Wirt Dominik Großefeld erinnert sich an Philip Seymour Hoffman. In Hamburg drehte der Oscar-Preisträger vor seinem Tod „A Most Wanted Man“.

St. Pauli. Der Mann mit den grauen Bartstoppeln sitzt in einer Wandnische, der dritten von links, im Silbersack. Er raucht Kette und schüttet sich mit Whisky zu. Günter Bachmann (Philip Seymour Hoffman) vom Verfassungsschutz ist deprimiert. Sein Chef macht ihm Druck, die „Freunde“ von der CIA tricksen ihn nach Strich und Faden aus. Er will einen fälschlich verdächtigten Terroristen aus der Schusslinie bringen und weiß nicht, wie das gelingen soll. Der Mann passt in die Ecke mit der tabakdunklen Patina, als wäre er hier geboren.

Ein Weltstar wie Hoffman auf dem Kiez – das war beim Dreh 2012 selbst für die begehrte Filmlocation St. Pauli eine Sensation. Nur für einen nicht: für Dominik Großefeld., den Nachfolger der legendären Silbersack-Wirtin Erna Thomsen. Er hatte keine Ahnung, wer da als trauriger „Spion“ in seiner Nische ins Glas glotzte. „Ich kannte den nicht“, sagt er. „Erst meine Frau hat gesagt: Das ist doch der Böse aus ‚Mission Impossible‘.“ Dass Großefeld keine Ahnung hatte, ist klar. Denn wenn andere fernsehen oder ins Kino gehen, steht Dominik hinterm Tresen.

Doch von Hoffman hat der Wirt nun einen persönlichen Eindruck gewonnen: „Er hatte eine erhabene, aber keine arrogante Haltung.“ Im August und September 2012 drehte Regisseur Anton Corbijn für seine John-le-Carré-Verfilmung „A Most Wanted Man“ 42Tage lang mit internationaler Besetzung an diversen Orten in Hamburg. Sogar Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) war damals kurz am Set, allerdings nicht im Silbersack.

Niemand ahnte, dass Hoffman eine seiner letzten Rollen spielen würde: Der Schauspieler, der 2005 für seine Hauptrolle in „Capote“ einen Oscar bekommen hatte, wurde am 2. Februar 2014 in New York tot aufgefunden. Er starb an den Folgen seiner Drogensucht. „Er war 200 Prozent menschlich, mit all den Selbstzweifeln und inneren Kämpfen, die damit verbunden sind“, hat Corbijn über seinen Star gesagt.

Zwei Tage lang drehte die Filmcrew damals im Silbersack und castete 20Statisten – die meisten von ihnen Paulianer – für die Kneipenszene. Auf der Silbersackstraße waren Lichtmasten, Kabeltrommeln und ein Tisch fürs Catering aufgebaut, Techniker und Assistentinnen rannten mit Klemmbrettern herum. Andere Wirte hätten ihr rechtes Bein dafür gegeben, ihre Kneipe ins Kino zu bringen. Dominik Großefeld empfand es anders. Dass im Spätsommer gedreht würde, war seit November 2011 zugesagt. Aber im Mai war Erna Thomsen gestorben, im Juni und Juli blieb der Silbersack wegen einer unsicheren Zukunft geschlossen. „Als ich im August wieder an den Start ging, hatte ich ja die Aufgabe, alles zu erhalten, wie es war. Und dann kommen gleich im ersten Monat Leute und wollen alles verändern.“

Dominik einigte sich mit dem Filmteam: Der normale Kneipenbetrieb von 15 Uhr bis 4 Uhr morgens durfte durch die Dreharbeiten nicht gestört werden. „Die Requisite ist deshalb um 5Uhr früh angerückt, um acht kamen die Schauspieler, dann wurde bis halb zwei gedreht und danach alles sauber gemacht, damit ich rechtzeitig öffnen konnte“, sagt der Wirt.

Für das Filmteam bedeutete das Präzisionsarbeit. „In der Küche und im Lagerraum haben die ihr Filmbier angemischt“, erinnert sich Dominik Großefeld – eine goldgelbe Flüssigkeit, auf der sich lange der Schaum hält. Nach Drehtag eins wurde „jeder Millimeter im Kneipenraum genauestens abfotografiert“, damit am nächsten Tag alles wieder genauso hergerichtet werden konnte. Als die gelben Rosen vom Vortag verwelkt waren, besorgte das Filmteam morgens eigens neue gelbe Rosen. Etwas krampfig gestaltete sich der Versuch, die Dreharbeiten rauchfrei zu halten – ausgerechnet im Silbersack, einer Raucherkneipe. Hoffman, im wirklichen Leben Raucher, qualmt auch im Film – Kameramann Benoît Delhomme dagegen ist militanter Nichtraucher. Seinetwegen besorgte das Team aus der Apotheke die Mischung für Kräuterretten (Kräuterzigaretten). In einer Drehpause sah er Hoffman in der Querstraße mit einem Kaffeepott auf und ab gehen. „Wenn wir nichts gewusst hätten, hätten wir ihn für einen normalen Paulianer gehalten“, sagt Dominik Großefeld. „Der wäre hier mit seiner Kleidung nicht aufgefallen.“

Der Wirt hat es versäumt, Hoffman um einen Gästebuch-Eintrag zu bitten

„A Most Wanted Man“, der seit vergangenen Donnerstag in den Hamburger Kinos läuft, ist ein vorwiegend düsterer Film, der zwischen der kühlen Moderne von Glasbauten und der Atmosphäre des nächtlichen St. Pauli wechselt. „Die Beleuchtung haben sie deshalb auch abgedunkelt, sagt Dominik Großefeld.

Eine Leuchtstoffröhre über dem Tresen wurde überklebt und dabei die jahrzehntealte Patina mit dem Jever-Schriftzug zerstört. „Da mussten sie am nächsten Morgen extra jemanden holen, der den alten Look weitgehend restauriert hat.“ Einige Aufkleber auf einer Mittelsäule des Raums und die Front der stilvollen alten Musicbox wurden überklebt. Der Wirt war nicht gerade begeistert. Zwar wurden auch die Überkleber entfernt, aber die Spuren sieht man heute noch.

Ja, und dann gab es noch eine zünftige Filmkeilerei im Silbersack. In einer Nebenrolle spielt Martin Wuttke – bekannt unter anderem als Kommissar aus dem Leipziger „Tatort“ und als Hitler in „Inglorious Basterds“ – den zwielichtigen „Admiral“, einen Schieber und Spitzel („Wer könnte einen rauchenden und Whisky trinkenden Kneipengänger besser verkörpern als Volksbühnendarsteller Martin Wuttke?“, fragt das Portal filmkritiker.com). Für die Schlägerei besorgte das Filmteam extra Holsten-Edel-Flaschen aus Zuckerglas, das besonders leicht ist.

Dominik Großefeld hat damals versäumt, den Regisseur Anton Corbijn und Philip Seymour Hoffman um einen Eintrag in das Silbersack-Gästebuch zu bitten. „Ich war ein bisschen zu eitel“, gibt er zu, „und Gäste waren sie ja eigentlich auch nicht.“ Er habe damals vor lauter Aufregung zwei schlaflose Nächte verbracht und 60 Stunden durchgemacht, sagt er. Aber auch das Filmteam habe „ganze Arbeit geleistet“.

Die Premiere des Thrillers hat sich Dominik Großefelder nicht entgehen lassen: „Ich war noch nie mit meiner Frau im Kino, wir haben es bisher einfach nicht geschafft. Aber jetzt mussten wir wohl.“ In Nebenrollen von „A Most Wanted Man“ sind hochkarätige Darsteller wie Daniel Brühl, Nina Hoss und Kostja Ullmann zu sehen. Herbert Grönemeyer, der die Filmmusik schrieb, spielt auch eine kleine Rolle. Heimlicher Hauptdarsteller ist aber Hamburg: Gedreht wurde für den Streifen außer im Silbersack auch im Hafen, im Audimax, am Alsterufer in Harvestehude, in der City Nord, in der Großen Freiheit, in der Speicherstadt und in St. Georg.

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