Hamburg. Aus den Lautsprechern ertönt Jazz. Eine Kerze brennt. Es riecht nach Essen. Christoph Zettler hat in seiner Wohnung im Karoviertel für seine Freundin gekocht – doch bevor Claudia den romantischen Abend genießen darf, muss sie erst einmal mit anpacken. „Meine Freundin ist mittlerweile ganz gut im Lichthalten“, sagt der 34-Jährige, der jedes erstmals selbst gekochte Gericht vor dem ersten Bissen fotografiert.
Denn im Idealfall wird aus dem kulinarischen Genuss für die Freundin ein Verkaufsschlager. Der Diplom-Volkswirt ist vielen Hamburgern wohl nur mit verkürztem Vornamen bekannt. Seit zwei Jahren steht er mit seinem Lastenfahrrad an der U-Bahn-Station Hoheluftbrücke und verkauft sein Produkt: Chris’ Kochtüte. Darin stecken für ein oder zwei Personen portionierte Mahlzeiten wie Avocado-Pasta mit angerösteten Walnüssen, Allgäuer Kässpätzle oder Quesadilla. Jeden Tag sind es andere Gerichte, die er anbietet.
Einkaufen im Supermarkt entfällt
Sie müssen von den Kunden anhand des beigefügten Rezepts mit den in der Papiertüte steckenden Zutaten nur noch selbst gekocht werden. Das Einkaufen im Supermarkt entfällt. Die maximale Arbeitszeit soll bei 20 Minuten liegen. Das Konzept kommt offenbar an. „Jeden Monat wird es eine Tüte mehr, manchmal verkaufen wir schon 80 Stück am Tag“, sagt Zettler und plant jetzt die nächsten Expansionsschritte.
Bereits seit vergangenem September gibt es einen zweiten Verkaufsstand. Sein Anfang 2016 eingestiegener Geschäftspartner David Weidemann (34) verkauft an der U-Bahn-Station Schlump aus dem Lastenfahrrad heraus. Mit der Hochbahn liefen derzeit Gespräche über weitere Standorte, sagt Zettler. Drei Stationen seien in der engeren Wahl. Sie liegen im Zentrum und im Westen der Hansestadt. Er hofft auf eine schnelle Einigung und einen Verkaufsstart im Herbst. Dann soll mit André Linke ein weiterer Partner in das Unternehmen einsteigen.
Neben ihren mobilen Verkaufstresen an U-Bahn-Stationen setzt das Unternehmen mit Sitz auf St. Pauli auf einen weiteren Vertriebsweg. Es will mit kleinen lokalen Einzelhändlern kooperieren. Chris’ Kochtüte, die für eine Person meist zwischen fünf und sechs Euro und für zwei Personen zwischen neun und zwölf Euro kostet, soll bald in Kiosken, Blumen- oder Designer-Möbelläden stehen.
„Wir sind uns sicher, dass wir deren Laufkundschaft steigern können“, sagt Zettler und spricht von einer Win-win-Situation. Eine neu eingestellte 450-Euro-Kraft soll die Händler vom Konzept überzeugen. Zudem lässt er eine App entwickeln, die die Wochenkarte anzeigt und die Bestellung und Bezahlung ermöglichen soll. Im Herbst soll das Handyprogramm startklar sein. Zettler: „Dann versuchen wir, Hamburg zu erschließen.“
Rund 80 Gerichte sind mittlerweile im Angebot
Die Expansionspläne kosten natürlich etwas. Bisher steckt eine niedrige bis mittlere fünfstellige Summe im Unternehmen. Ein weiterer Kredit bei seiner Hausbank Haspa ist angedacht. Denn auch wenn die Kundenzahl steige, bliebe unterm Strich nach Begleichen der Kreditraten nicht viel übrig, sagt Zettler: „Ich kann davon leben, aber es reicht nicht, um auf die Malediven zu fliegen oder mir ein Auto zu kaufen.“ Letzteres soll aber künftig her. „Wir haben viele Anfragen aus Barmbek, Wandsbek und Winterhude“, sagt Weidemann.
Und um die Tüten, die in einer gewerblichen Küche in der Sternschanze gepackt werden, zu Standorten in diesen Stadtteilen zu transportieren, sei ein Lieferwagen nötig. Für jeden weiteren Standort an den Bahnhöfen muss ein neues Fahrrad gekauft werden, das mit etwa 3000 Euro zu Buche schlägt. Die Räder brauchen eine eigene Kühlung, weil die Temperatur der Waren konstant unter sieben Grad Celsius gehalten werden muss. Außerdem sollen mit dem Geld Kühlschränke angeschafft werden, falls die Kooperationspartner im Einzelhandel über solche Geräte nicht verfügen.
Lust aufs Kochen, keine aufs Einkaufen
Auf die Idee für sein Unternehmen kam Zettler übrigens, als er in seinem früheren Beruf als Banker auf dem Weg nach Hause war. Der Hobbykoch hatte Lust aufs Kochen, aber keine aufs Einkaufen. „Da dachte ich mir: Es wäre toll, wenn einer an der U-Bahn-Station stehen und fertige Kochtüten verkaufen würde. Es stand aber keiner da – deshalb habe ich das in die Hand genommen.“
Nach acht Monaten Planung war er im April 2015 erstmals an der Hoheluftbrücke. Sein Tagesablauf: Morgens druckt er Rezepte und Etiketten, macht die Buchhaltung. Anschließend kaufen er und Weidemann in einem Großmarkt die Waren ein, die sie ab dem späten Vormittag in die Papiertüten packen. Dann radeln sie zu den Verkaufsplätzen. In der Regel gibt es Chris’ Kochtüte montags bis freitags von 16 bis 19 Uhr zu kaufen. „Wir brauchen keinen Strom, keinen Lagerraum. Wir kommen, verkaufen und sind drei Stunden später wieder weg“, sagt Zettler.
„Wir rennen keinem Foodtrend hinterher“
Mittlerweile sind rund 80 Gerichte im Angebot. Wer immer Bioware haben will oder nur vegan oder glutenfrei isst, ist bei ihm an der falschen Adresse. „Wir rennen keinem Foodtrend hinterher. Es muss einfach schmecken“, sagt Zettler. Wenn man in Maßen und abwechslungsreich esse, könne man ohnehin alles zu sich nehmen.
Drei- bis viermal im Monat bietet er neue Rezepte an, häufig wird er dabei inspiriert von Kundenanregungen. Die Rezepte probiert er zum Teil bis in die späten Abendstunden aus. Auch wenn sein Arbeitstag jetzt deutlich länger sei als in der Bank – zurück will er in seinen früheren Beruf nicht. Ein Relikt aus der Zeit ist allerdings geblieben. Zettler: „Ich habe jede Menge Anzüge im Schrank – aber keine Gelegenheit mehr, sie anzuziehen.“
Chris’ Kochtüte wird normalerweise montags bis freitags von 16 bis 19 Uhr (oder bis alles weg ist) an den U-Bahn-Stationen Hoheluftbrücke und Schlump verkauft. Weitere Informationen unter www.chriskochtüte.de
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