Ex-“Tagesschau“-Sprecherin Sabine Christiansen, die in den Aufsichtsrat des Hamburger Paketversenders Hermes einzieht, spricht über Frauen in der Wirtschaft.

Hamburg. Bis zum Jahr 2016 müssen 30 Prozent aller Aufsichtsratsposten in großen, börsennotierten Unternehmen Deutschlands von Frauen besetzt sein. Wie schwer wird das, was ändert sich dadurch in den Firmen? Ein Gespräch mit der TV-Moderatorin und Unternehmerin Sabine Christiansen, die in diesem Frühjahr Mitglied im Aufsichtsrat des Hamburger Paketdienstleisters Hermes wird.

Hamburger Abendblatt: Sie haben damals im Fernsehen den Anfang gemacht, als Sie die erste Moderatorin der „Tagesthemen“ waren. Jetzt gehören Sie auch in einem Aufsichtsrat einer großen deutschen Firma zu den Frauen der ersten Stunde. Nicht nur Hermes dürfte an Ihnen Interesse haben ...
Sabine Christiansen: Keine Sorge: Ich habe nicht vor, künftig Aufsichtsratsposten zu sammeln. Das gehört sowieso der Vergangenheit an: Heute kommt es darauf an, dass man seinen Job ernst nimmt und gut macht. Das wird schwierig, wenn man zu viele Posten übernimmt, und nebenbei noch ein eigenes Unternehmen führt.

Aber die Anfragen von Unternehmen dürften angesichts der nahenden Frauenquote steigen.
Christiansen: Ja, das stimmt, die Anrufe sind zahlreich, wie bei vielen Frauen im Moment. Erstens, weil die Einführung der Quote nicht mehr weit entfernt ist. Zweitens, weil es dauert, einen Aufsichtsratsposten neu und vernünftig zu besetzen.

Und drittens, weil sich in der Vergangenheit kaum ein Unternehmen um Frauen dafür gekümmert hat. Das ging ja früher gern über freundschaftliche (Männer-)Kontakte...
Christiansen: Ich glaube tatsächlich, dass diese Zeiten vorbei sind, und ich bin froh darüber. Dadurch kommt die Wahl der Aufsichtsräte aus dieser Klüngelstube heraus. In der alten Deutschland AG hieß es doch immer: Kommst du zu mir, komm ich zu dir. Heute ist es wichtiger, eine gute Mischung aus verschiedenen Charakteren und Kompetenzen, aus Geschlechtern und – wo wir ja erst am Anfang stehen – aus unterschiedlichen Nationalitäten zu haben. Die neue Denke ist: Wie profitieren wir als Unternehmen von einem möglichst heterogenen Aufsichtsrat, der Erfahrungen dort mitbringt, wo wir sie gar nicht haben. Bei Daimler ist jetzt zum Beispiel die ehemalige Avon-Chefin Aufsichtsrat.

Wie schwer wird es werden, die infrage stehenden fast 250 Aufsichtsratsposten mit Frauen zu besetzen?
Christiansen: Ganz einfach wird es nicht. Aber es gibt genügend kompetente Frauen, die bislang von vielen Unternehmen schlicht nicht wahrgenommen wurden.

Und deshalb finden Sie die Quote gut?
Christiansen: Ich habe lange gedacht, dass eine Selbstverpflichtung der Firmen reichen würde. Heute sage ich: Sie reicht nicht. Wir brauchen die Quote oder vielleicht auch nur die Drohung derselben, weil sonst nichts passiert. Irgendwann muss man einen gesellschaftlich wichtigen Prozess anschieben, wenn er von allein nicht kommen will und die Lernfähigkeit der Beteiligten begrenzt ist. Denn wir wollen ja nicht allein, dass Frauen in die Aufsichtsräte kommen: Diese Quote soll eine Signalwirkung haben, gerade auch für die Vorstände von Unternehmen bis hin zu DAX-Konzernen. Frauen in Aufsichtsräten dürfen nur ein Anfang sein, alles andere wäre eine Katastrophe.

Gilt die Gleichung: Mehr Frauen in Aufsichtsräten heißt langfristig auch mehr Frauen in Vorständen?
Christiansen: Nur dann machen die gesamte Debatte und die Quote einen Sinn. Frauen müssen sehen, dass sich ihre Anstrengungen im Beruf bis in höchste Weihen auszahlen und sie müssen beginnen, den Anspruch darauf auch zu artikulieren. In der Vergangenheit waren wir vielleicht bei unserer Karriereplanung zu entspannt oder gehemmt.

Ich habe oft beobachtet, dass Frauen sich vor allem auf den Job oder die Aufgabe konzentrieren, die sie gerade machen, während Männer sich fragen: Was kommt als nächstes?
Christiansen: Das stimmt. Aber davon abzuleiten, dass Frauen generell ihre Karrieren nicht so strategisch planen wie Männer, wäre auch falsch. Zumindest gibt es dafür gerade in den angelsächsischen Ländern genügend Gegenbeispiele.

Warum tut sich ausgerechnet ein Land mit Frauen in Führungspositionen so schwer, das nun bereits in der dritten Legislaturperiode eine Bundeskanzlerin hat?
Christiansen: Die Kanzlerin hat weniger aktiv, aber als „Role Model“ für die Akzeptanz von Frauen in höchst verantwortungsvollen Positionen viel geleistet. In der Politik haben wir mehr erreicht, weil sich die Frauen dort auf den unteren Ebenen mehr engagiert haben, mit dem Ansatz, in der Kommunalpolitik mehr zu erreichen oder später auf Landesebene. Die Wählerstimmen halfen vielen, weiter zu kommen, nicht immer die Partei. Dann erst, mit einem gewissen Erfolg, einer Frische und Kompetenz, wurde die Partei aufmerksam. Jüngere Frauen haben zudem für die Parteien den Vorteil, dass sich die Medien und Talkshows dafür interessieren. In der Wirtschaft spielten diese Kriterien keine Rolle, im Gegenteil. Erst mit der zunehmenden Globalisierung wächst der Druck, sich anders um Führungskräfte und -stil zu kümmern. Insbesondere stellt sich die Frage, wie beziehungsweise ob man wichtige Positionen noch besetzen kann, wenn man Frauen oder andere Nationalitäten ignoriert. Die Antwort ist: Nein.

Wenn jetzt immer mehr Frauen in die Aufsichtsräte kommen: Was machen wir mit den Männern, für die dort dann kein Platz mehr ist?
Christiansen: Vielleicht haben wir gar nicht mehr so viele (lacht). Die Männer werden sich dann halt auch darum bemühen müssen, internationaler zu werden, Fremdsprachen zu sprechen und sich für europäische Positionen zu bewerben. Denn was für deutsche Unternehmen gilt, gilt natürlich auch für andere: Niemand kommt daran vorbei, seine Führungsebenen bunter und internationaler zu besetzen. Das müssen wir in Deutschland auch noch lernen: Die Deutschland AG gibt es nicht mehr, und sie wird auch kein Comeback erleben.

Was ändert sich durch Frauen in Aufsichtsräten?
Christiansen: Erst einmal ändert sich der Stil – wie immer, wenn Frauen in eine Männergruppe kommen. Und das soll nicht nur heißen, dass der Ton freundlicher wird. Es geht auch darum, dass Frauen Männern helfen können, nah an den Themen zu bleiben (lacht). Grundsätzlich wollen wir ja nicht die Aufsichtsräte deutscher Firmen revolutionieren. Frau von der Leyen wird als Verteidigungsministerin die Bundeswehr auch nicht neu erfinden. Aber sie hat als Frau hier und da ein anderes Ohr für Themen, gerade im sozialen Bereich. Und Frauen können Konflikte manchmal leichter und schneller entschärfen. Alles Fähigkeiten, die in unserer Wirtschaft heute wichtig sind. Wir arbeiten sehr zielorientiert, sind gut strukturiert, können es uns nicht leisten, Zeit zu vergeuden. Niemand muss also Angst haben, dass Aufsichtsratssitzungen zu Häkelrunden werden.

Eher im Gegenteil: Vielleicht kommen künftig auch die Männer früher von der Arbeit nach Hause.
Christiansen: Dann hätte die Quote doch für alle etwas gebracht.