Hamburger Bürgerschaft

Opposition macht die Senatorin Leonhard fassungslos

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Andreas Dey

Die Debatte in der Bürgerschaft über die Volksinitiative für mehr Personal in Kitas verlief emotional wie selten.

Hamburg. Sichtbare Gefühlsregungen von Senatsmitgliedern während einer Bürgerschaftsdebatte sind eher eine Seltenheit im Parlamentsbetrieb. In der Regel werden auch schwere Vorwürfe und verbale Attacken des politischen Gegners mit stoischer Gelassenheit ertragen. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) – ohnehin eine betont sachliche Politikerin – macht da keine Ausnahme. Normalerweise.

Doch am Mittwoch – der Bundestagswahlkampf lässt grüßen – war alles etwas anders. Schon die Anmeldung des Themas „Beste Bildung statt satt und sauber. Hamburg braucht einen Plan für gute Kinderbetreuung“ für die Aktuelle Stunde durch die FDP brachte die rot-grüne Koalition auf die Palme. Sich die Wortwahl der neuen Volksinitiative für mehr Kitapersonal zu eigen zu machen sei nicht in Ordnung, befand Anna Gallina (Grüne): „Sie wissen, dass die Hamburger Kitas sehr viel mehr leisten als satt und sauber“, wetterte sie in Richtung Daniel Oetzel (FDP). Überhaupt gehe ihr die Diskussion „tierisch auf den Geist“, schimpfte Gallina und betonte, dass sie ihre drei Kinder in Hamburger Kitas sehr gut aufgehoben sehe.

Vorwurf der Planlosigkeit

Uwe Lohmann (SPD) wies den Vorwurf der Planlosigkeit erbost zurück. „Wir haben einen Plan, und er ist in Umsetzung“, so der Familienpolitiker, der als Beleg die Segnungen SPD-geführter Senate herunterbetete: Kitagebühren abgeschafft, kostenloses Mittagessen, mehr Mittel für Sprachförderung, eine nahe an 100 Prozent reichende Betreuungsquote im Elementarbereich und die feste Vereinbarung mit Elternverbänden und Kitaträgern, bis 2021 die Erzieher-Kind-Relation in den Krippen von jetzt 1:5,1 auf 1:4 zu verbessern.

Die Forderungen der Initiative würden die Ausgaben der Stadt für Kitas, die jetzt schon bei mehr als 700 Millionen Euro im Jahr liegen, noch einmal um 300 bis 400 Millionen Euro erhöhen, so Lohmann. „Wie wollen Sie das finanzieren?“, fragte er an die Adresse der Opposition.

Schlechte Erzieher-Kind-Relation

Doch die dachte gar nicht daran, Finanzierungsvorschläge zu machen, sondern legte genüsslich den Finger in die Wunde: „Rot-Grün bekommt bei der Qualität in der Kindertagesbetreuung keinen Fuß auf den Boden“, so FDP-Politiker Oetzel. Mit einer Betreuungsquote von 1:5,1 in den Krippen habe Hamburg der jüngsten Bertelsmann-Studie zufolge „weiter die rote Laterne aller westdeutschen Bundesländer“. Rechne man Ausfallzeiten für Urlaub, Krankheit, Fortbildung und „mittelbare Pädagogik“ wie Elterngespräche dazu, sei die Erzieher-Kind-Relation in Wahrheit viel schlechter. „Der Senat verschließt die Augen vor der Realität“, so Oetzel.

Philipp Heißner (CDU) schlug in die gleiche Kerbe: Tatsächlich müsse sich eine Erzieherin mitunter um neun oder zehn Kleinkinder kümmern, die Quote von 1:5,1 habe nur theoretischen Wert und verbessere sich seit Jahren nicht. Heißner forderte sogar eine Entschuldigung dafür, dass der Senat kürzlich das Gegenteil behauptet habe.

Senatorin winkt ab und blickt genervt zur Decke

Auch Mehmet Yildiz (Linkspartei) passte sich dem Debattenton an: „Sie werden wieder auf die Schnauze fallen“, prophezeite er dem Senat mit Blick auf die Volksinitiative, hinter der das Kitanetzwerk Hamburg steht. Wie berichtet, fordert diese, einen Betreuungsschlüssel von 1:4 unter Einbeziehung der Ausfallzeiten zu erreichen. Ab Oktober sollen Unterschriften gesammelt werden.

Sozialsenatorin Leonhard, die den Schlagabtausch bis dahin ruhig auf der Senatsbank verfolgt hatte, stellte klar, was ein Erfolg der Initiative bedeuten würde: 3700 zusätzliche Erzieherinnen würden benötigt. Würde man das entgegen der bisherigen Politik doch wieder den Eltern in Rechnung stellen, koste das „mehrere Hundert Euro“ pro Haushalt und Monat, so Leonhard. Alternativ könne man natürlich auch weniger Kitaplätze anbieten. „Aber welche Botschaft wäre das?“, fragte die Senatorin und gab, inzwischen auf Betriebstemperatur, selbst die Antwort: „Das wäre der falsche Weg.“

Für die Öffentlichkeit attraktiver werden

Zurück auf der Senatsbank, verfolgte Leonhard sichtlich fassungslos den Fortgang der Debatte. Während ihre SPD vor allem CDU und FDP zu entlocken versuchte, ob sie die Kitagebühren wieder einführen wollten (nein, das Thema sei durch) oder die Zahl der Plätze reduzieren wollten (auch nicht) oder sonst einen Finanzierungsvorschlag hätten (nicht wirklich), schüttelte Leonhard den Kopf, winkte ab, blickte genervt zur Decke des Plenarsaals oder hielt sich die Hände über den Kopf.

So viel Emotionalität, im Plenum und auf der Senatsbank, sieht man nicht oft im Rathaus. Aber die Bürgerschaft hat sich ja ohnehin vorgenommen, für die Öffentlichkeit attraktiver zu werden. Solche Debatten tragen dazu bei.

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