Schulbehörde und Elternbündnis um Walter Scheuerl streiten darüber, ob die Fragestellungen den Abiturienten aus dem Vorjahr bekannt sein konnten

Hamburg. Die Schülerinnen und Schüler, die am Dienstag ihre Abiturprüfung im Fach Deutsch schrieben, wussten zumindest im Groben, was auf sie zukommt: Im Bereich der zeitgenössischen Literatur beispielsweise ging es um Identität und Kultur. Zu bearbeiten waren Finn-Ole Heinrichs Roman „Räuberhände“ und Fatih Akins Film „Auf der anderen Seite“. Bekannt war ihnen auch, dass sie Verfahren der Filmanalyse anwenden, Darstellungsmittel und ihre Wirkungsweise untersuchen und die Bezüge zwischen Roman und Film analysieren können sollten. Das alles konnten die Abiturienten in den 142-seitigen „Regelungen für die zentralen schriftlichen Prüfungsaufgaben“ nachlesen, die die Schulbehörde jedes Jahr zur Abiturprüfung ins Internet stellt. Oder sie konnten die älteren Mitschüler fragen, die 2013 Abitur gemacht haben. Denn die waren praktisch in denselben Themen geprüft worden.

Der Bürgerschaftsabgeordnete Walter Scheuerl, Sprecher von „Wir wollen lernen“, ist sich sicher: „Wer angesichts dieser Vorbereitungsmöglichkeiten durch das Abitur fällt, ist selbst schuld.“ Er fühlt sich nicht nur in seiner Auffassung bestätigt, dass das Hamburger Abitur zu leicht sei. Der Politiker sieht auch den Vorgängerjahrgang benachteiligt, der mit den jetzigen Abiturienten teilweise bei der Bewerbung um Studienplätze konkurriere.

In der Schulbehörde findet man diese Sichtweise abwegig: „Die Vorwürfe zum Hamburger Deutsch-Abitur 2014 sind absurd“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht. Es sei seit vielen Jahren in Hamburg und auch in anderen Bundesländern üblich, sowohl in Deutsch als auch in anderen Fächern im Folgejahr gleiche Themenbereiche für die Abiturprüfung festzulegen. „Selbstverständlich gibt es aber im Folgejahr andere Prüfungsaufgaben.“

Man sei erstaunt darüber, „dass eine in vielen Bundesländern seit Jahren geübte Praxis auf diese Art und Weise diskreditiert wird“. Themenbereiche wie Werther von Johann Wolfgang von Goethe seien so umfassend, dass daraus vielfältige und immer unterschiedliche Abiturprüfungsaufgaben auf hohem Niveau gestellt werden könnten. „Die Sekundärliteratur zu Werther füllt Regale. Deswegen können wir garantieren, dass die Aufgaben nicht vorab von den Abiturprüflingen erschlossen oder geübt werden können“, so Albrecht. Die konkreten Fragestellungen zu Werther in diesem und im vergangenen Jahr will die Behörde allerdings nicht veröffentlichen, da sie laut Vereinbarung der Kultusministerkonferenz nach einer Sperrfrist wieder im vereinbarten gemeinsamen Abitur-Aufgabenpool der Länder verwendet werden können.

Diesen gemeinsamen Aufgabenpool hatte Schulsenator Ties Rabe (SPD) in seiner Amtszeit als Vorsitzender der Kultusministerkonferenz durchgesetzt. Er sieht ihn als entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem gleich schweren Abitur ab 2017 in allen Bundesländern, manchmal auch Zentralabitur genannt. Das Verfahren, wie dieser Aufgabenpool bestückt und gestaltet werden soll, ist noch nicht endgültig entschieden. Vorgesehen ist aber, dass jedes Bundesland auf der Grundlage der 2012 beschlossenen Bildungsstandards Aufgaben beisteuert. Das Berliner Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) prüft die Aufgaben dann zusammen mit Experten aus allen Bundesländern. So soll sichergestellt werden, dass die Aufgaben gleich schwer sind. Die Kriterien für die Bewertung werden gerade erarbeitet. Anschließend können die Länder die Aufgaben, die sie ihren Abiturienten bei der Prüfung vorlegen, aus dem Pool auswählen.

Auch hier ist Scheuerl skeptisch: „Wenn alle Bundesländer Aufgaben einstellen, für ihre Abiturienten dann aber wieder die eigenen Aufgaben auswählen, dann führt das nicht dazu, dass das Anforderungsprofil schwerer wird“, sagt er und spricht von einer „reinen Werbeveranstaltung“. Scheuerl glaubt: „Dann ist das Zentralabitur eine Farce.“