Hamburg

Pflegeeltern: „Das Jugendamt hat uns kaputtgemacht“

| Lesedauer: 6 Minuten
Jan Haarmeyer
Pflegemutter
Leoni Raupers
(Name geändert)
hat den Kampf
mit dem Jugendamt
um ihre
Pflegetochter
verloren

Pflegemutter Leoni Raupers (Name geändert) hat den Kampf mit dem Jugendamt um ihre Pflegetochter verloren

Foto: Andreas Laible / HA

Hamburger Pflegeeltern, die die Stadt wegen Grundrechtsverletzung verklagen. Der Fall „Jule“ ist kein Einzelfall.

Hamburg. Uns ist es mit unserer Pflegetochter genauso ergangen wie dem Ehepaar Schuster“, sagt Leoni Raupers. Nach dem Abendblatt-Bericht über die Hamburger Pflegeeltern Sabine und Holger Schuster (Namen geändert), die wegen schwerer Grundrechtsverletzung, begangen an ihrer Pflegetochter Jule, die Stadt verklagen, erhebt auch das Ehepaar Raupers (Name ebenfalls geändert) heftige Vorwürfe: „Das Jugendamt Eimsbüttel hat uns kaputtgemacht. Ich musste zugucken, wie mein Kind zugrunde gegangen ist. Wie sie viel zu wenig Flüssigkeit zu sich nahm, ständig erbrochen hat und schließlich sich selbst geritzt hat.“

Die beiden Fälle sind tatsächlich nahezu identisch. Auch bei Leoni Raupers Pflegetochter, wir nennen sie in dieser Geschichte Andrea, stellte Dr. Reinhold Feldmann von der Universitätsklinik Münster im Jahr 2006 die Diagnose: fetales Alkoholsyndrom. „Andrea war ein sogenanntes FAS-Kind, weil ihre Mutter während der Schwangerschaft Alkohol und Drogen konsumiert hat“, sagt Leoni Raupers.

Andreas Mutter war ihre Freundin. „Andrea ist meine Patentochter.“ Als ihre Freundin mit 42 Jahren an Krebs gestorben war, nahm das Ehepaar Raupers das damals achtjährige Mädchen bei sich auf. Die Raupers’ wurden Pflegeeltern und erhielten das Sorgerecht für ihre Patentochter. Sieben Jahre lang lief, wie bei Ehepaar Schuster, alles reibungslos. „Mit der FAS-Diagnose durch Dr. Feldmann ging das Drama los“, sagt Leoni Raupers.

Andrea war schwer erziehbar

Die Pflegeeltern stellten aufgrund der FAS-Diagnose für Andrea einen Antrag auf Schwerbehinderung (70 Prozent). „Andrea hatte erhebliche Lern- und Gedächtnisschwierigkeiten. Sie war immer die Kleinste. Sie war aufsässig und schwer erziehbar, sie brauchte dringend Hilfe, denn ich wusste, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt“, sagt Leoni Raupers, die auch vier eigene Kinder großgezogen hat.

„Das Jugendamt aber hat die FAS-Diagnose von Anfang an vehement bestritten und alles getan, um sie zu revidieren“, sagt Raupers. Ihr Mann hat dann irgendwann in einem Hilfeplangespräch den Jugendamtsmitarbeitern vorgeschlagen: „Wenn diese Auseinandersetzung nicht aufhört, dann adoptieren wir Andrea.“

Damit begann der Kampf um das Kind. „Genau wie bei Sabine Schuster wurde auch mir unterstellt, ich würde meine Pflegetochter krankreden und von Arzt zu Arzt schleppen“, sagt Leoni Raupers. Dieses sogenannte Münchhausen-by-proxy-Syndrom wurde nahezu zeitgleich wie im Fall Jule durch das Jugendamt Hamburg-Mitte auch vom Jugendamt Eimsbüttel ins Feld geführt, um den Pflegeeltern Raupers das Sorgerecht wegen Erziehungsunfähigkeit zu entziehen.

Schwerbehindertenstatus als Teenager aufgehoben

Auch das Ehepaar Raupers sollte, wie die Schusters, gutachterlich beurteilt werden. Es sollte geprüft werden, ob sie geeignet seien, die elterliche Sorge weiterzuführen. „Dagegen haben wir uns gewehrt.“ Das Amtsgericht Eimsbüttel wies den Antrag ab, aber das Jugendamt ging in die Berufung. Auch das Landgericht wies die Beschwerde des Jugendamts ab.

„Andrea aber hat die Belastung nicht ausgehalten“, sagt Leoni Raupers. „Als sie 15 Jahre alt war, ließ sie sich vom Jugendamt in Obhut nehmen.“ Sie kam dann in eine Jugendwohnung. „Sechs Monate später wurde ihr Schwerbehindertenstatus aufgehoben“, sagt Leoni Raupers. Im Handumdrehen also von 70 zurück auf null Prozent sozusagen. Leoni Raupers ist noch heute entsetzt darüber, „dass der damalige Vormund sich anmaßte, den Gesundheitszustand von Andrea in allen Bereichen als wesentlich gebessert einzustufen, um dieses zu erreichen“. Damit war die FAS-Diagnose vom Tisch. „Eine lebenslange Behinderung von einem Nichtmediziner einfach für die Behörde revidiert.“

Auch die Medikamente, die Andrea nehmen musste, wurden einfach ab­gesetzt. „Eines Tages rief mich ihr Lungenfacharzt an und wollte mich wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht anzeigen. Andrea war ständig um­gekippt, bewusstlos und hatte Krampfanfälle, weil sie ihre lebensnotwendigen Schilddrüsentabletten nicht mehr nahm.“ Leoni Raupers musste dem erregten Facharzt erklären, dass sie für Andrea gar nicht mehr zuständig war.

Andrea durfte die Raupers nicht Mama und Papa nennen

Für den zermürbenden Kampf mit dem Jugendamt um das Sorgerecht fehlte dem Ehepaar Raupers dann die Kraft. „Ich war auf 45 Kilo abgemagert und musste zusehen, wie mein Kind zugrunde gegangen ist. Ich habe nur noch gezittert, wenn das Faxgerät angesprungen ist, und bin irgendwann auch nicht mehr zum Briefkasten gegangen“, sagt Leoni Raupers. Auch ihr Mann wurde krank.

„Wir haben dem Kind zu Liebe auf das elende Tauziehen verzichtet und haben die Vormundschaft freiwillig abgegeben. Ich liebe dieses Kind, als wäre es mein eigenes. Aber wer liebt, muss auch loslassen können“, sagt sie. „Und warum sollten wir uns noch länger traktieren lassen? Wir haben doch nichts Unrechtes getan, alle Diagnosen sind von Ärzten gestellt worden, nicht von uns.“

Der Kontakt zu Andrea aber sei nie abgerissen, sagt Leoni Raupers. „Auch wenn das Jugendamt ihr verboten hatte, über uns zu reden und uns sogar Mama und Papa zu nennen.“ Und das, empört sie sich noch heute, obwohl das Jugendamt ja wusste, „dass Andrea keine leiblichen Eltern mehr hatte“. Als Andrea 18 Jahre alt wurde, „hat das Jugendamt sie fallengelassen“. Heute hat Familie Raupers wieder regelmäßig Kontakt zu ihrer Patentochter. Andrea ist inzwischen eine junge Erwachsene und versucht sich gerade an ihrer dritten Lehrstelle.
„Wir kümmern uns wieder um sie. Andrea ist inzwischen wieder voll in die Familie integriert, denn sie wird immer unser Kind bleiben.“

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