Hamburg. Nie zuvor hat eine Opposition dem Senat so heftig zugesetzt wie in diesen Tagen – jedenfalls wenn man die Anzahl der Anfragen zugrunde legt, die die 121 Bürgerschaftsabgeordneten einreichen. Im ersten Quartal dieses Jahres hat die vor allem bei der Opposition große Fragelust nach einem Rekord im vergangenen Jahr einen weiteren Höhepunkt erreicht: Durchschnittlich 291 Anfragen pro Monat gingen beim Senat nach dessen Angaben bisher im Jahr 2017 ein – so viele wie nie zuvor. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 wurden pro Monat noch durchschnittlich 177 Anfragen gestellt.
Die Kleine Anfrage gilt als „schärfstes Schwert der Opposition“. Laut Verfassung darf jeder Abgeordnete Fragen an den Senat richten, die dieser binnen acht Tagen zu beantworten hat. In der Praxis macht vor allem die Opposition von diesem Recht Gebrauch – denn sie soll ja die Regierung kontrollieren. Neben Kleinen gibt es auch Große Anfragen, mit denen sehr umfassende Informationen abgefragt werden und zu deren Beantwortung der Senat mehr Zeit hat.
Der immer rasantere Anstieg der Zahl der Anfragen ist vor allem aus Sicht des Senats problematisch. Mittlerweile würden mit der oft aufwendigen Beantwortung immer mehr Behördenmitarbeiter beschäftigt, heißt es. So entstünden bisweilen groteske Situationen. Wenn die Opposition etwa immer wieder neu frage, warum diese und jene Aufgaben in den Behörden nur schleppend erledigt würden, könne man im Grunde antworten: Weil die Mitarbeiter pausenlos Anfragen der Opposition beantworten müssen und deswegen ihren eigentlichen Job nicht machen können.
Aus dem Senatsumfeld werden mittlerweile schon die Medien gedrängt, nicht länger über Oppositionsanfragen zu berichten. Wenn man weiterhin eine funktionierende Verwaltung wolle, müsse man über eine Reform des Systems nachdenken, sagt mancher hinter vorgehaltener Hand.
Anfragen zu „Massengeschäft“ geworden
Offiziell will gleichwohl niemand an den verfassungsmäßigen Rechten der Parlamentarier rütteln, auch wenn die Anfragen mittlerweile längst zu einem „Massengeschäft“ geworden sind, wie der Senat jetzt schrieb – in einer Antwort auf eine ebensolche Anfrage. „Der Senat nimmt seine Antwortpflicht sehr ernst und setzt hierfür erhebliche Personalressourcen ein“, sagt Senatssprecher Jörg Schmoll offiziell auf Abendblatt-Anfrage. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) räumt derweil ein, dass die hohe Zahl der Anfragen auch in der Bürgerschaftskanzlei den Arbeitsaufwand erhöhe.
Ein Grund für den Anfragerekord dürfte sein, dass es mit CDU, Linke, FDP und AfD seit 2015 mittlerweile vier Oppositionsfraktionen in der Bürgerschaft gibt. Für die CDU hat sich der Senat die rasant gestiegene Zahl der Anfragen aber vor allem selbst zuzuschreiben. „Sie ist nicht nur Ausdruck der engagierten Arbeit der Opposition, sondern auch Resultat der dürftigen und teilweise rechtswidrigen Auskunftspraxis dieses Senats, die vielfach zu Nachfragen führt“, sagt etwa CDU-Fraktionschef André Trepoll. „Der Senat könnte der Verwaltung viel Arbeit ersparen, wenn er auskunftsfreudiger antworten und die Abgeordneten besser in den Fachausschüssen informieren würde.“
„Unterirdisches Antwortverhalten“
Diese Einschätzung teilt auch der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Michael Kruse. „Der rot-grüne Senat legt ein unterirdisches Antwortverhalten an den Tag. Immer mehr Aufwand müssen Abgeordnete betreiben, um an gehaltvolle Informationen zu gelangen“, so Kruse. „Viele Nachfragen sind nur deshalb erforderlich, weil der Senat systematisch Antworten aus den Fachbehörden verändert, kürzt und Auskünfte verweigert.“
„Besorgniserregende Tendenz des Senats“
Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus konstatiert ebenfalls „eine besorgniserregende Tendenz des Senats, auf Anfragen sehr schmallippig, ausweichend bis gar nicht zu antworten“. Dabei werde oft auf angebliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter verwiesen – allerdings offenbar nicht immer zu Recht, wie jetzt eine Prüfung durch die Juristen der Bürgerschaftskanzlei ergeben habe.
Weil der Senat einzelne Fragen von Linken-Abgeordneten zu Bäderland und zur Elbkinder Kita kürzlich mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse nicht bzw. nicht umfassend genug beantwortete, kassierte er jetzt eine Rüge von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit. Die Sozialdemokratin attestierte in einem Schreiben an die Linksfraktion, das dem Abendblatt vorliegt, einen „offensichtlich groben Verstoß“ des Senats und forderte Bürgermeister Olaf Scholz (ebenfalls SPD) auf, die Senatsantwort nachbessern zu lassen. Begründung der Bürgerschaftsjuristen: Bei öffentlichen Unternehmen könne der Senat nicht gleichermaßen auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verweisen wie bei Firmen Dritter.
„Präsidentin zeigt Senat Gelb-Rote Karte“
„Dass nun die Präsidentin höchstselbst dem Senat in seiner zentralen Ausrede die Gelb-Rote Karte gezeigt hat, ist hocherfreulich“, sagte Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus dem Abendblatt. „Nun hat die Präsidentin im Grundsatz klargestellt, dass der Senat zu Sachverhalten bei öffentlichen Unternehmen antworten muss.“
Auch wenn Teile der Opposition das vielleicht anders wahrnehmen: Die Bürgerschaftspräsidentin sieht offenbar gleichwohl keine prinzipielle Verschlechterung beim Antwortverhalten des Senats in der aktuellen Wahlperiode. „In dieser Legislaturperiode hat es 39 Beschwerden von Abgeordneten über Antworten des Senats gegeben“, so Veit. „Das betrifft also gerade einmal 0,6 Prozent aller Senatsantworten.“
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