei: „Alles schaffe ich nicht, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste“, sagt er und lacht.
Dabei ist ein neues Projekt bereits in Planung. Reden will er darüber noch nicht. Nur so viel: „Ich möchte noch etwas starten, das mich bis ins hohe Alter begleiten kann.“ Und auch in Hamburg hat Poliza Pläne: Anfang kommenden Jahres soll ein Bildband mit Fotografien über die Hansestadt erscheinen. Ein Projekt, vor dem Poliza richtig Respekt hat. „Schließlich soll es ein besonderes Buch werden.“ Und das ist in Hamburg, dieser so oft fotografierten Stadt, fast so schwer wie damals in Afrika.
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