In den vergangenen Jahren wurde der Sicherheitsapparat für Olympia immer weiter aufgerüstet. Könnte Hamburg im Jahr 2024 den Trend stoppen und mit weniger auskommen? Wahrscheinlich ist das nicht

Auch die Olympischen Spiele kennen eine Zeit vor dem Terror. Und eine danach. München 1972: Polizisten laufen zwischen den Sportlern ebenfalls in Trainingsanzügen über das Gelände. Sie sollen „unsichtbar“ sein, ohne Uniform, und die Spiele weltoffen. Nach elf Tagen durchbrechen palästinensische Terroristen diese Idylle. Auch sie kommen in Trainingsanzügen. Und mit Kalaschnikows. 17 Menschen sterben bei dem Angriff auf das israelische Mannschaftsquartier. Die Polizei macht schwere Fehler, die Befreiung scheitert. Die Bundesrepublik unterschätzte die Bedrohungslage.

Das Attentat von München ist ein Wendepunkt in der Sicherheitspolitik bei Olympia. Die Geschichte der Spiele liest sich seitdem auch wie eine Chronik militärischer Aufrüstung. Als London 2012 das Sportereignis ausrichtete, schützten rund 18.000 Soldaten die 34Wettkampfstätten und die Feiern im Stadion. Auf der Themse ankerte ein Kriegsschiff. Die Sommerspiele wurden die größte britische Militäroperation seit dem Koreakrieg. Mit jedem Terrorakt wie 2001 in New York oder 2005 in London antwortete ein Gastgeberland mit strikteren Sicherheitskonzepten.

Während der zwei Wochen langen Wettkämpfe in London verstummte die Sicherheitsdebatte weitestgehend. Für die Behörden ein Erfolg, viele in Polizei und Politik sehen die Londoner Strategie als Vorbild. Die Spiele 2012 blieben dem Gros der Welt mit einem guten Gefühl in Erinnerung: mildes Pathos, Charme und Show, großer Sport. Doch dahinter türmte sich eine „Sicherheitsarchitektur“ auf. Ist dieser Trend zu stoppen, wenn Hamburg tatsächlich die Olympischen Spiele 2024 ausrichtet? Oder wäre eine Abkehr von Gigantismus bei der Sicherheit gar ein unkalkulierbares Risiko?

Wer mit Sicherheitsexperten, Polizisten oder Verfassungsschützern spricht, hört vor allem einen Satz: Nichts ist heute seriös vorherzusagen. Niemand kann und will ernsthaft bewerten, wie stark sich der Terrorismus 2024 manifestiert hat, mit welchen Waffen Staatsfeinde agieren und ob neue Gefahren akut werden. Ein Sicherheitskonzept musste Deutschland auch deshalb dem Olympischen Komitee bisher nicht vorlegen.

Doch Schutz, das ist nicht nur die Abwehr von Terror. Es geht auch um Rettungseinsätze bei Unglücken wie dem Einsturz einer Tribüne oder der Explosion in einer Chemiefabrik nahe der Stadien.

Doch die Planer im Hamburger Rathaus setzen den Fokus bei der möglichen Olympia-Bewerbung derzeit auf die Bauprojekte, den Verkehr, die Kostenkalkulation – und werben für eine Pro-Olympia-Stimmung in der Stadt. Unnötig warnen will daher niemand. Stattdessen zeigen sich die Verantwortlichen der Behörden gelassen.

Man habe Erfahrungen mit gewalttätigen Protesten während G-7-Gipfeln und Castor-Transporten. Hamburg habe zwei Fußball-Weltmeisterschaften mit ausgerichtet und kenne Großereignisse wie Hafengeburtstag und Marathon.

Doch Olympische Spiele sind nur begrenzt vergleichbar mit dem Alstervergnügen. Der Schutz der Menschen bei Großereignissen ist das Pflichtprogramm des Staates. Der Glanz der Spiele glitzert nie von den Uniformen der Polizisten. Es geht vor allem darum, möglichst wenig Fehler zu machen. Und das mit möglichst wenigen Störfaktoren.

Und so sind sich zumindest die Sicherheitsbehörden der Stadt einig: Olympia in Hamburg soll trotz Anti-Terror-Maßnahmen und Katastrophenschutz den „Charakter der Spiele“ behalten, wie es heißt, und die Polizeipräsenz so weit wie möglich im Hintergrund bleiben. Man setze auf die Dienstmütze statt Helm, auf das Diensthemd statt auf die schusssichere Weste, sagt der Sicherheitschef der Hamburger Innenbehörde, Bernd Krösser.

Innensenator Michael Neumann (SPD) antwortete den Gegnern von Olympia, dass man das Schutzbedürfnis aller Beteiligten genauso berücksichtigen werde wie Bewegungsfreiheit. Aber wie weit ist die Idee zurückhaltender „Sicherheitsarchitektur“ gegen internationale Auflagen für die Spiele durchsetzbar? Schließlich hat sich die Spirale der Maßnahmen immer weiter in die Höhe geschraubt: Hatten die Kosten für den Schutz der Sommerspiele in Los Angeles 1984 pro Athlet noch 11.627 Dollar und pro verkaufter Eintrittskarte 14 Dollar ausgemacht, stiegen sie in Sydney auf 16.062 und 34 Dollar an und schließlich 2004 – bei den ersten Spielen nach den Terroranschlägen von New York – auf 142.857 Dollar pro Sportler und 283 Dollar pro Ticket in Athen.

Nicht nur die Besucher und das Olympische Komitee haben ein Inte-resse an Sicherheit. Auch die Sponsoren wollen ihre Produkte in einem sicheren Umfeld im Olympischen Park oder nahe an den Stadien präsentieren – eine Gratwanderung. Einerseits muss die Sicherheit gewährleistet sein. Andererseits soll das Werbeumfeld nicht aussehen wie ein Hochsicherheitstrakt.

Christoph Unger ist Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Berlin (BBK). Sein Amt schult und berät die Feuerwehren und Rettungskräfte vor Großereignissen, seine Mitarbeiter koordinieren den Einsatz im Fall einer Katastrophe – sofern die Bundesländer die Hilfe des BBK annehmen. Unger hebt hervor: „Bei internationalen Großereignissen merken die Verantwortlichen den Konkurrenzdruck zwischen den Sponsoren und den Bedürfnissen der Einsatzkräfte.“ Bei der Fifa-WM 2006 in Deutschland sei das besonders spürbar gewesen. „Da geht es um die Frage, ob der Cola-Stand und die Imbissbude näher am Stadion stehen als der Behandlungsplatz für Verletzte.“

Olympia ist großer Sport, aber immer auch ein großes Geschäft. Und so interessieren sich auch Firmen für das Sicherheitskonzept der Spiele. Siemens etwa lieferte 2004 für Olympia in Athen das Sicherheitssystem. Vier Jahre später in Peking spielte das von EADS Defence & Security bereitgestellte Funknetz eine wichtige Rolle. Technologiekonzerne würden die Spiele als eine Art „Showroom“ für neue Technik nutzen, sagt Dennis Pauschinger, der am Institut für Kriminologie in Hamburg an seiner Doktorarbeit über Sicherheit bei Sportveranstaltungen arbeitet. „Die Technologiekonzerne erhoffen sich durch die Präsenz bei Großturnieren abseits der lukrativen Geschäfte auch neue Kunden in den Gastgeberländern.“

Für die Behörden in Hamburg wäre Olympia eine Chance, Technik und Infrastruktur von Polizei und Feuerwehr zu modernisieren. Neue Leitstellen, besserer Brandschutz, moderne Kommunikationssysteme, aber auch Überwachungskameras und Geräte für spezielle Kontrollen rüsteten die Gastgeberländer der vergangenen Spiele im Zuge der Vorbereitung auf Olympia nach. „Da geht es schnell um Investitionen von ein paar Hundert Millionen oder gar um mehr als eine Milliarde“, sagt der Berliner Sicherheitsexperte Otfried Nassauer. Der Druck der Spiele hilft den Sicherheitsbehörden im Wettkampf um Etats. London gab dafür mehr als eine Milliarde Euro aus.

Die Spiele in London zeigten, dass Besucher und Athleten bereit sind, Kontrollen auf sich zu nehmen, wenn dafür die Sicherheit erhöht ist. Die meisten Menschen störte auch nicht der elektrisch aufgeladenen Zaun, der die Wettkampfstätten umschloss.

Manche Experten und Kritiker der Spiele sehen jedoch eine Gefahr für Bürgerrechte und Datenschutz. „In der Vergangenheit wurden beispielsweise politische Proteste in einem bestimmten Radius um Olympiastadion oder WM-Stadien von der Polizei unterbunden“, sagt Pauschinger.

Und doch ist die Sicherheitslage in Hamburg deutlich stabiler als in Städten wie Rio de Janeiro oder im russischen Sotschi. Die Präsenz von Militär war in China und Russland geprägt von den autokratischen Regierungen der Gastgeberländer. Bürgerrechte sind in Deutschland stärker geschützt. Doch auch Hamburg habe nach den Ausschreitungen in der Sternschanze vor einem Jahr mit den Gefahrengebieten erlebt, wie schnell Maßnahmen der Polizei greifen könnten, sagte Pauschinger. Ohne parlamentarische Kontrolle.

„Eingeklemmt zwischen den Sicherheitsauflagen des IOC und den Interessen von Behörden und Wirtschaft haben es Datenschützer und Bürgerrechtler dann erfahrungsgemäß schwer“, sagt Sicherheitsexperte Nassauer. Kritiker der Spiele treibt noch etwas um: Wie viele der Sicherheitsmaßnahmen werden nach den Spielen abgebaut? Experten sprechen vom „Sicherheitserbe“ eines Großevents. Bleiben Überwachungskameras stehen? Werden Datenbanken angelegt und nach den Spielen darauf zugegriffen?

Kommt es zu Spielen in Hamburg, ist die Innenbehörde nicht allein verantwortlich. Vor allem die Bundesregierung steht in der Pflicht. Der Bund garantiert dem IOC die Sicherheit. Die Regierung in Berlin unterzeichnet den Ausrichterkatalog des IOC. Der Abschnitt zur Sicherheit aber wird geheim bleiben. Terroristen dürfen die Strategien der Behörden nicht kennen. Der Bund trägt damit auch das Gros der Kosten für Infrastruktur und Personal. Das ist ein Vorteil für Hamburgs Polizei, die stark von den Sicherheitsinvestitionen profitiert, aber nicht alles zahlen muss. Doch der Bund wird deshalb auch entscheidend die Strategien für die Sicherheit steuern wollen.

Bei vergangenen Spielen organisierte ein Komitee unterschiedlicher Behörden das Schutzkonzept. Vertreter der Regierung, das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz würden in einem solchen Gremium sitzen. Und auch Hamburger Beamte, denn Polizeieinsätze sind in Deutschland Ländersache. Zudem wirken ausländische Dienste im Gastland. Gute Koordinierung zählt für Experten zum Fundament beim Schutz vor Terror und Katastrophen.

Tritt tatsächlich ein Notfall ein, ist die Kette der Rettungsmaßnahmen klar definiert: An den Stadien entstehen Behandlungsplätze, die Wege der Rettungswagen in der Stadt sind bestimmt, die Stationierung der Einsatzkräfte innerhalb und außerhalb Hamburgs seien dann vorbereitet, sagt Christoph Unger vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Bei der WM 2006 sollten im Fall einer Katastrophe zwei Prozent der Stadionbesucher versorgt werden können. Bei 80.000 Zuschauern in Dortmund wären das 1600 Menschen gewesen.

Katastrophenschützer Unger hebt hervor, dass jede Stadt eigene Risiken hat. Spiele am Wasser sind mit besonderen Herausforderungen verbunden: Der Seeweg müsste durch die Wasserschutzpolizei gesichert sein, auch der Transport von Besuchern auf die Elbinseln bedarf besonderen Schutzes. Eine Idee der Hamburger Planer stößt bereits auf Widerstände: Für eine geplante U-Bahn-Station „Olympiastadion“ gibt es laut Behörde zwei Optionen: Die Haltestelle wird nicht unmittelbar am Olympischen Dorf liegen können. Oder aber sie müsste für die Zeit der Spiele geschlossen werden. Zur Sicherheit.