Druck aus CDU auf Spitzenkandidaten und bisherigen Fraktionsvorsitzenden wächst. Massive Kritik an Parteichef Weinberg.

Hamburg. Drei Tage nach der Wahlkatastrophe der CDU am Sonntag wird es eng für den Spitzenkandidaten Dietrich Wersich und Parteichef Marcus Weinberg. Wenn die Christdemokraten am morgigen Donnerstagabend zu ihrem ersten Parteitag nach der Bürgerschaftswahl im Bürgerhaus Wilhelmsburg zusammenkommen, wird die Debatte über personelle Konsequenzen nach Einschätzung von Insidern voll ausbrechen. Manche sprechen angesichts des Frusts, der sich bei gescheiterten Bürgerschaftskandidaten und an der Basis aufgebaut hat, schon von einem Scherbengericht.

Die CDU hatte mit 15,9 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten eingefahren und noch einmal sechs Prozentpunkte gegenüber 2011 verloren, dem bisherigen Tiefststand. Am Montag hatte sich Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel gegen Personalwechsel in der Hamburger CDU ausgesprochen und Wersich und Weinberg damit den Rücken gestärkt. Doch jetzt ist die Frage, ob das Kanzlerin-Wort in Hamburg wirkt.

Schon in der zweistündigen Sitzung des Landesvorstands am Montagabend mussten sich Wersich und Weinberg Vorwürfe anhören. Sie betrafen sowohl die CDU-Wahlkampagne, die manchen zu brav und betulich war, als auch die Grundausrichtung der Partei. Eine Kritik: Die Union hätte zu wenig ihr konservatives Wählerspektrum „bedient“.

Wersich konnte sich in der Sitzung nicht mit seinem Vorschlag durchsetzen, dass sich der Landesvorstand per Beschluss gegen personelle Änderungen an der Spitze ausspricht. Möglicherweise hatte Wersich, dem auch viele Parteifreunde am Wahlabend noch für seinen unermüdlichen Einsatz gedankt hatten, die Wucht der Kritik unterschätzt. Mittlerweile wird für möglich gehalten, dass Wersich von sich aus auf eine erneute Kandidatur als Fraktionsvorsitzender verzichtet.

CDU-Delegierter: Weinberg hat Partei „nicht um einen Hauch vorangebracht“

Ein Grund könnte zudem sein, dass sich der Spitzenkandidat nicht mehr des vollständigen Rückhalts der neu zusammengesetzten und dezimierten Fraktion sicher ist. Statt 28 werden nur noch 20 Christdemokraten der Bürgerschaft angehören. Die Hälfte der bisherigen Fraktion wird nicht mehr dabei sein, darunter Leistungsträger wie der Haushaltspolitiker und Fraktionsvize Roland Heintze, der Jugendpolitiker Christoph de Vries, der Altonaer CDU-Chef Hans-Detlef Roock oder die Familienpolitikerin Friederike Föcking. Sechs der 20 Abgeordneten sind erstmals dabei. Mit einem freiwilligen Rückzug hätte Wersich das Heft des Handelns selbst in der Hand. Nach Informationen des Abendblatts ist der CDU-Politiker noch unentschieden.

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Sollte sich Wersich gegen eine erneute Kandidatur als Fraktionschef entscheiden – und nur für diesen Fall –, spräche viel für die Schulpolitikerin Karin Prien als Nachfolgerin. Der Rechtsanwältin und dreifachen Mutter aus Blankenese wird zugetraut, das liberale und konservative Wählerspektrum anzusprechen. „Ich bin bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen“, hatte Prien nach der Wahl gesagt, das aber nur auf einen Vize-Posten bezogen.

Auch die Vorwürfe von CDU-Politikern gegen Parteichef Weinberg werden etwa in den sozialen Netzwerken immer heftiger. „Das Ergebnis des gestrigen Abends (Sitzung des CDU-Landesvorstandes) ist beschämend“, schreibt dort etwa der langjährige innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion Kai Voet van Vormizeele. „Eine Erklärung des Landesvorsitzenden, es werde kein Stein auf dem anderen bleiben, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Die Konzepte, die in der CDU kein Stein auf dem anderen lassen, stapeln sich im Leinpfad im Keller“, so der CDU-Mann mit Blick auf die Parteizentrale. „Nach jeder verlorenen Wahl dieselbe Leier, ohne Konsequenzen. Richtig wäre gestern Abend ein klarer Schnitt gewesen, ohne Lamentieren und mit deutlichem Bekenntnis zur eigenen Verantwortung. Jetzt haben viele (ehemalige) Abgeordnete zwangsläufig Verantwortung übernommen, wo die Spitze versagt hat.“

Weinberg und Wersich hätten bereits „nach der desaströsen Wahl 2011 eine Aufarbeitung in der Partei verhindert“. Die eigene Wahl in Positionen sei ihnen wichtiger als die Erforschung von Gründen, warum das damalige Desaster eintreten konnte. „Wer jetzt wieder nach Geschlossenheit ruft, führt die Union in Hamburg konsequent in die Einstelligkeit.“ Der CDU-Landesdelegierte Tomas Spahn warf Weinberg vor, er habe die Partei „nicht um einen Hauch vorangebracht“. Und direkt an Weinberg: „Du hattest jetzt vier Jahre deine Chance. Deine Einsichtsfähigkeit endete immer dann, wenn deine Mauschelkreise ihre Positionen bedroht sahen. Wenn du nun wieder zwei Jahre lang eine am Boden zerstörte Partei mit irgendwelchen Pseudoprogrammatiken ohne Nährwert beschäftigen möchtest – dann mach das bitte ohne uns.“

Der frühere Bürgerschaftsabgeordnete Stephan Müller: „Ich erwarte jetzt einfach einen wirklichen Neubeginn, der damit anfangen muss, dass die eigentlichen grauen Eminenzen in den Kreis- und Ortsverbänden endlich die Verantwortung übernehmen und geschlossen zurücktreten. Ich für meinen Fall werde es tun. Ich werde alle Mandate und Ämter niederlegen, bis ich endlich wieder weiß, in welcher Partei ich eigentlich bin.“ Wegen des wachsenden Drucks scheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass Wersich auch sein Bürgerschaftsmandat niederlegt. Das würde dem in der Partei geschätzten Haushaltspolitiker Roland Heintze den Weg in die Bürgerschaft freimachen. Er wäre der erste Nachrücker.