Gesundheit

Der gefährliche Erfolg der Hamburger Krankenhäuser

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Peter Wenig
Notfall-Aufnahme. Immer mehr Patienten gehen gleich ins Krankenhaus, nicht zum Hausarzt. Notaufnahme UKE

Notfall-Aufnahme. Immer mehr Patienten gehen gleich ins Krankenhaus, nicht zum Hausarzt. Notaufnahme UKE

Foto: Marcelo Hernandez

Die Kliniken müssen Gewinne machen, um in Technik und Gebäude zu investieren. Dabei wäre das Sache der Stadt.

Hamburg.  Der Weg zu Matthias Scheller (52) führt durch die turmhohe Eingangshalle des Albertinen-Krankenhauses in Schnelsen in den sechsten Stock. Das Logo mit dem stilisierten Kreuz seines Arbeitgebers trägt er am Revers, seit 2015 führt Scheller als Vorstandschef das Albertinen-Diakoniewerk. Jahresumsatz 260 Millionen Euro, mit 3600 Mitarbeitern unter den Top 20 der Hamburger Arbeitgeber. Scheller war zuvor Spitzenmanager bei Schering und Hoechst, sanierte dann als Vorstand die Berliner Charité.

Warum Hamburgs Krankenhäuser so unter Druck stehen

Schon diese Vita zeigt, dass die Krankenhausbranche der Jetzt-Zeit mit dem Schwarzwaldklinik-Idyll so viel gemein hat wie das Milliardenbusiness Profifußball mit der Uwe-Seeler-Ära. Die Claims auf dem Hamburger Markt sind seit dem umstrittenen Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser 2004 an den Asklepios-Konzern abgesteckt. Rund 53 Prozent der insgesamt 12.108 Betten gehören privaten Unternehmen; 27 Prozent gemeinnützigen Organisationen, 20 Prozent öffentlich-rechtlichen Trägern, allen voran das UKE. Doch das gern gepflegte Branchenbild – hier die eiskalten Rendite-Jäger, dort die barmherzigen Samariter – taugt nicht einmal mehr als Klischee. Jede der 35 im Hamburger Krankenhausplan verzeichneten Kliniken steht unter Druck.

Scheller weiß schon in diesen ersten Januartagen, dass es nicht reichen wird, wenn seine Häuser am Jahresende eine schwarze Null schreiben werden, was ja nach alter Lesart für einen gemeinnützigen Träger schon ein echter Erfolg wäre. Scheller braucht ein positives Jahresergebnis, um Teile der fälligen Investitionen zu schultern. Das Gesetz schreibt zwar vor, dass die Länder für die Investitionen aufkommen müssen. Laut Hamburgischer Krankenhausgesellschaft hat der Senat aber 2016 statt der angemeldeten 175 Millionen Euro nur 91 Millionen übernommen. Eine Klinik, die etwa einen neuen OP-Saal bauen will, zahlt diesen also im Schnitt zu fast 50 Prozent selbst.

Höhe der späteren Bezahlung ist oft ungewiss

Entsprechend scharf muss Scheller kalkulieren. Zwar erwartet von ihm kein Investor eine Rendite, Gewinne werden komplett in die Kliniken reinvestiert. Dafür sind die ethischen Vorgaben streng. „Unser diakonischer Auftrag muss an erster Stelle stehen“, heißt es im Leitbild des Albertinenwerks – vor allen wirtschaftlichen Zielen. Scheller sieht darin Auftrag und Herausforderung zugleich: „Ich bin Christ und habe den Anspruch, exzellente Medizin, menschliche Zuwendung und Wirtschaftlichkeit zu verbinden.“

Nur ist Nächstenliebe mit wirtschaftlicher Denke mitunter nur schwer vereinbar. Dafür sorgen Regeln mit monströsen Namen wie „Fixkostendegressionsabschlag“; die Kliniken müssen Abschläge bei den Honoraren hinnehmen, wenn sie bestimmte Eingriffe öfter machen als zuvor vereinbart. „In der Praxis führt dies dazu, dass wir hier Leistungen erbringen, von denen wir vorher nicht wissen, wie hoch wir dafür bezahlt werden“, sagt Scheller. Und immer wieder komme es vor, dass das zur Verfügung gestellte Budget der Kassen nicht annähernd kostendeckend sei: „Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten müssten wir dann Patienten wieder nach Hause schicken. Aber das machen wir natürlich nicht.“

Wirtschaftlich sind die Krankenhäuser gesund

Kaum jemand in Hamburg weiß mehr über die Krankenhausbranche als Claudia Brase. Seit zehn Jahren feilscht die einstige Ärztin nun als Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft (HKG) mit Senat und Krankenkassen um Bettenpläne, Investitionszuschüsse und Honorare. Eigentlich könnte sie eine einzigartige Erfolgsgeschichte verkünden.

Mit über 24.000 Vollzeitkräften tragen die Hamburger Kliniken ihren Teil zum Jobmotor Gesundheit der Hansestadt bei, jeder siebte Erwerbstätige der Hansestadt arbeitet inzwischen in dieser Branche. Wirtschaftlich sind die Häuser gesund, auch das UKE macht seit Jahren Gewinn, 2015 waren es zwei Millionen Euro. „Das schaffen nur ganz wenige Universitätskliniken in Deutschland“, sagt UKE-Chef Burkhard Göke stolz.

Die Anziehungskraft der Hamburger Kliniken dokumentiert der Ansturm von Patienten, die nicht in Hamburg wohnen. Fast jeder dritte Patient kommt von außerhalb, vor allem aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen.

Gemeinschaft zahlt, was Einzelner empfängt

In jeder anderen Branche würde ein solcher Boom für ein dauerhaftes Stimmungshoch sorgen. Aber die Krankenhausbranche liegt in Fesseln, die sie nicht abstreifen kann. Der renommierte Mannheimer Gesundheitsökonom Konrad Obermann vergleich dies gern mit einem Schokoriegel: „Der Kunde, der sich einen Riegel kauft, zahlt diesen selbst und isst ihn dann auf. Im Gesundheitswesen bezahlt in der Regel die Gemeinschaft die verordnete Leistung, die ein Einzelner in Anspruch nimmt.“

Diese „gigantische Umverteilungsmaschine“ (Obermann) sorgt dafür, dass ausgerechnet der Boom das Geschäft gefährdet. Gerade die spezialisierten Hamburger Kliniken leiden unter dem Rabattsystem der Kassen, einst auch eingeführt, um keine Anreize für überflüssige Operationen zu bieten. „Gute Leistung mit steigender Nachfrage wird dadurch sogar bestraft“, klagt Brase. Auch Asklepios-Vorstand Kai Hankeln sagt: „Der Gesetzgeber will mehr Leistung für weniger Geld. Das kann nicht funktionieren.“

Hamburg versorgt viele Nicht-Hamburger

Und der Bettenkampf werde in Zukunft noch schwieriger: „Hamburg zieht zwar als attraktive Metropole viele hoch qualifizierte Kräfte an. Aber sie müssen sich das Leben in einer so teuren Stadt auch leisten können“, sagt Brase. Seit Jahren klaffe die Schere zwischen Honoraren der Kassen und den Tarifsteigerungen im Personalbereich immer weiter auseinander.

Kathrin Herbst, Leiterin des Verbands der Ersatzkassen Hamburg (vdek), hält dagegen: „Hamburgs Krankenhäuser jammern auf hohem Niveau. Die Ausgaben der Krankenversicherung für die Behandlung in Hamburger Krankenhäusern lagen 2016 bei über zwei Milliarden Euro. Von 2015 auf 2016 stiegen die Ausgaben um 6,9 Prozent.“ Sie sieht den Senat in der Verantwortung: „Hamburg kommt seinen Investitionsverpflichtungen nicht nach. Die Ausgaben der Stadt entwickeln sich nicht annähernd so dynamisch wie die Leistungsausgaben des Kassen.“

Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks sagt dazu, dass sie den Wunsch nach mehr Geld verstehen kann: „Aber kein anderes Bundesland zahlt so viel wie wir. Seit 2011 waren es 650 Millionen Euro.“ Herbst gesteht zu, dass Hamburg, gemessen an der Einwohnerzahl, „im Verhältnis zu anderen Ländern gut dasteht“. Übersehen werde aber, dass Hamburg so viele Nicht-Hamburger versorgen müsse.

Wem Hamburgs Kliniken gehören - der Überblick

In Bremen, wo einige Kliniken sogar zu mehr als 50 Prozent Patienten aus Niedersachsen versorgen, wird genau diese Diskussion gerade geführt. Der CDU-Gesundheitsexperte Rainer Bensch attackiert die Landesregierung, weil die es nicht geschafft habe, Niedersachsen entsprechende Zusagen abzuringen: „Wir hätten viel mehr um das Geld kämpfen müssen.“ Die Hamburger Gesundheitsbehörde verweist darauf, dass in Kliniken, die in den Krankenhausplänen von Hamburg und Schleswig-Holstein stehen – etwa Asklepios Nord – sehr wohl gemeinsam investiert werde. Zudem würden viele Hamburger in Rehabilitationskliniken in Schleswig-Holstein und Niedersachsen versorgt.

2018 droht neue Erhöhung der Kassenbeiträge

Bei dem Gezerre um Investitionen und Fallpauschalen wird der bittere Kern des Süßwaren-Vergleichs gern übersehen. Für Krankenhausbehandlungen zahlt fast immer die Gemeinschaft. Ist da der neue OP-Saal wichtiger als die Sanierung der maroden Schule? Zudem bedeuten höhere Leistungen der Kassen höhere Beiträge. Für drei Millionen Versicherte ist der Zusatzbeitrag zum Jahresbeginn gestiegen; 2018 droht eine generelle Erhöhung.

Angesichts immens teurerer High-Tech-Medizin wird der Spagat zwischen Top-Versorgung und bezahlbaren Leistungen noch schwieriger. Ein nostalgisch verklärter Blick in Zeiten, wo Hamburgs große Kliniken in den öffentlichen Händen des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) waren, hilft indes kaum weiter. Selbst die Kritiker, die den damaligen LBK-Verkauf 2004 an Asklepios als großen Fehler betrachten, sagen intern, dass es ein „Weiter so“ niemals hätte geben können. Die Häuser, teilweise noch mit Bettensälen ausgestattet, galten in weiten Teilen als marode.

In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser

Ohnehin scheint fraglich, ob Kommunen Krankenhäuser besser führen. Laut Krankenhaus Rating Report des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI, Medhochzwei-Verlag) weisen 21 Prozent der öffentlich-rechtlichen Häuser in Deutschland „erhöhte Insolvenzgefahr“ auf.

Jeder Branchenexperte sagt, dass es einfach zu viele Krankenhäuser in Deutschland gibt. Doch jede Schließung sorgt für Widerstand. Im nordfriesischen Niebüll tuckerten im Dezember Landwirte mit Traktoren vor die örtliche Klinik, um für deren Erhalt zu demonstrieren.

In Baden-Württemberg muss gerade Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) erklären, dass 50 der 250 Kliniken kaum zu retten seien. Er hält die Diskussion in Teilen für verlogen: „Die Leute tragen sich in Unterschriften für ihr kleines Krankenhaus ein. Aber wenn sie eine Behandlung brauchen, gehen sie da lieber nicht hin.“

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