Zahl der Einrichtungen von 796 auf 1025 gestiegen. Grundversorgung kostenlos. Neue Anbieter auf dem Markt etabliert. Doch am Betreuungsschlüssel gibt es anhaltend Kritik

Hamburg. Das Småland bei Ikea Altona ist nicht nur bei kleinen Kindern, sondern auch bei Eltern überaus beliebt. Denn während der Nachwuchs im Bällebad spielt, starten Mütter und Väter gern zu einem Bummel – nicht immer nur durch das Möbelhaus, sondern gern auch durch das umliegende Viertel. Zugegeben, dies ist eine überaus preiswerte Form der Kinderbetreuung, aber nicht unbedingt zur Freude der Ikea-Mitarbeiter, die häufiger mal erfolglos per Haustelefon anzurufen versuchen. An „frequenzstarken Tagen“, so eine Ikea-Mitarbeiterin, werde die Betreuungszeit im Småland daher auf anderthalb Stunden begrenzt.

Das Bällebad im Möbelhaus ist eine Möglichkeit, seine Kinder mal für kurze Zeit loszuwerden, allerdings haben Eltern auch ansonsten keine große Not, in Hamburg einen regulären Betreuungsplatz für ihren Nachwuchs zu finden. „Hamburg hat es als eine der wenigen Städte geschafft, den Rechtsanspruch umzusetzen“, sagt Björn Staschen, Vorstandsmitglied beim Landeselternausschuss Kindertagesbetreuung Hamburg (LEA), der die Interessen der etwa 67.000 betreuten Kita-Kinder und ihrer Eltern vertritt.

Der Kita-Markt war in Hamburg in den vergangenen Jahren so heftig in Bewegung wie nie zuvor. Der Wettbewerb wurde angekurbelt, als die Stadt im August 2003 das Gutschein-System eingeführt hat. Eltern bekamen fortan keinen Platz mehr zugeteilt, sondern konnten sich selbst einen in ihrer Wunsch-Kita aussuchen – sofern sie einen Platz bekamen und nicht nur auf der endlos langen Warteliste landeten. Denn Angebot und Nachfrage waren zu Beginn der Systemumstellung noch längst nicht passgenau.

Mit dem Krippenausbauprogramm wurden nach Angaben der Sozialbehörde seit 2008 91,2 Millionen Euro investiert, davon entfielen 29,5 Millionen auf Landesmittel, die Hauptlast übernahm der Bund. Entsprechend stieg die Zahl der Einrichtungen über die Jahre enorm an, Hamburg gilt damit als Spitzenreiter bundesweit. Gab es Ende 2003 noch 796 Kitas, so sind es aktuell 1025, die von 467 Trägern betrieben werden. Es gibt Wald- und Waldorfkindergärten, Musik- und bilinguale Kindergärten und solche, die mit Bioessen werben. Für jeden Eltern-Geschmack ist etwas dabei.

Und die betreuten Kinder werden zunehmend jünger. Seit Beginn des Krippenausbauprogramms hat sich die Zahl der betreuten Krippenkinder, also der unter Dreijährigen, auf etwa 22.000 Kinder verdoppelt, die Betreuungsquote stieg auf etwa 43 Prozent. Im Elementarbereich (Drei- bis Sechsjährige) werden etwa 53.000 Kinder in Kitas, bei Tagesmüttern und in Vorschulklassen betreut – eine Quote von etwa 95 Prozent. Dazu kommt: Die Kinderbetreuung ist für Hamburger Eltern so preiswert wie noch nie. Denn die fünfstündige Betreuung, die sogenannte Grundversorgung, ist seit August 2014 kostenfrei – dies war ein erklärtes Ziel des SPD-Senats für die zurückliegende Legislaturperiode. Eltern bezahlen jetzt nur mehr für jene Stunden, die über die Grundversorgung hinausgehen – abhängig vom Einkommen und der Zahl der Familienmitglieder. Damit sparen sie bis zu 192 Euro im Monat, im Jahr also 2304 Euro. Das war der Satz, der bei Höchstzahlern fällig wurde.

Für die Stadt wird es im Gegenzug immer teurer. Die Elternbeiträge deckten 2014 noch 14,5 Prozent. Durch die fünfstündige Grundbetreuung werde die Deckung 2015 voraussichtlich auf knapp acht Prozent sinken, sagt Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde. Für das laufende Jahr rechnet die Sozialbehörde mit Ausgaben von 662 Millionen Euro, für 2016 mit 685 Millionen Euro. Die Kitas erhalten pauschale Zahlungen, die sich nach dem Alter der Kinder und der Betreuungsdauer pro Tag richten. Für Krippenkinder gibt es deutlich mehr Geld als für Elementarkinder (siehe Tabelle unten).

Der schnelle Ausbau birgt allerdings Probleme, auf die Betreuer, Eltern und Interessenverbände seit Monaten vehement aufmerksam machen. Daran hat auch die Eckpunktevereinbarung, die im Dezember 2014 geschlossen wurde, nichts geändert. Darin wurde festgelegt, dass bis 2019 eine Erzieher-Kind-Relation von 1:4 erreicht werden soll (derzeit liegt sie im Schnitt bei 1:6). Doch vielen Erziehern dauert das zu lange. Auch der LEA übt Kritik: „Aus Sicht des LEA hat der Senat den Aspekt nicht ernst genug genommen‚ dass sich die Qualität nicht verschlechtern soll: Während nominell die Personalschlüssel gleichgeblieben sind, sind die betreuten Gruppen durch Rechtsanspruch und fünfstündige Gebührenfreiheit sehr viel heterogener und damit in der Betreuung aufwendiger geworden“, sagt LEA-Sprecher Björn Staschen. Es gebe mehr Wickelkinder, mehr Kinder, mit Förderbedarf, mehr Kinder aus bildungsfernen Familien. Es dauere zu lange, bis der Krippenschlüssel nachhaltig verbessert werde. Und weil das Personal knapp ist, kommt es dazu, dass Kitas manchmal nicht mehr wissen, wie sie die Betreuung sicherstellen sollen. So wurden diese Woche Eltern einer Ottensener Kita gebeten, ihre Kinder selbst zu betreuen, weil mehrere Erzieher krank waren und es keinen Ersatz gab. Denn durch den raschen Kita-Ausbau ist das Angebot an pädagogischem Personal knapp geworden.

Etliche neue Anbieter haben sich auf dem Markt etabliert, nach Angaben der Dachverbände aber keine großen kommerziellen Ketten. Neben großen Trägern wie den Elbkindern, dem städtischen Kita-Träger, sind es auch mittelgroße und kleinere Einrichtungen, die sich neu auf dem Markt tummeln und mit großzügigen Öffnungszeiten oder beispielsweise Fremdsprachenerziehern werben.

Die Kita „Hansekinder“ in Winterhude beispielsweise wurde 2012 eröffnet. Christian Kolhoff, 39, und Bastien Carrillo, 37, sind die Kita-Gründer und -Leiter: „Wir wollen die beste Kita Hamburgs sein. Mit dem Anspruch sind wir rangegangen“, sagt Kolhoff. Ihre Kita ist direkt am Mühlenkamp und liegt dennoch etwas versteckt. Es gibt anders als üblicherweise keine ebenerdigen, bunt mit Kinderzeichnungen dekorierten Schaufenster, sondern mit dem Fahrstuhl oder über die Treppe geht es in das zweite und dritte Stockwerk eines Büro- und Ärztehauses. Auf 540 Quadratmetern werden 96 Kinder betreut, davon 44 in der Krippe, 52 im Elementarbereich. „Wir hatten uns ganz viele Kitas bundesweit angeguckt. Viele waren schrecklich bunt“, erinnert sich Kolhoff. Sein Einrichtungskonzept war anders: „Es sollte aussehen wie ein schwedisches Ferienhaus.“ Und so gibt es viel Weiß, helle Hölzer und Pastellfarben und als Bodenbelag robustes Eichenparkett.

Eine weitere Erkenntnis ihrer Gespräche, die sie vor der Gründung mit vielen Kita-Mitarbeitern führten, sei gewesen: „Sie wünschten sich mehr Personal und Schallschutz“, sagt Kolhoff. Deshalb sei Schallschutz für 123.000 Euro verbaut worden. Die Investitionskosten insgesamt beziffert er mit 850.000 Euro. Die Kita ist von 7 bis 19 Uhr geöffnet. „Acht- bis Zehn-Stunden-Gutscheine sind hier das Übliche“, sagt Kita-Gründer Kolhoff. „Hochwertige Gutscheine“ nennt er sie, die es brauche, um profitabel zu arbeiten: „Wir müssen ja auch unsere Erzieher von 7 bis 19 Uhr bezahlen“, sagt er. 20 Mitarbeiter habe die Kita, ein Viertel davon arbeite Teilzeit. Um den Betreuer-Kind-Schlüssel zu verbessern, verschiebe man „innerhalb des Budgets etwas“, sagt Carrillo. Der Schlüssel in Hamburg reicht seiner Ansicht nach, „wenn es gut läuft, für satt und sauber“. Allerdings sind Kolhoff und Carrillo einig, dass die Gebührenfreiheit nicht sinnvoll war: „Man hat ohne Not die Eltern finanziell entlastet. Wer für Gebührenfreiheit ist, ist für schlechtere Qualität in Kitas“, findet Carrillo.

Extras müssen die Eltern bei den Hansekindern auch extra bezahlen. Beim Kindertanz mit einem ausgebildeten Tänzer werden für die Zehnerkarte 60 Euro fällig, Turnen im Goldbekhaus kostet fünf Euro im Monat extra. Optional können die Eltern auch Frühstück bestellen für 15 Euro im Monat. Sollten Eltern es nicht schaffen, ihr Kind bis 19 Uhr abzuholen, werden 30 Euro pro Stunde fällig.

Ihr Angebot finde die entsprechende Nachfrage, so Kolhoffs Erfahrung. Dadurch, dass Eltern inzwischen deutlich mehr Wahlmöglichkeiten hätten, müssten sie nicht mehr jeden Platz annehmen, könnten wählerischer sein. Pro Tag kämen ein bis drei Anfragen von Eltern herein, dazu „eine Blindbewerbung von Erziehern“. Sie hätten durchaus darüber nachgedacht, einen weiteren Standort zu suchen, sagt Bastien Carrillo„aber uns ist lieber, wir haben eine Kita, die läuft.“

„Die Situation für Eltern ist in Hamburg paradiesisch“, sagt Franziska Larrá, Geschäftsführerin der Elbkinder, dem größten Kita-Träger Hamburgs, der 174 Kitas an 182 Standorten betreibt. „Man kann sich als Kunde seine Kita auch noch aussuchen.“ Das städtische Unternehmen, dem sie vorsteht, ein Schwergewicht auf dem Kindergartenmarkt, betreut gut 21.000 Kinder im Kita-System (etwa ein Drittel im Krippenbereich, zwei Drittel im Elementarbereich) und etwa 7000 Schüler in der ganztägigen Betreuung in Schulen (GBS). Die Elbkinder beschäftigen 5500 Mitarbeiter, davon etwa 3800 pädagogische Fachkräfte. „Wir haben zwei schwierige Jahre hinter uns“, sagt Larrá. Der Krippenausbau habe sich mit der Hortreform bzw. der flächendeckenden Einführung von GBS gekreuzt. Dadurch seien sehr viel mehr kleine Kinder in den Einrichtungen.

Larrá ist eine große Befürworterin der Gebührenfreiheit in Kitas. Schule und Universität kosteten ja auch kein Geld, sagt sie. Zudem dürfe der Elternbeitrag keine Barriere für die Bildungschancen von Kindern sein. „Kitas müssen für jeden da sein, das finde ich als politisches Signal sehr wichtig. Wir haben viele Kitas in sozial benachteiligten Stadtteilen.“

Die Elbkinder würden von der Stadt „in keiner Weise bevorzugt“, betont die Geschäftsführerin. „Wir haben so viel Personal, wie wir an Geld aus dem Kita-Gutschein bekommen.“ Sämtliche, natürlich anfallenden Ausfallzeiten wie Krankheit, Urlaub oder Fortbildungen würden bei der Berechnung der Betreuerschlüssel nicht berücksichtigt. Jede Elbkinder-Kita habe den Auftrag, eine schwarze Null zu schaffen, allerdings gebe es bei der großen Einrichtung gewisse Synergie-Effekte, beispielsweise biete man ein großes Fortbildungsprogramm an, sagt Larrá.

Auf Synergie-Effekte kann Kristin Grube von der Kinderstube Sethweg e.V. in Niendorf nicht hoffen. „Wir sind eine kleine Einrichtung, aber das schätzen die Eltern“, sagt sie. Seit fast 40 Jahren behauptet sich die Kinderstube erfolgreich im Kita-Geschäft. Grube betreut mit ihren zwei Kolleginnen und Praktikanten derzeit 23 Kinder ab zwei Jahren. Denn sie bieten an, was in Hamburg immer noch schwer zu bekommen ist: Fünf-Stunden-Plätze. Geöffnet ist die Kinderstube von 7.30 bis 14 Uhr, etliche Eltern nutzen auch Sechs-Stunden-Gutscheine, eine halbe Stunde bekommt jeder geschenkt. „Das ist ein Bonus“, sagt Grube, die seit 1986 in der Einrichtung, die sich aus einer Elterninitiative entwickelt hat, arbeitet. 2014 sind sie in neue Räume umgezogen – eine ehemalige Tierarztpraxis, 144 Quadratmeter groß, von einem Architekten geschickt umgebaut, sodass es jetzt mehrere Räume gibt, in die sich die drei Erzieher auch mit kleinen Gruppen zurückziehen können. Grube weiß um den Bedarf an Fünf- und Sechs-Stunden-Plätzen. „Ich höre immer wieder von Eltern, dass sie jederzeit Acht-Stunden-Plätze bekommen könnten.“ Für Extraleistungen nimmt die Kita drei Euro im Monat. Damit würden alle Ausflüge bezahlt und die wöchentlichen Schwimmausflüge mit einer kleinen Gruppe von Kindern. Die Buchhaltung erledigt Jill Partmann, deren Sohn die Kita besucht, auf Minijob-Basis.

„Früher wurden die Verwaltung, Organisation und die Finanzen immer von Eltern gemacht“, sagt Grube, doch inzwischen sei das zu aufwendig. Partmann, die als Versicherungskauffrau in Finanzfragen fit ist, hat auch den etwa 70.000 Euro teuren Umbau mit organisiert. Lange hat sie auch dafür gekämpft, dass die Sozialbehörde Spielgeräte bezuschusst. Mit Erfolg. Jetzt stehen schöne Holzspielgeräte im Vorgarten am Garstedter Weg. Tägliches Draußenspielen wie hier ist allerdings längst nicht in jeder Kita üblich. Manchmal bleibt den Kindern nur das Bällebad.