Sportler nehmen unglaublich viel auf sich, um bei Olympia dabei zu sein. Exemplarisch dafür ist die Geschichte von Hindernisläuferin Jana Sussmann.

Hamburg. Es läuft wieder bei Jana Sussmann. Und das kann man wörtlich nehmen. Nach zwei Jahren voller Rückschläge hat sich die Hamburgerin eindrucksvoll zurückgekämpft und ihr großes Ziel wieder fest im Blick: die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Wenn man wissen will, was Athleten auf sich nehmen, um sich ihren Traum zu erfüllen, lässt man sich am besten Janas Geschichte erzählen.

Eisern und immer fröhlich, so hat sie einmal ihr Trainer beschrieben. „Ja, das stimmt“, sagt Jana, „aber ich würde die Reihenfolge tauschen – zuerst fröhlich und dann eisern.“ Ihr Motto: „Man muss den nötigen Biss haben, darf aber auf keinen Fall seine Lockerheit verlieren.“ Es ist nicht nur ihr Rezept, um durchs Leben zu laufen, sondern auch über die 76,2 Zentimeter hohen Balken beim 3000-Meter-Hindernislauf. In ihrer Disziplin, in der sie im Juli 2011 quasi aus dem Nichts zum deutschen Meistertitel spurtete.

Plötzlich war sie da. Ein selbstbewusstes blondes Mädchen, das erst ein Jahr zuvor von den 1500 Metern auf die doppelt so lange Strecke gewechselt war. Mit einer Bestzeit von 9:43,28 Minuten , die sie im Juni in Stockholm aufgestellt hatte, galt sie mit einem Mal als neue deutsche Hoffnung über diese schwierige Strecke. Jana schaffte zwei Monate später sogar ihre erste Teilnahme an einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Im südkoreanischen Daegu verpasste sie zwar das Finale, dennoch lief alles nach Plan.

Verletzungen, Krankheiten und ein Zusammenbruch warfen sie zurück

Doch dann tauchten plötzlich Hürden auf, über die sie nicht mehr so einfach springen konnte. Verletzungen, Krankheiten, ein Zusammenbruch. „Da kamen mehrere Sachen zusammen“, sagt die 24-Jährige, die nach einer Banklehre bei der Haspa seit Oktober 2013 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Medien und Informatik studiert, um später einmal als Journalistin Reportagen zu schreiben.

Eine lange nicht erkannte Allergie gegen Hausstaubmilben im März 2012 hatte zur Folge, dass sie beim Sport heftige Atembeschwerden hatte. „Ich bekam zu wenig Luft beim Laufen.“ Sie verpasste die Olympianorm für die Sommerspiele in London. Es war ein ganz bitterer Moment in ihrer Karriere.

Ein Jahr später zwang sie ein sogenanntes Knochenödem erneut zu einer mehrmonatigen Pause. Sie hatte hartnäckige Schmerzen im rechten Oberschenkel zu lange ignoriert, bis sich Muskel und Sehnen am Knochen entzündeten. Vielleicht lag es auch am Kopf. „Kann sein, dass ich mir zu viele Gedanken gemacht habe.“ Leichtathleten werden oft zu Leid-Athleten, vor allem, wenn sie hoch hinaus wollen und fokussiert sind auf ein großes Ziel.

Sie haben sogar eine eigene Zeitrechnung. Ihr Jahr geht von Oktober bis September. Im Herbst beginnt das Wintertraining. Bis zum Februar läuft Jana rund 80 Kilometer pro Woche. Einmal 18 Kilometer, das ist der längste Lauf. Dazu kommen einige 10-Kilometer-Dauerläufe zwischen 40 und 45 Minuten. Zweimal in der Woche absolviert sie zusätzlich verschärfte Tempoeinheiten. Drei- bis viermal 2000 Meter in je 7:10 Minuten oder achtmal 1000 Meter in je 3:25 Minuten – mit jeweils einer Minute Pause zwischen den Läufen.

Die Laktattests zeigen, dass ihrem Körper diese Art der Trainingsdosierung am besten bekommt. Jana gilt als Ausdauer-Phänomen. Andere sagen, sie sei „eine Kampfsau“. Sie sagt, sie müsse sich ganz selten wirklich quälen. Für sie gilt nach wie vor der Rat ihrer Trainerin: „Nach dem letzten Tempolauf musst du dich so fühlen, dass du immer noch einen dranhängen könntest.“

Mit diesem Grundlagentraining in den Beinen geht es im Frühjahr in die Wettkampfsaison. Dann nehmen die Tempoläufe zu, außerdem werden die Hürden ins Training eingebaut, dazu kommt Kraft- und Stabilitätstraining. Jana trainiert jeden Tag zwei Stunden. Und hat den Spaß am Laufen noch lange nicht verloren. „Weil das Gefühl nach dem Training, wenn man sich richtig verausgabt hat, unglaublich schön ist.“

Sie geht oder besser: läuft, ihrer Leidenschaft nach, seit sie als kleines Mädchen zusammen mit ihrer Zwillingsschwester in der Leichtathletik-Abteilung des MTV Laßrönne angemeldet worden war. Werfen, Springen, Laufen. Das Laufen konnte sie am besten. Ihr Vater hat sie immer zum Training und zu den Wettläufen gefahren. Sie sind zusammen gejoggt. Irgendwann waren die Schwestern schneller als der Papa. Die Lust am Laufen hat sie nie verlassen. Während sich ihre Schwester Kim Elisa, die bis zum 14. Lebensjahr die Schnellere gewesen ist, vom Leistungssport verabschiedet hat, verfolgt Jana eisern ihr großes Ziel. Was fasziniert sie an Olympia? „Sportler, die schon an den Spielen teilgenommen haben, sagen, es sei noch schöner, größer und beeindruckender als sie es sich vorgestellt haben.“ Nur wenige würden es schaffen, bei diesem globalen Ereignis, das die Menschen bis in den letzten Winkel der Welt fasziniert, dabei zu sein. Jana will eine von denen sein.

Sie kennt Olympia schon. Wenn auch nur als Zuschauerin auf der Tribüne. Ihre Eltern hatten in der Hoffnung, ihre Tochter im Stadion anfeuern zu können, Ende des Jahres 2011 Karten für die Spiele in London gekauft. Für die Großeltern, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen. Sie sind mit 20 Leuten in die englische Hauptstadt geflogen. „Meine Eltern haben ein halbes Vermögen für die Tickets ausgegeben.“

Jana hat sich die Vorläufe in ihrer Disziplin als Zuschauerin angesehen. Dass es so schwer werden würde, hat sie nicht erwartet. Sie hat ihren Platz auf der Tribüne verlassen und sich „einen sehr teuren Cappuccino und einen noch teureren Muffin“ gekauft. Dann ging es ihr wieder gut. „Ich musste einige Zeit allein sein, um mit der Situation fertig zu werden. Um zu akzeptieren, dass ich nicht dabei war.“ Dass sie ihren großen Traum verpasst hatte.

Hat sie mal ans Aufhören gedacht? „Nie“, sagt sie. Ganz im Gegenteil. Als Gerüchte aufkamen, sie würde ihre Karriere aufgrund der Verletzungen beenden, hat sie das nur zusätzlich motiviert. „Ich wusste, dass ich es wieder schaffe, wenn ich verletzungsfrei bleibe.“ Sie hat ganz langsam wieder mit dem Laufen begonnen. Erst ohne, dann mit Balken. Fünf von ihnen müssen in jeder Runde übersprungen werden. Bei einem Hindernis landen die Läuferinnen anschließend im Wassergraben.

Der Wassergraben. Noch so eine Leidensgeschichte von Jana Sussmann. Die sie aber ebenfalls flugs in eine fröhliche Lach-Geschichte umgewandelt hat. Es war bei der EM in Zürich, als sie schon wieder auf dem Weg in die Spitze war. Sie stürzte in den Graben, rappelte sich wieder auf und lief dem Feld hinterher. Und gab anschließend ein sympathisch-lockeres Interview. „Auf einmal war ich im Wasser. Ich weiß gar nicht, wie das passiert ist.“ Aber sie war wieder da. Im Juni 2014 schrieben die Zeitungen von einem „beeindruckenden Comeback über die Böcke“. Bei einem Meeting im belgischen Heusden war Jana in 9:43,52 Sekunden nahe an ihre Bestzeit herangelaufen und hatte am Ende des Rennens noch sieben Konkurrentinnen überlaufen.

Heute sagt sie: „Ich weiß, dass ich es schaffen werde, bei Olympia für Deutschland zu starten.“ Sie ist sich sicher. Hat wieder Vertrauen in ihren Körper. Hat die negativen Erlebnisse in positive verwandelt, anstatt Trübsal zu blasen. Sie hat nicht gehadert, sondern die Zeit genutzt, um Dinge zu tun, zu denen sie sonst nie gekommen ist. „Ich habe mich endlich mal wieder mit Freunden verabredet, um spontan ins Café zu gehen.“ Und sie hat angefangen, Schwedisch zu lernen. „Mich fasziniert das Land, also wollte ich auch die Sprache sprechen.“

Und sie konnte vom Dorf in die Stadt ziehen. Vom beschaulichen Tönnhausen, einem Ortsteil von Winsen mit 700 Einwohnern, in die Einzimmerwohnung im lauten Eppendorf. Die Idylle hat sie eingetauscht gegen optimale Trainingsbedingungen in Hamburg. Zusammen mit ihrem Willen und ihrer Fröhlichkeit sollte das für Olympia reichen. Bei jedem Loslaufen denkt sie jetzt, wie schön es ist, ohne Schmerzen zu laufen.

Fragt man sie, auf was sie alles für ihren großen Traum verzichten muss, kontert sie mit einem Lachen: „Verzichten ist ein viel zu hartes Wort.“ Letztlich ginge es bei den Läufern immer nur um eines: „Das Ziel im Ziel lautet: Ich konnte nicht schneller laufen.“