Für Ramin Yazdani (64) ist ein Besuch im Café Miller an der Detlev-Bremer -Straße ein echtes Heimspiel. Mit seiner Frau und seinem Sohn wohnt er nur ein paar Schritte entfernt. Zudem liegt das Millerntor-Stadion, die Heimat seines Clubs FC St. Pauli, gleich gegenüber. Gerade hat Yazdani einen Film für das ZDF in Zypern abgedreht. TV-Zuschauer kennen sein Gesicht, in der Serie „Hallo, Onkel Doc“ feierte er 1994 als Dr. Fazal Bahrami seinen Durchbruch im deutschen Fernsehen. Seitdem buchen ihn TV-und Kinoproduktionen regelmäßig – in Filmen wie „Der Medicus“ oder „Fünf Freunde 4“ spielte er ebenso wie in „Tatort“- sowie „Bella-Block“-Folgen. Was kaum jemand weiß: Als Yazdani 1985 aus dem Iran nach Deutschland kam, konnte er kein Wort Deutsch. Seinen Traum von einer Schauspielerkarriere, die mit neun Jahren in den Straßen im iranischen Isfahan begann, erfüllte er sich dennoch.
Herr Yazdani, am 31. Oktober läuft im Abaton-Kino wieder Ihr preisgekrönter Film „Die letzten Tage des Paris K.“ über einen Iraner, der sich nach Europa aufmacht. Sie spielen den todkranken Parvis Karimpour, der nach Madrid flüchtet, um sich mit seiner dort lebenden Tochter zu versöhnen. Wie viel Ihrer Biografie steckt in diesem Film?
Ramin Yazdani: Wenig! Ich komme zwar auch aus dem Iran, konnte aber dank eines Visums, das mir ein befreundeter Geschäftsmann besorgt hat, 1985 legal nach Deutschland ausreisen. Aber mein Bruder, meine Schwester und viele Freunde von mir waren über Jahre in Teheran als Oppositionelle im Gefängnis, genau wie meine Filmfigur Parvis, dem das Mullah-Regime die Finger in der Haft brach.
Haben Sie mit Ihren Geschwistern über die Haftzeit gesprochen?
Das ist leider ähnlich wie bei den meisten deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die über die Schrecken des Krieges auch nie geredet haben. Meine Geschwister und Freunde wollten über die Haft nicht sprechen, sie waren traumatisiert. Meinen Bruder habe ich zum Glück direkt nach der Haft nach Hamburg holen können, nachts hat er oft Albträume gehabt und ist dann schweißgebadet aufgewacht. Ihm ging es gar nicht gut. Später ist er dann nach Neuseeland gegangen. Heute ist er Filmdozent in Dubai. Meine Schwester hat nach der Haft mit 21 Jahren ihr Abitur nachgeholt, arbeitet jetzt als Psychologin.
Hätten die Mullahs Sie auch ins Gefängnis gesteckt, wenn Sie im Iran geblieben wären?
Ich weiß es nicht. Ich war nie Mitglied einer Partei, gekämpft habe ich immer für die Freiheit der Kunst und für die Kultur. Aber auch das hätte mich in große Schwierigkeiten bringen können.
Sie haben zwei diktatorische Regime hautnah erlebt. Zunächst den Schah, später die Islamisten.
Ja, aber ein Vergleich ist schwierig. Ich glaube aber, dass es den meisten Menschen unter der Herrschaft des Autokrats Schah Mohammad Reza Pahlawi insgesamt besser ging. Aber auch er hat Oppositionelle verhaften lassen. Ich habe schon als Jugendlicher Theater gespielt. Wir mussten immer mit Aufpassern des Geheimdienstes rechnen, die uns sehr klar gesagt hatten, dass wir regimekritische Stücke besser nicht spielen sollten.
Ihr Vater, ein angesehener Apotheker, war über Ihre Berufswahl bestimmt nicht glücklich.
Er wollte immer, dass ich Medizin studiere, hielt Schauspielerei für brotlose Kunst. Aber er war ein sehr liberaler und liebevoller Vater und hat mich machen lassen. Und er hat mir gesagt: Du musst nach Deutschland, dort lebt ein Bruder von dir. Ich habe ihn gefragt: Papa, hattest du etwas mit einer anderen Frau? Er hat nur gelacht. Erst viel später habe ich erfahren, dass er einfach für Deutschland schwärmte, obwohl er dort nie war.
Wie ist das zu erklären?
Deutschland hat im Iran ein sehr großes Ansehen. Wir hatten über Jahrhunderte gute Beziehungen. Ihr habt nie versucht, uns zu kolonialisieren wie die Amerikaner oder Engländer.
Zunächst aber hat es Sie in die USA gezogen.
Ja, ich habe in Michigan Volkswirtschaft und in Chicago Theaterwissenschaften und Film studiert. Diese Städte waren damals unter den Iranern sehr angesagt.
Wie haben Sie das alles finanziert?
Ich habe als Barmixer und als Taxifahrer gearbeitet. Ich konnte zwar keinen einzigen Cocktail mixen, habe es mir aber selbst beigebracht. Beim Taxifahren war es genauso. Ich habe meine Fahrgäste gefragt, wie ich fahren soll. Navi-Systeme gab es ja noch nicht.
Dann brach 1979 die Revolution im Iran aus.
Ich drehte damals meinen ersten Film in den USA. Ich habe aber alle Arbeiten sofort unterbrochen und bin mit vielen anderen iranischen Studenten in den nächsten Flieger nach Teheran gestiegen. Wir träumten von einem runden Tisch mit allen Beteiligten, mit den Ayatollas, mit den Sprechern der linken Opposition, mit dem Schah, mit den Generälen. Es blieb ein Traum.
Stattdessen rief Ajatollah Chomeini den „Islamischen Staat“ aus.
Der Krieg mit dem Irak und die 444-tägige Geiselnahme der Amerikaner in der US-Botschaft verschlimmerten die Situation weiter. Es war die Todesstunde des freien Bürgers, der klerikale Wächterrat machte jeden gnadenlos nieder, der es wagte, sich gegen islamische Werte aufzulehnen. Mein Vater sagte zu mir: Die Zeiten werden noch dunkler, es ist besser, wenn du gehst. Ich bin dann nach Frankfurt geflogen, von dort mit dem Zug nach Stockholm weitergereist. Ich konnte mir auch vorstellen, in Schweden ein neues Leben zu beginnen. Aber dort war es nur dunkel und kalt. Also habe ich mich an die Worte meines Vaters erinnert und bin nach Hamburg gefahren.
Viel wärmer wird es dort im Winter 1985 nicht gewesen sein.
Aber anders, ganz anders. Meinen ersten Tag in Hamburg werde ich nie vergessen. Ich saß auf einer Bank vor dem Hotel Atlantic, schaute auf die Alster und habe ein Gedicht über Flucht, Krieg und Liebe geschrieben. Ich wusste, hier will ich leben.
Aber Sie hatten weder Geld noch eine Wohnung.
Aber wahnsinniges Glück. Am Schwarzen Brett in der Uni habe ich eine Wohnungsanzeige entdeckt und sofort zugeschlagen. Zwei Zimmer in den Colonnaden für 400 D-Mark. An den nächsten Tagen habe ich dann das Metropolis-Kino in der Nähe entdeckt und dort nach Arbeit gefragt. Und zufällig suchten sie gerade einen Filmvorführer. Und mit Projektoren kannte ich mich dank meines Studiums aus. Und schon als Kind hatte ich in Kinos in meiner Geburtsstadt Isfahan um aussortierte Filmschnipsel gebettelt, die ich dann zu neuen Filmen zusammengeklebt habe.
Sie konnten beim Start in Hamburg kein Wort Deutsch.
Ja, das habe ich mir selbst beigebracht. Übrigens auch dank des Abendblatts. Ich habe mir jeden Morgen Zeitungen geholt, versucht, zunächst die Überschriften zu verstehen. Dann habe ich jedes mir unbekannte Wort in Wörterbüchern nachgeschlagen. Und auch als Filmvorführer habe ich meine Sprachkenntnisse verbessert, wir haben schließlich viele internationale Filme mit Untertiteln gezeigt. Danach habe ich eine dreimonatige Sprachschule besucht.
Wie wurde aus dem Filmvorführer Yazdani der Schauspieler Yazdani, der nur drei Jahre nach seiner Ankunft in der ARD-Produktion „Schwarz Rot Gold“ mit Uwe Friedrichsen eine Hauptrolle spielt?
Auch da habe ich vom Faktor Glück profitiert. Dank Metropolis habe ich Dieter Kosslick kennengelernt, damals Chef vom Hamburger Filmbüro, jetzt Intendant der Berlinale. Von seinen Kontakten habe ich sehr profitiert. Aber natürlich war die Sprache der Schlüssel zu allem. Mein Beispiel zeigt, dass fast alles möglich ist, wenn man für eine Sache brennt. Auch die weitaus überwiegende Zahl der aktuellen Flüchtlinge will es in Deutschland mit aller Macht schaffen.
Mit einem feinen Unterschied. Sie kamen als Akademiker nach Deutschland, ausgebildet in den USA. Viele der jetzt ankommenden Syrer haben nicht mal einen richtigen Schulabschluss.
Das mag sein. Umso mehr müssen wir uns kümmern. Wer Liebe und Respekt sät, wird auch Liebe und Respekt ernten. Ich finde die „Wir schaffen das“-Haltung“ unserer Kanzlerin großartig. Und da ich den Deutschen sehr dankbar dafür bin, wie gut sie mich damals aufgenommen haben, engagiere ich mich auch ehrenamtlich. Ich drehe zum Beispiel mit Filmproduktionsfirmen hier in Hamburg „Refugees welcome“-Filme für einen YouTube-Kanal, wo wir etwa auf Sportprogramme aufmerksam machen. Es gibt so viele großartige Angebote. Der Eimsbütteler Turnverband etwa stellt sogar für viele Sportarten kostenlos die Ausrüstung.
Dennoch gibt es bei der Integration zuhauf Probleme.
Ich streite nicht ab, dass es Probleme gibt. Und ich erwarte von den Flüchtlingen, dass sie auch den Deutschen mit Liebe und Respekt begegnen. Und ich erwarte, dass sie sich bewegen, die Angebote annehmen und nicht in den Erstunterkünften vor sich hin dämmern.
Können Sie verstehen, welche Ängste die sexuellen Übergriffe in Köln ausgelöst haben?
Ich war sehr, sehr traurig, als ich davon erfahren habe. Diese Aktion hat so viel kaputt gemacht, denn zuvor waren wir auf einem so guten Weg. So viele Menschen hatten sich für die Flüchtlinge engagiert. Und ich verurteile diese Übergriffe scharf. Aber was ist mit Donald Trump, der sich in so erniedrigender Form über Frauen äußert? Und was ist mit den Partys im Filmbereich, wo Männer, die sich Regisseure oder Schauspieler nennen, nur mit dem Ziel kommen, irgendeine Frau abzuschleppen? Glauben Sie mir, ich habe dieses Betatschen von Kolleginnen zigfach erlebt.
Aber mit den Ereignissen von Köln ist das dennoch nicht vergleichbar.
Ja, da haben Sie recht. Aber Sie dürfen den ethnischen Hintergrund nicht übersehen. In Nordafrika werden nach wie vor Millionen Frauen im Genitalbereich verstümmelt. Und rücksichtslose sexuelle Orgien junger Männer gibt es dort nach wie vor. Das ist Steinzeit, ganz, ganz schlimm. Und wir dürfen so etwas in Deutschland nicht dulden. Aber wir dürfen dies auch nicht zulassen, dass daraus fremdenfeindlicher Hass wird.
Wann waren Sie nach Ihrer Ausreise wieder im Iran?
2002, 17 Jahre nach meiner Ankunft in Deutschland. Nach dem Tod meines Vaters ging es meiner Mutter damals sehr schlecht. Meine Schwester rief mich an, dass sie stirbt, wenn ich jetzt nicht komme. Zum Glück war die iranische Botschaft in Berlin sehr entgegenkommend, hat mir innerhalb von drei Tagen ein Visum gegeben. Ich bin dann sofort ins Krankenhaus zu meiner Mutter, habe ihr Energie gegeben. So viel, dass sie sich wieder erholt hat. Jetzt fahre ich jedes Jahr für zehn bis zwölf Tage in den Iran.
Herr Yazdani, was ist Ihre Heimat? Der Iran? Oder doch St. Pauli?
Grundsätzlich bin ich Kosmopolit. Ich kann überall leben, wo Frieden herrscht, wo meine Familie, meine Freunde sind. Aber St. Pauli ist schon meine Heimat. Wenn ich abends auf die Elbe schaue, den Hafen sehe, die Hamburger Luft atme, denke ich, hier bin ich zu Hause.
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