Ausfälle und Verspätungen wegen Lokführer-Ausstands. Umsatzplus für Busunternehmen und Autovermieter. Stockender Straßenverkehr am Abend

St.Georg. Streiken will gelernt sein. Um kurz nach 14Uhr am Mittwochnachmittag nahm ein Häuflein streikender Lokführer der Gewerkschaft GDL Aufstellung vor dem Hauptbahnhof, Eingang Kirchenallee. Das gelb-grüne Banner „Wir streiken“ hielten sie zunächst verkehrt herum, ein neuerlicher Positionswechsel ließ den Schriftzug dann in Spiegelschrift erscheinen. Ein paar vorübereilende Passanten lachten.

„So ist das, wenn eine kleine Gewerkschaft auf dicke Hose macht“, sagte Thomas Kieling, 41, der gerade erfahren hatte, dass er nicht mehr, wie vorgesehen, zurück nach Mainz fahren kann. „Ich könnte zwar jetzt mit einem Intercity nach Hannover, aber niemand kann mir garantieren, dass ich von dort aus weiterkomme“, sagte der Wirtschaftsdozent, „also bleibe ich jetzt eine Nacht in Hamburg.“

Ein Auto hätte sich Thomas Kieling sowieso nicht kurzfristig mieten können: Bei den großen Autovermietern waren praktisch alle Autos weg, bei Avis wurden sogar schon um 7Uhr morgens keine Reservierungen mehr angenommen. Beim Mitbewerber Sixt bestand am Nachmittag immerhin noch die vage Chance auf einen Kleinwagen – allerdings für den „Streikpreis“ von rund 160 Euro, one-way. „Der Streik sorgt natürlich für eine gestiegene Nachfrage“, sagte ein Mitarbeiter des Unternehmens mit nur leichtem Bedauern in der Stimme. Bis zum Abend stockte an vielen Stellen der Stadt daher auch der Straßenverkehr – trotz Ferien.

Für 14 Stunden – von Mittwochnachmittag bis zum frühen Donnerstagmorgen um 4 Uhr – planten die GDL-Lokführer die Arbeit niederzulegen. Doch die ersten Auswirkungen waren schon Stunden zuvor, lange bevor das Streik-Banner entrollt wurde, zu spüren. Laut Anzeigetafel im Hauptbahnhof fielen bereits am Morgen viele Züge aus, es kam zu chaotischen Szenen auf den Fernbahnsteigen. Jeder vierte Zug soll gestrichen worden sein. Berlin, Kopenhagen und Stuttgart waren von Hamburg aus nicht mehr auf dem Schienenweg zu erreichen.

Mit Streikbeginn um 14Uhr traf es dann auch den Nah- und Regionalverkehr. Während in Schleswig-Holstein der Zugverkehr weitgehend zum Erliegen kam, schaffte es die Deutsche Bahn, die S-Bahnen im HVV-Netz auf den wichtigsten Strecken – die S1 von und nach Wedel, S3 nach Pinneberg und die in Bergedorf und Aumühle haltende S21 im 20-Minuten-Takt zu bedienen. Die Metronom-Verbindungen nach Niedersachsen waren von der Arbeitsniederlegung ausgenommen. Nach Kiel setzte die Bahn einen Ersatzverkehr mit Bussen ein.

Während der ICE nach München um kurz nach 8 Uhr noch einer überfüllten Tokioter U-Bahn glich, hatte sich die Lage auf dem Hauptbahnhof zur eigentlichen Streikzeit längst wieder beruhigt. Nur die S-Bahnsteige waren etwas voller als an anderen Tagen. Die Deutsche Bahn hatte viele zusätzliche Mitarbeiter aufgeboten, die den Reisenden Auskunft darüber geben sollen, welche Züge eventuell doch noch fahren würden – und welche eben nicht. Von einem „Chaos“ war kurz nach Streikbeginn jedoch nichts zu spüren, „und Pöbeleien sind die absolute Ausnahme“, sagte eine DB-Angestellte im Reiseinformationszentrum.

Die überwiegende Zahl der Zugreisenden zeigte sich gut informiert und hatte überwiegend Verständnis für die Forderungen der kleinen Lokführergewerkschaft, „auch wenn man sich vielleicht erst einmal auf den Güterverkehr hätte konzentrieren sollen“, sagte Kai Fromm, 19, der aus Trier zum Piloten-Bewerbungstest beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt angereist war. Er hatte sich jedoch rechtzeitig im Internet über Fahrplanverschiebungen informiert – und konnte einen früheren Zug besteigen. Ob er den Eignungstest bestanden hat, wird er erst in den kommenden Tagen erfahren. Christine Müller, 51, die um 12.58Uhr planmäßig mit dem IC nach Berlin reisen konnte, sagte: „Man muss es doch so nehmen, wie es kommt. Wäre der Zug nicht gefahren, hätte ich das Auto genommen. Aber wenn bei den Lokführern die Konditionen nicht stimmen, müssen die halt dafür sorgen, dass sie stimmen.“ Die GDL streikt unter anderem, weil die Lokführer zurzeit mehr als drei Millionen Überstunden vor sich herschieben.

Der Lokführerstreik durchkreuzte auch die Pläne von Schauspieler Wotan Wilke Möhring, 47: „Ich wollte mit dem ICE um 8Uhr früh von Berlin nach Hamburg fahren, und dann waren schon die Züge gestrichen“, sagte Möhring. „Auf die Schnelle blieb uns nur die Möglichkeit, mit dem Taxi zu fahren.“ Die Weiterreise wollte Möhring am Mittwochabend per Flugzeug noch vor Streikbeginn von Germanwings beginnen. „Natürlich ist der Streik wichtig, aber leiden tun immer diejenigen, die nichts dafür können“, sagte Möhring.

Wie „Tatort“-Star Möhring wichen viele Reisende auf Fernbusse, Taxen und Mietwagen aus. „Seit Dienstag verzeichnen wir zeitweise eine Verdopplung der Buchungseingänge“, sagte MeinFernbus-Geschäftsführer Torben Greve und kündigte an, zusätzliche Busse einzusetzen. „Wir haben deutlich mehr Fahrten als sonst“, sagte auch Thomas Lohse, Vorstand von Hansa Funktaxi. Auch die Lufthansa verzeichnete im Callcenter deutlich mehr Spontanbuchungen – viele Reisende wechselten von der Schiene in die Luft.

Wegen der morgendlichen Zugausfälle kritisierte Hartmut Petersen, Bezirkschef Nord der GDL, den Notfahrplan der Deutschen Bahn: Die hatte, um am heutigen Donnerstag den Fahrplan wieder rascher in den Griff zu bekommen, rund 80 Prozent der Züge am Morgen gar nicht erst losfahren lassen. „In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel standen alle Räder still“, sagte Petersen, „dafür habe ich kein Verständnis. Wir haben unseren Streik rechtzeitig angekündigt – dass erst ab 14 Uhr der Zugverkehr von unserer Seite komplett ruhen soll.“ Er ging davon aus, dass sich 500 bis 600 Lokführer im Gewerkschaftsbezirk Nord am zweiten Streik binnen einer Woche beteiligt haben.

Ein Fahrgast kommentierte diese Strategie der Bahn im Radio und schuf damit vermutlich den Spruch des Tages: „Das ist so, als wenn der Wetterbericht für den Nachmittag Regen ankündigt und ich ab 7Uhr morgens den Schirm aufspanne.“ Allerdings steckte hinter den ausgesetzten Zügen ein Kalkül: Die Bahn wollte verhindern, dass mit Gewerkschaftspersonal besetzte Züge ab Streikbeginn die Schienen belegen. Also ließ man sie gleich im Depot. Die wenigen mit Lokführer-Beamten besetzten „Streikbrecher-Züge“ hatten freie Bahn. Und: Regional- und Fernbahnen hielten auch an kleineren Bahnhöfen.