Hamburg. Jan Kolthoffs professionelle Karriere begann in der 3. Liga. Nach dem Abitur in Buchholz in der Nordheide und der abgeschlossenen Berufsausbildung heuerte er als Physiotherapeut beim Fußballclub Wacker Burghausen an. Eine Saison später wechselte er zurück in den Norden – und stand einige Monate in Diensten des FC St. Pauli. Dann war Schluss mit Fußball, vor knapp vier Jahren gründete der heute 28-Jährige ein Unternehmen.
Statt in muffigen Umkleide- und Massageräumen von Sportzentren und mittelgroßen Stadien arbeitet er seitdem in den Büroetagen namhafter Unternehmen wie dem Shoppingcenterbetreiber ECE, Lotto 24, der Unternehmensberatung Taylor-Wessing, bei Hochtief und in Werbe- und PR-Agenturen.
Der Test: Kleine Übungen mit großem Effekt
Das Produkt: Eben noch schnell eine Meldung schreiben, dann von Schreibtisch und Bildschirm rüber in eine Ecke des Redaktions-Großraumbüros, in dem die Arbeitsplätze gerade nicht besetzt sind. Trainer Jan Kolthoff bittet zur Bewegten Mittagspause.
Wie die freiwilligen Teilnehmer an seinem Rückentraining trägt er Bürokleidung, die dehnbaren, sogenannten Thera-Bänder aus Kautschuk, hat er in einem Beutel mitgebracht. Wir fangen mit einigen Lockerungs- und Aufwärmübungen an. Arme vor der Brust verschränken, dann den Oberkörper drehen: fünfmal nach links, fünfmal nach rechts – nächste Übung: Rumpfbeugen, dann mit der rechten Hand so weit es geht Richtung der Fußspitzen links, danach umgekehrt. Dann kommen die Thera-Bänder zum Einsatz: Fuß draufstellen, dann mit beiden Armen gleichzeitig hochziehen. Danach: Das Band vor der Brust spannen und ganz langsam wieder entspannen.
Es sind nur einige der 150 Übungen des Programms. Schon nach einigen Minuten werden Rücken, Nacken, Arm- und Beinmuskeln warm. Am Ende der 30 Minuten sagt einer der Teilnehmer: „Kleine Übungen, aber sie bringen was“, ein anderer: „Viel besser als nur aufstehen und ein bisschen herumlaufen.“
Die Kosten: 70 Euro für 30 Minuten mit 20 Teilnehmern – das sind bei einem Training pro Woche 3,50 Euro pro Mitarbeiter. Und weil ein Unternehmen das Honorar als Betriebsausgabe verbuchen kann, wohl nur 2,50 Euro.
Fazit: Viele Übungen könnte man allein machen, aber Trainer und fester Kursustermin helfen, den inneren Schweinehund zu überwinden – und die Übungen bringen schon beim ersten Mal etwas. Buchen können den Service aber nur Firmen, Mitarbeiter müssen den Chef schon überzeugen – und notfalls mittrainieren, wenn der den Kursus nicht als Arbeitszeit anerkennt. Abendblatt-Urteil: Macht Spaß, ist gesund, volle Punktzahl. Fünf von fünf Sternen.
Und statt sich um die verhärteten Waden oder Oberschenkel von Nachwuchskickern zu kümmern, sind die erschlafften Rücken- und Nackenmuskeln dauersitzender Damen und Herren in Businesskleidung das wichtigste Betätigungsfeld des Physiotherapeuten. Kolthoffs Firma heißt Move up, ihr bei Weitem umsatzstärkstes Dienstleistungsangebot trägt den Namen „Die bewegte Mittagspause“ (www.bewegtemittagspause.de) und beschreibt ziemlich genau, worum es geht: Bewegung am Arbeitsplatz, Rückentraining im Büro.
„Verspannungen im Nacken und im unteren Rücken, Probleme mit den Bandscheiben und der sogenannte Maus-Arm sind unter Schreibtischarbeitern weit verbreitet“, sagt Kolthoff. Immer mehr Unternehmen sind bereit, in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu investieren und dafür Arbeitszeit zu opfern und Geld für professionelle Trainer wie Jan Kolthoff zu bezahlen. Eine aktuelle Studie der Techniker Krankenkasse ergab, dass mittlerweile jeder 20. Arbeitnehmer in Deutschland ein solches Training am Arbeitsplatz wahrnehmen kann, drei Jahre zuvor waren es vier Prozent.
Motivation der Unternehmen ist vielfältig
Die Motivation der Unternehmen ist vielfältig: Sie wollen die Arbeitskraft und Gesundheit der Mitarbeiter erhalten, weil das langfristig billiger ist, als teuer ausgebildeten Beschäftigten im Krankheitsfall den Lohn weiterzuzahlen. Es geht aber auch um ein bisschen Entspannung und Abwechslung im oft stressigen Arbeitsalltag. „Wir wollen auch Spaß vermitteln, das Team-Building in Abteilungen und Kontakte zwischen Mitarbeitern fördern, die sonst wenig oder gar nicht in Kontakt sind“, sagt Kolthoff.
Die Erfahrung zeige, das die Teilnehmer nach einer Trainingseinheit ausgeglichener, entspannter und damit zugleich leistungsfähiger seien. Und für von vielen Unternehmen heftig umworbene Ingenieure und rare IT-Fachkräfte könne das an sich weiche Kriterium, ob es ein Fitnessangebot am Arbeitsplatz gibt, letztlich doch bedeutsam werden bei der Auswahl des künftigen Arbeitgebers.
Viele Kassen sind aufgeschlossen
Kolthoff ist einer von mehreren Anbietern in Hamburg. „Wir sind der größte und bekannteste in der Stadt“, sagt der junge Firmenchef. Er und seine Hamburger Mitbewerber wie Firmenfitness Franke, MyFitness to go oder auch freiberufliche Fitness- und Personaltrainer, die solche Trainings im Büro anbieten, profitieren zudem stark von neuen gesetzlichen Vorschriften: Krankenkassen sind seit Anfang 2016 verpflichtet, aus ihren Etats Präventionsmaßnahmen auch in Unternehmen zu finanzieren, etwa im betrieblichen Gesundheitsmanagement.
Viele Kassen, sagt der Physiotherapeut, seien deshalb sehr aufgeschlossen bei Anfragen, ob sie den Teilnehmern die ersten, meist zehn Stunden eines Kurses finanzieren. Danach seien viele Firmen bereit, die 70 Euro Trainerhonorar für eine 30 Minuten-Einheit mit bis zu 20 Teilnehmern zu bezahlen – und das Training im Büro auch auf die Arbeitszeit anzurechnen. „Dann ist die Beteiligung und Nachhaltigkeit größer, als wenn der Kursus in der üblichen Mittagspause stattfindet“, weiß Kolthoff.
Geschäftsmodell entwickelt sich gut
Er selbst geht inzwischen nur noch ausnahmsweise mit Thera-Bändern und Massagebällen in die Büros der Kunden, um deren Mitarbeiter zu Kräftigung, Dehnung und Mobilisation von Muskeln und Bewegungsapparat anzuleiten. Schweißarm versteht sich, das Training findet ja in Arbeitskleidung statt. Der Physiotherapeut ist selbst zum Schreibtischarbeiter geworden, koordiniert mit einer Handvoll Mitarbeitern den Einsatz von freiberuflichen Trainern, die zumeist auch noch Kurse in Fitnessstudios geben oder als Personal-Trainer unterwegs sind.
Das Geschäftsmodell entwickele sich gut, sagt der Gründer. 2016 habe Move up 80.000 Euro Umsatz erzielt, für dieses Jahr rechnet Kolthoff mit 120.000 Euro. Und weil er in der Trainerszene gut vernetzt ist und Kontakte in ganz Deutschland hat, ist er gerade mit einem großen deutschen Autohersteller im Gespräch, dessen Mitarbeiter in Stuttgart mittags in Bewegung zu bringen.
Nächster Test Jeden Dienstag im Wirtschaftsteil. Lesen Sie am 4. April: Cider von Lazy Fox. Alle bisherigen Tests können Sie online unter www.abendblatt.de/testserie anschauen.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg