Zum Glück hat es am Ende geklappt. Millionen talentierte junge Leute mussten fliehen, viele kamen nach Hamburg und erhielten einen Neustart. Die Firmen brauchten Fachkräfte, sonst wäre es bergab gegangen, nun haben sie Mitarbeiter, die können und die brennen. Der Bürgermeister hat gesagt, „wir können das schaffen“, und alle haben es geschafft. Aus Flüchtlingen wurden Fachkräfte. Hamburg hat profitiert.
So sollte diese Geschichte eigentlich beginnen.
Vielleicht ist es zu früh. Vielleicht war es nie mehr als eine schöne Idee.
Die Jobcenter erwachen um 7.55 Uhr wie große Maschinen zum Leben. Zwei Security-Männer mit sehr alten Handys am Gürtel bauen sich auf, die Nummerntafel blinkt und findet ihren Takt, Holzstühle quietschen, „Wartebereich I“. Der Arbeitsvermittler Tomislav Brčić sitzt schon lange im Büro, er trägt ein modisches Hemd und ein stählernes Lächeln. Sein Job ist kompliziert geworden. Seine Chefin sagt, er leiste Großartiges. Natürlich ist da Druck.
„Im besten Fall ein neues Wirtschaftswunder“, „ein spürbarer Beitrag gegen den Fachkräftemangel“, „ein Segen für Unternehmen“, so sprachen die Bosse von DAX-Konzernen wie Daimler, die Handelskammern, Politiker. Ein Jahr ist das her. Heute sagt das kaum jemand mehr. Heute sitzen Beamte in Abendrunden, sprechen über mäßig laufende Förderprojekte und stoßen gleich die nächsten an. Heute sind 15.000 Flüchtlinge schon Kunden der Jobcenter, bis zum Ende des kommenden Jahres werden es 23.000 sein, so die Prognose.
Schaffen wir das? Viele Flüchtlinge waren Fachkräfte, aber das ist lange her. Nur ein Teil möchte es wieder sein. Die Unternehmen suchen, in der Pflege, im Handwerk, dem Handel, der Logistik, aber sagen, es werde ihnen schwer gemacht. Und Menschen wie Tomislav Brčić mühen sich mit ihren Kunden, in denen sie ein riesiges Potenzial sehen.
Die Flüchtlinge: Wo, bitte, geht es hier zum Geheimdienst?
Osama Ismael hat einen Wunsch, bevor es losgeht. Der 25-Jährige hat sich einen Kinnbart zugelegt und ein Surfershirt übergeworfen, er sieht etwas verkleidet aus. „Ich will unbedingt arbeiten, aber erst muss der Name weg“, sagt er. Eine formelle Änderung. Nicht mehr Osama, das klingt nach 11. September. Einfach Sam. Ein neuer Mensch. Er lacht.
In Syrien hat er Archäologie studiert, gearbeitet. Sam Ismael hat Hornhaut an den Händen. Und seine Zeugnisse mitgebracht. Damit ist er die Ausnahme: Zwar hat die Hälfte der Flüchtlinge in Hamburg einige Berufserfahrung, aber nur 13 Prozent haben einen Berufsabschluss oder ein Studium. Dennoch gibt es Fachkräfte unter ihnen: acht Pflegekräfte, 30 Ärzte und 48 Ingenieure aus Syrien, dem Irak, dem Iran und Afghanistan haben nach Abendblatt-Recherchen seit 2015 bei Kammern und Behörden ihren Beruf eintragen lassen.
In diesen Jobs gibt es klare Regeln, Anträge, ein Verfahren. Der Großteil der Flüchtlinge landet bei der Zentralen Anlaufstelle Anerkennung der Diakonie (ZAA) und dem Projekt „W.I.R“ der Stadt. In kleinen Büros befragen sie die Kunden im Akkord. Die Zwischenbilanz: 58 Lehrer, vier Dozenten, zehn Automechaniker, sieben Manager, elf PC-Spezialisten, zwei Hirten, vier Architekten und ein Fußballprofi (siehe Grafik Seite 15). Viel Dienstleistung und Handwerk. Die ganze Bandbreite von Bauer bis Betriebsleiter. Aber etwa zwei Drittel waren nach den bisherigen Daten der Jobcenter in ihrer Heimat Helfer, nur jeder Fünfte ein Spezialist.
Nun sollen Menschen wie Sam Ismael in das deutsche System gepresst werden, „da fangen die Herausforderungen an“, sagt Jobcenter-Chef Dirk Heyden. Die Abschlüsse sind anders, die Standards sind anders, vom Berufsalltag will er gar nicht erst anfangen. „Viele haben keine klassische Ausbildung absolviert“, sagt Heyden. Dazu kommt das Sprachproblem. Auch Traumata. Und kulturelle Unterschiede.
„Es ist bei einigen Berufsbildern schwer, ein vergleichbare Beschäftigung auf dem deutschen Markt zu finden“, sagt Heyden. Im Frühjahr schlendert ein älterer Mann in die Anerkennungsstelle, Afghane, Bart. Er hat 25 Jahre für den Geheimdienst gearbeitet, jetzt hätte er gern einen Job. „Wo wollen Sie so jemanden hinschicken?“, sagt ein Mitarbeiter. „Da kommt man schön ins Stammeln.“
Die meisten Flüchtlinge werden wieder bei null anfangen müssen. Das kann auch eine Chance sein. „In Syrien studiert man nicht, was man will, sondern schreibt zehn Fächer auf eine Liste“, sagt der Flüchtling Mahmood Zako, 26 Jahre, treues Lächeln. Er schrieb damals neunmal Medizin und Ingenieurwesen und einmal Zahntechnik, um die Liste vollzumachen. Mahmood Zako ist heute Zahntechniker. „Wir können uns in Hamburg neu erfinden“, sagt er. „Aber diese Freiheit ist auch einschüchternd, die Möglichkeiten erschlagen uns.“
Und der Weg zur Wiedergeburt ist weit. Im besten Fall dauert es fünf Jahre zurück oder hin zur Fachkraft, schätzt die Arbeitsagentur: zwei Jahre Deutsch lernen, drei Jahre Aus- oder Weiterbildung. „Wenn wir das schaffen, wäre das schon top“, sagt Rainer Schulz, Chef des Hamburger Instituts für berufliche Bildung (HIBB).
In den Zielmarken der Stadt ist eingepreist, dass einige auf der Strecke bleiben werden. In fünf Jahren sollen 50 Prozent der Flüchtlinge eine möglichst qualifizierte Arbeit haben. In zehn Jahren 70 Prozent. So lief es nach der letzten Flüchtlingswelle der 90er. Der Rest blieb über. Bei allen potenziellen Beschäftigten unter den 45.600 Flüchtlingen in Hamburg kommen drei Hartz-IV-Bezieher auf einen Arbeitenden.
Mahmood Zako hat die ersten Schritte geschafft, Praktikum im Zahnlabor mit Perspektive. Wenn es gut läuft, gilt er in 14 Monaten auch in Deutschland als Fachkraft, er macht eine „Anpassungsqualifizierung“, das war so kompliziert, wie es klingt. Den Traum von Medizin und Ingenieur hat er wieder abgelegt, es lockt gutes Geld. Geld für eine eigene Wohnung.
Seine Nachbarn in der Unterkunft suchen einfache Jobs, Hauptsache arbeiten. Da sind noch Schulden bei den Schleppern und die Familien, die bald nachkommen sollen. In den Büros der Jobcenter nennen sie das einen „enormen Erwerbsdruck“, sie fürchten ihn. Mit jedem Monat in unqualifizierter Arbeit sind die alten Abschlüsse weniger wert. „Das ist die größte Gefahr für eine gelungene Integration“, heißt es aus dem Senat. Dass die Flüchtlinge überhaupt keine Fachkräfte werden wollen, eher Taxifahrer.
Sam Ismael träumt noch von einem Job als Archäologe, das wird er seinem Arbeitsvermittler wieder sagen. „Wir haben doch darüber gesprochen, dass das ganz schwer wird“, wird er hören. Die Arbeitgeber nehmen nur deutsche Bewerber, das System sagt: null offene Stellen im gesamten Land. Auch das mit dem Namen soll er sich überlegen, enormer Aufwand, Briefe an alle Behörden, neuer Pass. Der Flüchtling nickt. Osama Ismael macht bald ein Praktikum im Jobcenter.
Die Unternehmen: Da ist der Arbeitsunfall programmiert
Willem van der Schalk stürmt zum Pressesprecher, als stünde seine Spedition in Flammen. „Ich brauche nicht nur fünf, eher 20 Minuten“, sagt er, sein Scheitel wippt, er guckt durch eine randlose Brille. Nicht nur ein Grußwort, eher eine Grundsatzrede. Willem van der Schalk will anpacken, motivieren. Ein Ruck in seiner Branche wäre jetzt nicht schlecht.
Der große Albert-Schäfer-Saal der Handelskammer ist prall gefüllt, Hostessen schwirren herum, Anzugträger greifen noch ein Getränk und plumpsen in schwere schwarze Lederstühle. Willem van der Schalk spricht von Chancen, von Verantwortung. Er hebt die Stimme: „Wir bei der Spedition Hardrodt haben Verantwortung erfüllt – und einen syrischen Flüchtling als Auszubildenden eingestellt.“ Die Großspedition a. hardrodt beschäftigt 1900 Mitarbeiter. Kunstpause. Es gibt höflichen Applaus.
Es ist die erste Fachtagung einer Handelsbranche zum Thema Flüchtlinge, am 2. Juni, zehn Monate nach Beginn der Krise. „Logistik geht voran“, blinkt über Bildschirme am Rand. Vorangegangen ist bislang nicht viel. „Zuerst haben wir über Ausbildungsplätze geredet, jetzt fast nur noch über Praktika. Es ist eine große Ernüchterung spürbar“, sagt Armin Grams, Leiter der Berufsbildung in der Handelskammer. Viele Unternehmer im Saal gucken, als sollten sie ein Gerät kaufen, dessen Haltbarkeit sie nicht kennen.
Willem van der Schalk will sie überzeugen, er glaubt an eine „Win-win-Situation“. Die Logistik gehört zu den Branchen, die dringend Personal benötigt: Im Juli waren es laut Arbeitsagentur 1800 offene Stellen in Hamburg, das Gesundheitswesen meldete mehr als 2000 Jobs, das Handwerk 1200 und die Produktion 4000 Stellen. Aber etwa 90 Prozent der Angebote bei der Agentur richten sich beständig an Fach- und Führungskräfte. Die Wirtschaft sucht genau das Gegenteil dessen, was die Asylbewerber zu bieten haben (siehe Grafik).
Geeignete Flüchtlinge zu finden sei „wie Angeln“, sagt ein Personalchef. Zuerst haben die Kammern das große Netz ausgeworfen, bei drei „Marktplätzen der Begegnung“. Jeweils 1000 Flüchtlinge und bis zu 80 Arbeitgeber bei einem Termin, großes Gewusel, viele Gespräche, am Ende wenig Abschlüsse. „Die Hauptprobleme sind die Sprache, und die enorme Bürokratie“, sagt Armin Grams. Da müsse man den Unternehmen helfen.
Die Arbeitsagentur hat die Teamleiterin Regina Wittkamp zur Tagung geschickt, sie trägt Blazer und hat eine Präsentation dabei. „3x3 zur Integration“, das klingt schön einfach, sie breitet ruhig alle Möglichkeiten aus. Ängste zu nehmen ist ihre Mission. „Viele Unternehmen gehen beim Flüchtlingsthema wegen Regelungen auf Distanz, die sie gar nicht betreffen. Es muss alles mundgerecht serviert werden“, sagt ein leitender Beamter.
Die Logistiker hören der Dame zu, machen Notizen. Viele Hürden werden fallen, Flüchtlinge in Ausbildung erhalten einen sicheren Aufenthaltstitel, für fünf Jahre. Fragen bleiben dennoch. „Was ist mit der Versicherung? Das riecht nach Arbeitsunfall am Gabelstapler“, ruft ein Herr von rechts. Die Unruhe erstickt Regina Wittkamps Antwort fast. Glucksen und Raunen schallen im Saal gleichauf. Noch mehr als die Rechtslage interessiert die Firmen, was passiert, wenn sie das Wagnis Flüchtling wirklich eingehen. Bringen sie die Religion mit zur Arbeit? Sind sie belastbar? Wie viel Betreuung brauchen sie?
Franca Boege von der Arbeitsagentur sagt im Plenum, man müsse sich im Klaren sein, dass schon eine Bewerbung für Flüchtlinge ein gewaltiger Schritt ist. Wieder Unruhe, „und wer zahlt fürs Betüdeln?“, murmelt ein Mann in der drittletzten Reihe.
Vielleicht steckt da der Stock im Getriebe, sagt Armin Goos, Leiter des Jobcenter-Standorts in Altona. „Kleine Unternehmen wollen Flüchtlinge gern qualifizieren, können aber die Betreuung häufig nicht leisten. Und die großen Firmen könnten das, aber sie wollen und brauchen erst fertige Arbeitskräfte.“ Ein Dilemma.
19.30 Uhr, die Sonne hat den Adolf-Schäfer-Saal brutal aufgeheizt. Einige Firmen haben von ihren Erfahrungen berichtet, die Spedition Hartrodt, dazu haben sie weitere Unternehmen aus dem Umland eingeladen. Es kann funktionieren, wenn man sich traut, hat auch Willem van der Schalk gerufen. Die Unternehmen müssten ihre Erwartungen absenken, vielleicht so etwas wie eine „Ausbildung light“ anbieten. Sie gewännen im Gegenzug motivierte Kräfte.
Die Experten stehen bereit, an Stehtischen mit weißen Hussen hinten im Saal, die Arbeitsagentur, der Chef des Programms „W.I.R“, eine Ehrenamtliche, die 500 Flüchtlinge in der Kartei hat, manche mit Erfahrungen im Schiffsverkehr. Einige bleiben stehen, angeregte Gespräche, vielleicht der Beginn eines Rucks. Der Großteil rauscht an den Tischen vorbei. An der Bar ist es kühler.
Die Arbeitsvermittler: Tomislav Brcicćund die 23.000 Puzzle
Er hat das Büro fast kahl gelassen, keine Poster, keine persönlichen Fotos. Tomislav Brčić (33) zeigt auf den schwarzen Stuhl rechts. „Das zählt, da muss ich auf Augenhöhe sein.“ Er hat eine glatte Freundlichkeit, samtene Stimme. Tomislav Brčić dreht sich lächelnd und bezieht Stellung an seinem Terminal. Man will ihn kneifen, weil diese Fassade doch nicht echt sein kann.
Sieben Termine heute. Keine Pause. Vier Migranten, drei Flüchtlinge. Einer sitzt vor der Tür. Pünktlich. Flüchtlinge nehmen neun von zehn ihrer Termine wahr, hat ein Kollege ausgerechnet. Deutsche Kunden nur sieben. „Ich musste noch nie einen Flüchtling sanktionieren“, sagt Tomislav Brčić. Das Gerede von den „Integrationsverweigerern“ ist für die Stammtische. In den Büros der Jobcenter wartet die echte Arbeit.
Eigentlich haben die Vermittler alle Möglichkeiten. „Geld spielt gar keine Rolle derzeit“, sagt eine Arbeitsvermittlerin. Wegen der Flüchtlinge wollen die Jobcenter in diesem Jahr 216 neue Mitarbeiter einstellen. Der Bund erhöht den Etat und die Fördermittel für 2016 um 18 Millionen Euro. Die Stadt legt Förder- und Ausbildungsprogramme von weit mehr als 20 Millionen Euro auf. Das geht aus internen Papieren der Verwaltung hervor, die dem Abendblatt vorliegen.
Nur ist das keine Garantie, Integration lässt sich nicht kaufen. „Es gibt sehr viele Akteure, und fast alle haben Scheuklappen auf“, sagt ein Vertrauter des Bürgermeisters. „Die reine Lehre und die Realität passen noch nicht zusammen.“ Weil die Stadt zwar massiv investiert, aber Flüchtlinge keine Sonderbehandlung bekommen sollen – obwohl genau das nötig wäre. Weil noch immer wichtige Fakten fehlen. Weil „die beruflichen Werdegänge der Flüchtlinge selten gerade verlaufen“, wie Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur, sagt.
Hussein Arkas* (27) zwängt sich durch die Tür, ein lächelnder Hüne im roten Holzfällerhemd. Wäre er ein Deutscher, hätte Tomislav Brčić in der Regel alles auf einen Blick gehabt. Abschlüsse, Interessen, auch Talente. „Wir fangen bei Flüchtlingen immer bei null an“, sagt Tomislav Brčić. Einige tauen schnell auf, manche Flüchtlinge sitzen noch nach Monaten wortkarg da, sagen Arbeitsvermitlter. „Herzlich willkommen in Deutschland!“, sagt Tomislav Brčić jetzt immer, er glaubt, das ist ein Brustlöser.
Zu Hussein Arkas hat er einen Draht gefunden, viel geredet, immer wieder gesagt, „ganz langsam, ganz langsam machen.“ In seiner Freizeit besorgte Brčić ihm eine Wohnung. „Wenn man sich sehr intensiv kümmert, gelingt Integration“, sagt Tomislav Brčić. Er ist eine Integrationsfachkraft und hat 120 Kunden. Der Großteil der Arbeitsvermittler hat fast dreimal so viele. „Die Flüchtlinge wollen, dass ich die Mutti bin und alles regele“, sagt eine seiner Kolleginnen. Das muss sie abwehren. „Wir bringen sie nur den halben Weg im Labyrinth.“
Bei Hussein Arkas zeichnen die Angaben auf dem Bildschirm bereits ein Auf und Ab. Sprachkurs, Fortbildung am Flughafen, bestanden. Aushilfe, Gepäck schleppen, beendet. Sprachkurs. Fortbildung zum Security-Mann, fast beendet, schriftlich bestanden, mündlich vergeigt. Es reicht für einen richtigen Job in der Sicherheitsbranche. Nach vier Jahren in Hamburg beginnt sich das Puzzle eines neuen Lebens zu fügen. Eines von bis zu 23.000.
Tomislav Brčić will noch mehr Lohn für ihn herausholen, dem Arbeitgeber eine Förderung vorschlagen, er hat üppige Auswahl. „Das Portfolio ist schon fast zu groß“, sagt Tomislav Brčić, er breitet die Arme aus. Oft muss er die Flüchtlinge vertrösten, erst selbst recherchieren, dann schickt er ein konkretes Angebot per Mail hinterher.
Für einen anderen Jobvermittler ist die größte Hürde, überhaupt so weit zu kommen. „Die Arbeitgeber sagen alle, sie wollen unbedingt Flüchtlinge einstellen“, er formt mit den Händen ein Herz. „Wenn es konkret wird, sagen sie nicht, wie viele Stunden und in welchem Tätigkeitsbereich genau.“ An der Basis der Arbeitsvermittler sind viele auf die Rolle der Wirtschaft nicht gut zu sprechen. „Da ist viel Show dabei und viele Feigenblätter“, sagt der Arbeitsvermittler.
In Wilhelmsburg und Altona gehen sie weiter in die Erstaufnahmen, kommen selbst zu den Kunden, um alles zu beschleunigen. Eine Arbeitsgruppe soll den Kontakt zu den Arbeitgebern ausbauen. Jobcenter-Chef Dirk Heyden spricht unablässig mit Firmenchefs, er nennt es die „Aufgabe der Dekade“, die Flüchtlinge in Arbeit zu bringen – aber statt die fehlenden Formalien zu beklagen, solle man die Talente sehen.
2900 Flüchtlinge haben seit dem vergangenen Jahr einen Job gefunden, das haben sie nicht gern im Abendblatt gelesen, es wirkte ein bisschen so, als liefen die Dinge schon. „Der Großteil der Betroffenen war schon mehrere Jahre in Deutschland“, sagt Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock. Von den Flüchtlingen aus den acht häufigsten Herkunftsländern haben seit Jahresbeginn nur 1026 eine Stelle bekommen, weniger als erhofft. Und es waren meist keine qualifizierten Jobs, nicht das, was man für sie anstrebt.
Der Traum von Flüchtlingen als Fachkräfte ging schon nach der Welle der 90er-Jahre kaum auf: Nur selten arbeiteten Flüchtlinge in hoch qualifizierten Berufen, stellte das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), die Forscher der Bundesagentur für Arbeit, im Jahr 2014 fest.
Am Mittag kommt der letzte Kunde des Tages im Büro von Tomislav Brčić. Rany Mohammed* (31), Syrer, gemütlicher Bauch, einen dicken Stapel Dokumente dabei. Rany Mohammed hat den Integrationskurs bestanden. Sein Bachelorzeugnis übersetzen lassen, IT-Technik, Bestnoten. Seine Bescheinigung von Microsoft aus dem Libanon dabei, darauf glitzern Logos und Siegel. „Mensch, Wahnsinn“, sagt Tomislav Brčić.
Rany Mohammed strahlt nicht zurück. Seine Gesichtszüge wackeln, die Augen reißt er auf.
„Ich mache was anderes.“
Was denn?
„Putzen.“
Putzen?
„Ja. Ich habe Nachrichten gesehen. Man muss verdienen, sonst wird der Aufenthaltstitel nicht verlängert. Meine Familie kommt nach. Ich will nicht zurück nach Syrien. Und für das Putzen habe ich schon einen Job.“
Tomislav Brčić rollt nach rechts, lehnt sich über den Tisch, seine Hände wirbeln herum. „Hey, Sie müssen nicht zurück. Ich habe ein Praktikum für Sie organisiert. Bei Otto. Als Informatiker. Die wollen Sie unbedingt kennenlernen“, sagt Tomislav Brčić. „Es ist Ihre Entscheidung. Aber Sie sind gut. Machen Sie das, worin Sie gut sind. Es dauert etwas. That’s Germany.“
Rany Mohammed nickt, es arbeitet in ihm, er verengt die Augen. Er nimmt den Zettel mit der Telefonnummer und sagt, er müsse nachdenken.
Der nächste Termin im Jobcenter ist in sechs Wochen, 9 Uhr morgens.
*Name geändert
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