Magnus Kersting vom Verein el rojito versucht seit 25 Jahren, mit „fairen“ Geschäften die Welt ein wenig gerechter zu machen. Ohne einen Earl Grey mit einem Schuss Milch am Morgen, kommt der 46-Jährige nicht aus den Federn. Obwohl sein Geschäft der Kaffee ist.

Es muss Tee sein. Earl Grey mit einem Schuss Milch. Und zwar jeden Morgen. Direkt nach dem Aufstehen. Sonst kommt Magnus Kersting nicht aus dem Bett. Das allein wäre nicht weiter erwähnenswert, wäre Kersting nicht einer, der sein Leben und Wirken dem heißen Kontrahenten – der Kaffeebohne, deren Anbau, Ernte, Röstung und Vertrieb – gewidmet hätte. Hat er aber. Er gehört zu einer kleinen Gruppe von Menschen in Ottensen, die in ehrenamtlicher, aber auch bezahlter Arbeit Kaffee aus Lateinamerika importieren und verkaufen. Er vereint das seit 25 Jahren: Kaffee und Solidarität.

Pechschwarz und herzklopfenstark. Mit Schaumschlägerei für die einen, gepresst, gefiltert, aufgebrüht für die anderen, das ist das Produkt, mit dem der 46-Jährige Politik macht. Kersting, der Ende der 80er-Jahre von Bonn nach Hamburg gezogen ist, landete mehr durch Zufall in der Community, deren Anliegen es ist, im Rahmen der damaligen Nicaragua-Solidarität die edle Bohne auf dem deutschen Markt zu vertreiben. Und zwar so, dass keiner in der Produktionskette ausgebeutet wird. Es geht ihnen um fairen Handel und politische Informationsarbeit. Darum, dass dieses gebeutelte Land zwischen Diktatur und Revolution eine Chance bekommt. Sie wollen ihren Teil gegen Ausbeutung und Armut beitragen und über ihre Solidaritätsarbeit politische Veränderungen in den Zentren möglich machen. 1987 gründen sie den Verein el rojito e.V. Inzwischen ist daraus ein kollektiv organisierter Betrieb geworden, dessen Produkte sogar in Supermärkten angeboten werden.

Er hat die Armut mit eigenen Augen gesehen. Die Bilder haben ihn nie wieder losgelassen. Das war 1989. Kersting ist damals 21 Jahre alt und am Anfang eines Studiums der Lateinamerikanistik, Geschichte und Politik an der Hamburger Universität. Er will die Länder sehen, über die er in seinen Büchern liest. Also reist er nach Nicaragua. Drei Monate dauert der Aufenthalt. Es ist der erste von vielen. Zurück in Hamburg wird ihm klar, dass er sich engagieren möchte. Er geht zu el rojito e.V.

„Zu Beginn war es mehr das Engagement in der Solidaritätsbewegung mit Nicaragua, das mich zur Mitarbeit bewogen hat“, sagt er. „Kaffee war nur das Mittel, um diese Solidarität auch konkret zu machen. Es hätte auch jedes beliebige andere Produkt sein können.“ Also opfert er seine Freizeit für das Unterfangen. Aus ein paar Stunden in der Woche werden Tage. Die Aufgabe wächst und mit ihr der Zeitaufwand.

Für das Studium bleibt ihm immer weniger Energie. Und weil Magnus Kersting einer ist, der nicht konform funktioniert, sondern das tut, was ihm Freude macht, einer, der selbstbestimmt arbeiten will und gleichzeitig Gutes tun, bleibt er bei el rojito hängen. Das Studium bricht er 1997 ab.

Heute sitzt er im Vorstand des Vereins. Weil er an die Sache glaubt und daran, dass sie funktionieren kann. Dass die Menschen in Deutschland bereit sind, für die Leistung in den Entwicklungsländern zu zahlen. Und dass ihnen der Kaffee nur dann wirklich schmecken kann, wenn sie bei jedem Schluck ein gutes Gewissen haben. Das Wort „fair“ nimmt er dabei nur ungern in den Mund. „Weil wir das, was wir machen, nicht als fair ansehen, sondern nur als ein wenig fairer.“ Die Transfair-Kaffees der regulären Importeure sieht er als Feigenblatt, zu 99 Prozent handelten sie ja doch mit regulärem Kaffee. Der Unterschied zum Kaffee der Miniröster ist groß: Die El-rojito-Kaffees sind meist Biocafés. Die Pflanzen werden ohne Schädlingsbekämpfungsmittel gezogen. Außerdem sind sie sortenrein, wie bei einem Wein unterscheidet sich ein Jahrgang ein wenig vom nächsten. Konventionelle Kaffees werden dagegen gemischt, um alljährlich den gleichen, wieder erkennbaren Geschmack der Marke zu produzieren.

Für seine Heimat Hamburg hat er die Kaffeemischung „Fairmaster“ kreiert

Regelmäßig reist Kersting nach Nicaragua, besucht die Produzenten auf ihren Fincas, handelt mit den einzelnen Kooperativenverbänden Preise und Lieferbedingungen aus, hört sich ihre Sorgen und Nöte an, spricht mit ihnen über die Probleme mit Kaffeerost und darüber, wie man die Krankheit mit ökologischen Schädlingsbekämpfungsmitteln in den Griff kriegen kann. Das ganze auf Spanisch, versteht sich.

Inzwischen gehören nicht nur Produzenten aus Nicaragua, sondern auch aus El Salvador, Kolumbien, Mexiko und Bolivien zu den Handelspartnern von el rojito. „Eines der wichtigsten Ziele ist, den Menschen, mit denen wir arbeiten, die Chance zur Selbstbestimmung gegen Alteigentümer, eine korrupte Regierung und gegen die Auswirkungen des Weltmarktes zu geben“, sagt Magnus Kersting. „Wir wollen eine Alternative zu ungerechten Welthandelsstrukturen aufzeigen.“ Ein bisweilen beschwerlicher Weg, soll doch ein möglichst großer Anteil des Endverkaufspreises bei den Produzenten ankommen. Gleichzeitig muss der Kaffee für die Kunden bezahlbar bleiben. Hinzu kommt, dass die Ernte teilweise vorfinanziert wird. Lieferverträge mit langen Laufzeiten sollen den Produzenten zudem Sicherheit für die Abnahme ihrer Ernte geben. Inzwischen läuft das Geschäft gut. Gemeinsam mit anderen Gruppen in Deutschland haben sie im vergangenen Jahr über die Importgemeinschaft MITKA (Mittelamerika Kaffee Import-Export GmbH) etwa 84.000 Tonnen Rohkaffee umgesetzt. Sechs Tonnen davon röstet Magnus Kersting selbst.

Um das zu lernen, ist er, der Autodidakt, der sich auch die Buchhaltung, sowie die Wartung und Reparatur von Espressomaschinen und Lastenfahrrädern selbst beigebracht hat, extra zu einer Spezialmesse für Qualitätskaffee in die USA geflogen und hat ein Röst-Seminar besucht. Darüber hinaus hat er dort den besten Kaffee seines Lebens getrunken. Allerdings hat die Zubereitung auch ihren Preis gehabt. Bevor das schwarze Gebräu seinen Gaumen verwöhnen konnte, wurden erst mal 30 Tassen weggeschüttet. Erst als die Maschine die richtige Temperatur hatte, wurde serviert.

So ein Aufwand passt nicht zu seinem bescheidenen Wesen. Magnus, dessen Name auf Großes schließen lässt, mag es eher klein und bescheiden. Luxus, Verschwendung, Prasserei ist nicht sein Ding. Er braucht nicht viel, um zufrieden zu sein. Statt mit dem Auto fährt er mit dem Lastenrad durch Altona und Ottensen bis nach St. Pauli und in die Schanze. An guten Tagen liefert er bis zu 250 Kilogramm Kaffee pro Fahrt aus. Darüber hinaus gibt es im Hause Kersting keinen Fernseher. Tochter Paula, 18 und ihre jüngere Schwester Mira, 13, müssen zu den Großeltern fahren, wenn sie unbedingt eine Sendung sehen wollen. „Fernsehen killt die Kommunikation“, findet Magnus Kersting. Es finde viel mehr auf gemeinsamer Ebene statt, wenn eben keine Flimmerkiste im Wohnzimmer stehe. Stattdessen wird gelesen. Oder ins Kino gegangen. Manchmal auch ins Schauspielhaus. Die Stadt bietet genug Unterhaltung, findet er.

Und so zieht es ihn selbst am Wochenende nicht raus aufs Land, sondern höchstens an die Elbe. Größere Touren macht er im Urlaub. Nach Mexiko ist er schon gereist, nach Kuba, Ost- und Südafrika. Er findet die Länder und ihre Menschen interessant und ist doch immer wieder froh, wenn er zurück ist in seiner Heimatstadt. Für diese hat der Verein extra eine eigene Kaffeemischung zusammengestellt. Hamburger Fairmaster heißt das Produkt aus 100 Prozent Bio Arabica. Der Kaffee aus Lateinamerika für Hamburg ist aus besten Bohnen, biologisch angebaut und fair gehandelt. Von jedem verkauften Päckchen gehen sieben Cent an Hamburgs Partnerstadt León in Nicaragua. Unterstützt wird das Straßenkinderprojekt „Las Tias“.

Über den Fairmaster versucht el rojito zudem, Schüler und Studierende zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Fairer Handel“ anzuregen. Gemeinsam haben sie einen Lernkoffer entwickelt, der eine Annäherung an die Themen Kaffee, Welthandel/Fairer Handel und Mittelamerika/Nicaragua ermöglicht. Neben einer Präsentation gibt es ein Rollenspiel zum Kaffeehandel, verschiedene Kaffeeproben, Fotos, Filme und Bücher. Der Koffer kann für eine Gebühr von 15 Euro für 14 Tage ausgeliehen werden.

Mit im Boot sitzt inzwischen auch die Hafengruppe Hamburg, die zur Aufklärung über die Arbeitsbedingungen auf Kaffeeplantagen und den ökologischen Anbau sowie den internationalen Handel und seine Alternativen eine Hafenrundfahrt ausgearbeitet hat. „Bittere Bohnen“ heißt das Programm ohne Verwöhnaroma. Und um noch eins draufzusetzen, vertreibt der Verein in seinem Café an der Großen Brunnenstraße 68 einen 100-prozentigen Arabica, scharf geröstet. 6,70 Euro kostet die 500-Gramm-Packung. Die Macher haben ihr – im Gedenken an César Sandino, den Guerillaführer und Kopf des nicaraguanischen Widerstands gegen die US-Besatzung – den Namen Sandino-Dröhnung gegeben.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Magnus Kersting bekam den Faden von Dorothea Koch und gibt ihn an Dagmar Seybold weiter