Noch eine Elbvertiefung? Weniger Gesetze? Kommt die große Hamburger Reedereifusion doch? Das Abendblatt lud zum Schifffahrtsgipfel mit sechs der wichtigsten Repräsentanten aus der maritimen Branche

Hamburger Abendblatt:

Hand aufs Herz. Wie wichtig ist die Elbvertiefung für Hamburgs Wirtschaft wirklich?

Michael Behrendt:

Ich halte nichts von dem Begriff Elbvertiefung. Er führt in die Irre. Wir reden von einer Fahrrinnenanpassung. Neben der Vertiefung geht es nämlich vor allem um eine Verbreiterung, und die ist unverzichtbar. Auf der Elbe können sich derzeit maximal zwei 45 Meter breite Schiffe begegnen. Die großen Containerschiffe sind aber 48 Meter breit. Das bedeutet: Wenn eines die Elbe heraufkommt, dann muss das andere am Terminal so lange warten, egal ob es voll beladen ist oder nicht.

Gunther Bonz:

Ich kann das mit einem Beispiel unterlegen. Wir hatten ein besonders großes Containerschiff im vergangenen Jahr an einem Terminal im Hamburger Hafen, das unbedingt die Tide erwischen musste, weil es unter Termindruck stand. Das Schiff wurde sehr schnell beladen, konnte dann aber nicht sofort raus, weil ihm ein sehr breiter Massengutfrachter entgegenkam. Um seinen Termin dennoch zu halten, entschied sich der Kunde, einen Teil der Ladung wieder abzuladen, damit das Schiff leichter wird und trotz ungünstiger Tideverhältnisse auslaufen kann. Prompt kam der Zoll und beschwerte sich, dass die abgeladenen Container als Import betrachtet und das Entladen 24 Stunden vorher dem Zoll gegenüber hätte angezeigt werden müssen. Dabei waren sie gerade zuvor erst aufgeladen worden. Was ich damit sagen will: Die Behinderung durch die fehlende Elbvertiefung nimmt inzwischen absurde Züge an. Das geht auf Dauer nicht gut.

Herr Gast kennen Sie bei Hamburg Süd dieses Problem auch?

Ottmar Gast:

Nein. Wir setzen derzeit Schiffe ein, die diese Größen nicht erreichen. Aus fachlicher Sicht teile ich aber die Sorge der Kollegen.

Herbert Aly:

Eigentlich müsste ich als Reparaturwerft gegen die Elbvertiefung sein, denn wenn sie kommt, sinkt die Gefahr, dass die Schiffe den Grund berühren und deren Reedereien meine Kunden werden (alle lachen). Aber so ist es nicht. Wenn die großen Schiffe ausbleiben, weil sie ihre Ladung woanders hinbringen, dann besteht die Gefahr, dass auch die kleinen Schiffe abgezogen werden, auf denen die Ladung weitertransportiert wird. Und wenn diese verschwinden, werden weitere Dienstleistungen abwandern, und dann wäre auf einmal die gesamte maritime Industrie betroffen. Insofern sind wir nicht nur Zaungast bei der Frage der Elbvertiefung.

Ist das die letzte Elbvertiefung?

Gast:

Wann ist denn eine endgültige Ausbaustufe erreicht? Die Entwicklung muss ja nicht bei den derzeit größten Schiffen mit einer Ladekapazität von 18.000 Standardcontainern aufhören. Es ist nicht auszuschließen, dass die Schiffe noch größer werden. Dann stoßen wir hier in Hamburg aber an natürliche Grenzen. Man muss sich klarmachen, dass wir hier mit riesigen Einheiten, mitten in die Innenstadt einer Großstadt fahren. Und ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn es zu einer Havarie kommen sollte. Deshalb kann diese Fahrrinnenanpassung eigentlich nur die letzte sein.

Behrendt:

Ja, das ist die letzte.

Thomas Mirow:

Das glaubt Ihnen aber niemand. (Lachen). Mit dem Begriff „endgültig“ sollte man vorsichtig sein, weil niemand die Größenentwicklungen bei Schiffen genau absehen kann. Ich war als Wirtschaftssenator für die vergangene Elbvertiefung zuständig. Ich kenne das Thema also, einschließlich der Argumente die dagegen vorgebracht wurden. Ich kann mich erinnern, dass wir bereits kurz nach Abschluss der Baggerarbeiten zum Bürgermeister sagten: „Das war es noch nicht. Wir müssen mit der nächsten Vertiefung anfangen.“ Das war 1999.

Bonz:

Nach meiner Auffassung ist das nicht die letzte Fahrrinnenanpassung. Jetzt geht es auch um zwei Begegnungsboxen für große Schiffe auf der ganzen Revierfahrt. Wir werden weitere brauchen. Und wenn die Umweltverbände umfangreiche Rückdeichungsmaßnahmen fordern, bedeutet das auch einen Eingriff. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Es ist immer an dem Fluss gearbeitet worden. Das wird so weitergehen. Wir können nicht nachfolgenden Generationen vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben.

Herr Mirow, Sie haben ja auch die Airbus-Erweiterung auf Finkenwerder politisch durchgesetzt. Ist es denn im Vergleich zu früher schwieriger geworden, solche Projekte zu realisieren?

Mirow:

Es ist natürlich schwieriger geworden, das liegt vor allem an der Einführung des Verbandsklagerechts. Aber das eigentliche Thema geht aus meiner Sicht über die Elbvertiefung hinaus, nämlich dass wir in Deutschland ein generelles Problem haben, große Infrastrukturprojekte umzusetzen Das liegt oft an der komplexen und langfristigen Planung solcher Vorhaben, was dann auch immer wieder Finanzierungsthemen mit sich bringt. Wegen der langen Planungszeiträume besteht weder von öffentlicher noch von privater Seite genügend Bereitschaft, in solche Projekte zu investieren. Deshalb wäre es falsch, die Fahrrinnenanpassung allein zu betrachten. Und weil Sie die Airbus-Erweiterung angesprochen haben: Bei dem Termindruck, den Airbus damals hatte, wäre die zeitgerechte Umsetzung eines solchen Projekts heute praktisch unmöglich.

Aber wäre es jetzt nicht eine Aufgabe für Berlin, regelnd einzugreifen? Dort haben wir ja jetzt eine Große Koalition.

Mirow:

Natürlich. Denn es geht eben nicht nur um die Fahrrinnenanpassung, es geht genauso um den Netzausbau für die Energiewende oder die Entwicklung von Luftdrehkreuzen.

Bonz:

Das geht so weit, dass sogar Bundesrichter bei Fachkongressen darüber klagen, dass das Recht so komplex geworden ist, dass sie es nicht mehr handhaben können. Diejenigen, die einst das Verbandsklagerecht eingeführt haben, sagen heute, sie seien sich der ganzen Tragweite dieser Entscheidung nicht bewusst gewesen.

Kann sich Deutschland ein so komplexes Rechtssystem nicht mehr leisten?

Behrendt:

Wenn Deutschland in der internationalen Liga mitspielen will, kann es sich nicht Genehmigungsverfahren leisten, die von anderen flexibler gehandhabt werden.

Warum funktioniert in Rotterdam, was bei uns nicht geht? Sind in den Niederlanden die Verwaltungen effizienter, die Umweltverbände zurückhaltender, sind die Gerichte weniger penibel oder ist die Gesetzgebung anders?

Bonz und Behrendt (gleichzeitig):

Alle vier Punkte treffen zu.

Mirow:

Ich halte zwei Elemente für entscheidend: Das eine ist der deutsche Perfektionismus. Wenn die EU in Brüssel eine Richtlinie erlässt, wollen wir sie 150-prozentig umsetzen. Das andere ist unsere föderale Struktur. Ein Bundesland kann solche Projekte nicht alleine entscheiden. Nachbarländer müssen eingebunden werden, ebenso die Bundesregierung.

Brauchen wir also doch den Nordstaat?

Mirow:

Das Thema ist durch. Aber wir müssen dennoch aufhören, die Elbvertiefung als ein reines Hamburger Projekt zu begreifen. Die Bundesregierung müsste etwa zwölf bis 15, vielleicht auch 20 Projekte aus den Bereichen Energie und Transport von nationaler Bedeutung identifizieren, für die es eine eigene Planungsebene gibt.

Bonz:

Nur zum Vergleich: In Deutschland muss der Bedarf für ein Projekt genauestens nachgewiesen werden, das lässt keinen Spielraum für flexibles Reagieren auf zukünftige Entwicklungen. In den Niederlanden oder Dänemark kann der Bedarf für Großprojekte auch per Gesetz festgelegt werden. Eigentlich bräuchten wir für Projekte von nationaler Bedeutung eine Vorgabe, dass der Gesetzgeber die Bedarfsfrage abschließend klärt.

Gast:

Na ja, die Bedarfsfrage wurde doch bis vor Kurzem noch so beantwortet, dass für den Hamburger Hafen ein Kapazitätsbedarf von 30 Millionen Standardcontainern für 2030 angenommen wurde. Diese Zahl wurde ja inzwischen auf 15 Millionen im Jahr 2025 nach unten korrigiert. Das erscheint mir auch realistischer.

Herr Behrendt, Sie verhandeln doch gerade mit einer chilenischen Reederei über eine Fusion. Schließt das andere Zusammenschlüsse für die Zukunft aus?

Behrendt:

Dazu sage ich nur: Diese Fusion gibt es noch gar nicht. Wir verhandeln über ein mögliches Zusammengehen. Das ist der Stand. Es ist noch nicht so weit, wie manche denken.

Anders gefragt: Wie wird Hapag-Lloyd in fünf Jahren dastehen?

Behrendt:

Als prosperierendes erfolgreiches Unternehmen, das riesige Dividenden ausschüttet ...

... auch an die Stadt?

Behrendt:

Ja.

Und an den heutigen Miteigentümer Klaus-Michael Kühne?

Behrendt:

Ja. Meine Einschätzung ist, dass sowohl die Stadt als auch Herr Kühne ihr Engagement bei Hapag-Lloyd als ein langfristiges betrachten.

Ist Hamburg Süd dann dabei?

Behrendt:

Darüber reden wir in fünf Jahren.

Gast:

Es wäre sehr wünschenswert, dass es eine starke, deutsche Containerreederei gibt, die eine Chance hat, in dem Konsolidierungsprozess dabei zu sein, an deren Ende nur eine Handvoll Reedereien übrig bleiben.

Warum hat die große Hamburger Fusion nicht geklappt.

Gast:

Das Vorhaben ist an unterschiedlichen Interessen der Gesellschafter gescheitert.

Sehen Sie die Verhandlungen zwischen Hapag-Lloyd und den Chilenen als einen Angriff auf Hamburg Süd?

Gast:

Ich sehe das als Marktteilnehmer nicht mit Vergnügen. Aber das ist keinesfalls ein Angriff auf Hamburg Süd. Ich kann aus Hapag-Lloyds Sicht den Schritt nachvollziehen und noch mehr aus Sicht der Chilenen. Man könnte sogar als Wettbewerber hoffen, dass sich unter der Führung von Hapag-Lloyd ein rationaleres Marktverhalten bei den Südamerika-Konkurrenten einstellt. Es ärgert mich nur, dass diese Fusion bevorsteht, obwohl doch eigentlich wir diejenigen waren, die mit Hapag-Lloyd zusammengehen wollten und noch besser zueinander passen.

Den 2. Teil des Gipfels lesen Sie am Montag im Wirtschaftsteil