Mobbing, salafistische Sprüche im Freundschaftsbuch und provokatives Gebet: Immer mehr Jugendliche werden von Salafisten radikalisiert. Für die Ideen sind sie aus Langweile empfänglich.

Hamburg. Der junge Mann nennt sich im Internet Hamid Al Afghani und hat auf Facebook ein Video veröffentlicht. Al Afghani sitzt mit einem Kumpel im Flugzeug. Sie kommen aus dem Bürgerkriegsland Syrien – und hätten Spenden an Zivilisten verteilt. Im Namen Allahs, sagt Al Afghani in die Kamera. Zum Abschluss des Videos setzen sie sich lässig vor dem Flieger in Szene.

Noch etwas steht auf Al Afghanis Facebook-Seite: Er besuchte vor einigen Jahren die Gesamtschule Mümmelmannsberg. Die Sicherheitsbehörden kennen Al Afghani unter seinem richtigen Namen: Hamid K., 1984 aus Afghanistan hierher gekommen, heute 30 Jahre alt.

Er soll mit der vor elf Jahren in Deutschland verbotenen Islamistenvereinigung Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung) sympathisieren. Geheimdienstler gehen davon aus, dass K. mehrere Tausend Euro nach Syrien brachte – das Geld war möglicherweise für die al-Qaida-nahe Terrorgruppe Nusra-Front bestimmt, zitiert der „Spiegel“ ein Papier des Verfassungsschutzes.

Es ist eine Biografie, die im Extremen endete. Ein dramatischer Einzelfall. Nun ist allerdings eine Reihe von Fällen bekannt geworden, in denen Salafisten an mehreren Hamburger Schulen Anhänger werben. Mädchen werden massiv unter Druck gesetzt, wenn sie kein Kopftuch tragen. Mobbing und Gewaltandrohungen von jungen radikalen Muslimen gibt es, offenbar auch gegen Lehrer. Mädchen gehen nicht zum Schwimmunterricht. In Freundschaftsbüchern findet sich salafistische Propaganda. Mütter fordern Gebetsmöglichkeiten in Schulräumen, Schüler versammeln sich provokativ zum Gruppengebet in der Schule. Das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung beschreibt die Fälle in einem Papier, das der „Morgenpost“ vorliegt. Titel: Religiös gefärbte Konfliktlagen an Hamburger Schulen.

Es geht dabei nicht um den Dschihad, sondern um die Gefahr eines anti-freiheitlichen Kulturwandels in einigen Stadtteilen. Der Schulbehörde sind zehn bis 15 Schulen in der Stadt bekannt, an denen es Konflikte mit radikalisierten Jugendlichen gegeben hat. Nach Informationen des Abendblatts nicht nur in Mümmelmannsberg – auch in Hamm, Jenfeld und in Pinneberg.

Die CDU sieht die fundamentalistische Propaganda mit großer Sorge. In einem Brief hat die schulpolitische Sprecherin der Fraktion, Karin Prien, am Mittwoch Schulsenator Ties Rabe aufgefordert, das nicht öffentliche Papier des Landesinstitutes den Schulexperten der Bürgerschaft zur Verfügung zu stellen, damit der Schulausschuss über den Umgang mit diesem Problem beraten kann. „Wir wünschen uns ein Klima religiöser Toleranz an Hamburgs Schulen und unterstützen auch die Weiterentwicklung des Hamburger Religionsunterrichts. Für Salafisten und Islamisten jedoch ist kein Platz an Hamburger Schulen“, sagte Prien.

Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde, beschwichtigt: „Es handelt sich jeweils um Einzelfälle, die laut Einschätzung der Experten auch nicht in Zusammenhang zueinander stehen.“ Die betroffenen Schulen, auch die Stadtteilschule Mümmelmannsberg, würden stets von vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung und dem Referat für Gewaltprävention beraten und unterstützt. „Auch die Expertise des Verfassungsschutzes wird hinzugezogen“, so Albrecht.

Doch wie gefährlich ist diese Entwicklung, wenn sich jugendliche Identitätssuche mit Fanatismus und Abenteuerlust mischen? Und wer steckt hinter der Entwicklung? Zwei Gruppen bestimmen die Debatte: die Salafisten und die Hizb ut-Tahrir. Salafisten orientieren sich am aus ihrer Sicht „wahrhaften“ Islam – an all dem, was „Allahs Willen“ sein soll, vermittelt durch den Propheten und die Suren im Koran. Die Hizb ut-Tahrir steht in der Tradition der Muslimbrüder.

Ihre Anhänger sind trotz Verbot heute noch in Deutschland aktiv. Sie sind meist straffer und hierarchischer organisiert als die loseren Netzwerke der Salafisten. In ihrem Fundamentalismus sind sich beide Gruppen einig. Sie ignorieren moderne Auslegungen des Korans. Aufgeklärte türkische Einwanderer geraten mit den Vorstellungen aneinander.

Wer ein gutes Leben im Sinne der Salafisten führt, komme ins Paradies. Anderen drohe die Hölle. Westliche Lebensstile lehnen sie ab, zumindest in ihrer Ideologie. Doch viele in Deutschland groß gewordene Muslime schwanken im Alltag zwischen Moschee, Schule und Disco. Auch Salafisten kommen oft nicht an iPhone und Cola-Dose vorbei – auch wenn sie den „Heiligen Krieg“ gegen den Westen preisen.

Und doch: Erst im Dezember wurde bekannt, dass ein 25-Jähriger aus Pinneberg in Syrien starb. Islamisten organisieren Koran-Stände in der City oder Spenden-Galas für Syrien wie im Januar in Wilhelmsburg. Mit dem Koran verteilen sie auch ihre Ideologie. Radikale Prediger wie der deutsche Konvertit Pierre Vogel liefern im Internet die Propaganda, die dann meist ältere Schüler jüngeren auf dem Schulhof nacherzählen. Sie propagieren die Vorzüge der Scharia und des Gottesstaates, werben für ihre verfassungsfeindlichen Gruppen. Dabei sind es keine Bewegungen, die sich in Schulen bilden und diese unterwandern. Es sind Islamisten-Netzwerke in Stadtteilen, die ihre Ideologie auch an Schulen tragen.

„Wir haben das Problem zu lange nicht ernst genommen“, sagt Birgit Sokolowski. Sie leitet in Mümmelmannsberg die Elternschule. Mittlerweile mache die Schule viel. Es gab Tagungen, auch Lehrerinstitut und Polizei helfen, gegen eine Radikalisierung vorzugehen. Die Aktiven im Stadtteil müssten aufklären über die Werte der Demokratie, sagt Sokolowski. „Und wir müssen den Jugendlichen Gegenentwürfe an Lebensvorstellungen vorstellen. Dafür brauchen wir soziale Einrichtung. Und wir brauchen Freizeitangebote. Denn viele radikale Ideen verbreiten sich manchmal auch aus Langeweile einer perspektivlosen Jugend.“