Deutschlands Olympiabewerbungen scheiterten zum Teil kläglich. Berlin schied 1993 in der ersten Runde aus, Leipzig 2004 in Vorauswahl.

Hamburg. Am 28. Oktober 1965 wird der westdeutsche NOK-Präsident Willi Daume beim Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel vorstellig mit der „Idee“, die Stadt solle sich um die Olympischen Spiele 1972 bewerben. Aus der Idee entspringt die gemeinsame Tat. Als am 26. April 1966 bei der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Rom die Stimmen ausgezählt werden, hat München 31 Olympier auf seine Seite gebracht. Madrid (16), Montreal (13) und Detroit (6) bleiben weit abgeschlagen. Vogels Bewerbungsrede vor der Session dauert lediglich sechs Minuten, Daume begnügt sich bei seiner Einladung gar nur mit drei Minuten.

Der federleichte Sieg in Rekordzeit zwischen Entschluss und Finale erklärt sich auch dadurch, dass Favorit Madrid erst vier Tag vor der Abstimmung seine Kandidatur bestätigte. Zudem hatte Daume es verstanden, den überaus einflussreichen IOC-Präsidenten Avery Brundage auf seine Seite zu ziehen. In dessen Philosophie hatte die Politik im Sport nichts zu suchen. Und so schmetterte der US-Amerikaner auch den Versuch der Sowjetunion ab, den Olympiasieg des kapitalistischen westdeutschen Teilstaats zum Nachteil des kommunistischen ostdeutschen Verbündeten DDR verhindern zu wollen.

Was für eine Zeit, was für Umstände – und was für Möglichkeiten!

Inzwischen sind die Olympischen Spiele zu einem globalen Ereignis mit größter Ausstrahlung geworden. Die Interessen haben sich multipliziert. Die Politik kämpft weiter mit, nicht mehr in der Form eines Ost-West-Konflikts, sondern als Auseinandersetzungen zwischen autoritär regierten Staaten und Demokratien. Diese müssen sich ihr Mandat für eine Olympiabewerbung vermehrt durch ihre Bürger bestätigen lassen. Die Wirtschaft mischt nun ebenfalls kräftig mit, auch über weltweit tätige Konzerne. Und auch Kontinente konkurrieren miteinander, Asien an vorderster Stelle. Das bedrängte IOC, lange Zeit all zu sehr bedacht auf Wachstum und Größe, hat mit seinen Entscheidungen den Zustand der Undurchsichtigkeit eher noch befördert.

In dieser Gemengelage hat es der deutsche Sport seit den Spielen 1972 nicht mehr verstanden, sich erfolgreich zu bewerben. Das wirft die prinzipielle Frage auf: Kann Deutschland überhaupt noch Olympische Spiele, das Land, das im Zenit seiner weltweiten Anerkennung steht? Jeweils zwei gescheiterte Kandidaturen um Sommer- und Winterspiele (Berlin 2000, Leipzig 2012 – Berchtesgaden 1992, München 2018) und ein bereits national missglückte Bewerbungsversuch von München um Winterspiele 2022 hinterlassen Skepsis. Das fünffache Scheitern bietet Hamburg aber jede Menge Anschauungsunterricht, seinen zweiten Anlauf auf die Sommerspiele zu optimieren. Nur wer seine Hausaufgaben mit Umsicht, Gründlichkeit und Kreativität erledigt, dabei Politik, Staat und Gesellschaft hinter sich weiß und hoch professionelles Personal für sich gewinnt, kann im harten internationalen Wettkampf konkurrenzfähig sein.

Als Berchtesgaden 1985 vor das IOC trat, um gegen sechs Mitbewerber die Winterspiele 1992 zu erringen, stimmte so gut wie nichts. Die von ihrem Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß angeführte Bayern-Delegation ging in die entscheidende Sitzung mit der Selbstüberschätzung, 15 Stimmen sicher zu haben. Am Ende waren es sechs von 84, was nur zum letzten Platz reichte. Danach setzte ein Hauen und Stechen ein. Berchtesgaden beklagte sich über „Null-Unterstützung“, was der damalige IOC-Vizepräsident Berthold Beitz so bestätigte: Es habe „national keine gemeinsame Kraftanstrengung gegeben“.

Erschwerend kam hinzu, dass der als Sympathisant des Apartheidregimes in Südafrika hervorgetretene Strauß der falsche Anführer der Bewerbung war und somit die Opposition der afrikanischen IOC-Mitglieder heraufbeschwor. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker war nicht gefragt worden. Allerdings: An der Niederlage Berchtesgadens hätte dessen Auftritt vor den Olympiern nichts geändert. Der mächtige IOC-Präsident Juan Samaranch hatte zuvor alle Weichen für einen Sieg seiner Heimatstadt Barcelona gegen Paris für die Sommerspiele 1992 gestellt. Und um den vor der Vollversammlung eindringlich werbenden Jacques Chirac als französischer Premier und Bürgermeister von Paris wenigstens mit einem Trostpreis nach der 23:47-Niederlage zu entschädigen, beauftragten sie das mäßig geeignete Albertville mit der Ausrichtung der Winterspiele 1992. Damals wurden Sommer- und Winterspiele noch von der selben Session vergeben.

Als Debakel mit besonderem Ausmaß stellte sich Berlins Bewerbung um die Sommerspiele 2000 heraus, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl als „wichtigen Beitrag für unser Ansehen in der Welt“ bezeichnet hatte. Der politische Hintersinn, Berlin nach dem Mauerfall als weltweites „Symbol für Vereinigung“ anzupreisen, blieb ohne Resonanz. Die Stadt war durch die vielfältigen Nachwende-Probleme viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um genügend Energien und ein überzeugendes Führungspersonal für eine erfolgreiche nationale und internationale Kampagne aufbringen zu können. Eine radikale Opposition demonstrierte beim Besuch der IOC-Führung in der Stadt, beschmierte deren Hauptquartier in Lausanne mit Anti-Parolen und hatte ihren letzten Auftritt noch unmittelbar vor der entscheidenden Vollversammlung 1993 in Monte Carlo. Dort kam es zu 40 Festnahmen mit Ausweisungen.

„Berlin ist an sich selbst gescheitert. Die vielen Demonstrationen waren tödlich“, sagte das angesehene Schweizer IOC-Mitglied Marc Hodler, der seit dem gemeinsamen Besuch einer eidgenössischen Eliteschule mit Richard von Weizsäcker befreundet war. Als Freundschaftsdienst hatte er den Bundespräsidenten wegen Aussichtslosigkeit davor gewarnt, als oberster Werber für Berlin in Monte Carlo aufzutreten. Höchst unangenehm stieß bei den Olympiern das Bekanntwerden eines Dossier auf, in dem das Bewerbungskomitee auch ihre Neigungen und Vorlieben aufgelistet hatte. Dass die IOC-ler bei ihren Stadtbesuchen, die damals erlaubt waren, wie Staatsgäste empfangen und unerlaubt umsorgt wurden, bedacht mit vielerlei Gaben wie Gutscheine zum Einkaufen im Kaufhaus KaDeWe, wirkte sich auch nicht vorteilhaft aus. Der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen sah das so: „Wenn wir in Afrika mit einem Medizinkoffer ankamen, hatten die Chinesen dort die Sporthalle schon gebaut.“ Summa sumarum: Bei der Abstimmung erhielt Berlin lediglich neun Stimmen, zwei mehr als Istanbul und zwei weniger als Manchester. Im dramatischen Wahlfinale siegte Sydney mit 45:43 gegen Peking.

Acht Jahre später, als London gegen Paris die Spiele 2012 mit 54:50 gewann und Madrid, New York und Moskau auf den Plätzen landeten, hatte das IOC Leipzig mit Rio de Janeiro, Istanbul und Havanna schon vor dem Wahlfinale aussortiert. Eine Blamage für die Sportnation Deutschland! Zu verantworten hatte sie das Nationale Olympische Komitee (NOK) mit einem unsinnigen Auswahlverfahren. Zuerst hetzte es Hamburg mit Frankfurt/Main, Stuttgart, Düsseldorf und Leipzig in einen aufwändigen nationalen Fünfkampf. Bei der Endabstimmung unterlag die Qualitätsbewerbung Hamburgs dem Sympathiekandidaten Leipzig. Dessen Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee vermochte die NOK-Delegierten bei der entscheidenden Versammlung in München mit einem Cello-Solo zu bezirzen. Als das Überraschungsergebnis von 81:51 feststand, brach es aus Tiefensee heraus: „Irrsinn. Es ist ein großer Tag für Deutschland, ein großer Tag für den deutschen Sport.“

Die letzten beiden Episoden deutscher Misserfolge und Unzulänglichkeiten handeln von München. Obwohl die bayerische Metropole dem IOC mit ihrer Bewerbung um die Winterspiele 2018 unter Nutzung von bewährten Satellitenorten in den deutschen Alpen ein äußerst nachhaltiges Angebot gemacht hatte, blieb sie gegen Pyeongchang mit 25:63 Stimmen ohne Chance.

Honoriert hatte das IOC die Ausdauer der Südkoreaner, die sich zwei Mal vergeblich beworben und dabei schon viel investiert hatten. Ohne den Einsatz des Multimilliardärs Hun-Hee Lee, Chef des Weltkonzern Samsung und seit 1999 IOC-Mitglied, wäre dieser Erfolg kaum möglich geworden. Der Elektronikriese zählt zu den zehn Großsponsoren der Ringe-Organisation, die in der gegenwärtigen Vierjahresperiode jeweils gut 100 Millionen Dollar einzubringen haben. Um noch wirksamer für Pyeongchang agieren zu können, hatte sich Samsung auch zum Sponsor jedes einzelnen der gegenwärtig 205 NOKs gemacht. Damit eröffnete sich der Weltmarktführer die Möglichkeit, besonders jenen nationalen olympischen Dachverbänden unter die Arme greifen zu können, die im IOC über persönliche Mitgliedschaften Stimmrechte haben.

Der Vorhang zu Münchens letztem olympischen Akt fiel am 10. November 2013 durch eine Bürgerbefragung. 52,1 Prozent votierten in der Hauptstadt Bayerns gegen eine Bewerbung um die Winterspiele 2022. Dabei stimmten von 1,07 Millionen Wahlberechtigten nur 28,9 Prozent ab. Besonders aktiviert fühlten sich lediglich die Olympiagegner, die in Umfrageergebnissen zuvor ermittelte deutliche Mehrheit der Olympia-Befürworter von über 60 Prozent blieb zu Hause. „Der olympische Traum ist in Deutschland nicht mehr lebensfähig“, sagte damals DOSB-Generaldirektor Michael Vesper. „Es gibt eine Stimmung, die kein solches Großereignis zulässt.“ Um so riskanter ist das Vorhaben des deutschen Sport-Dachverbandes, einen erneuten Olympiaversuch zu wagen. Hamburg kann es nur schaffen, wenn es aus den fünf vergeblichen Anläufen der vergangenen 30 Jahre die richtigen Lehren zieht.