SPD-Fraktionschef Andreas Dressel legt einen Fahrplan vor. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Umsetzung des Volksentscheides.

Hamburg. Einen Tag nach der Niederlage beim Volksentscheid hat SPD-Fraktionschef Andreas Dressel unterstrichen, dass Fraktion und Senat von nun an „mit ganzer Kraft“ für eine erfolgreiche Übernahme der Energienetze in städtische Hand arbeiten. Dazu legte Dressel einen Fahrplan für die kommenden Monate vor. Bereits am Montagnachmittag beschloss die SPD-Fraktion einen Bürgerschaftsantrag, in dem der Senat aufgefordert wird, nun rasch alle nötigen Schritte zur Übernahme der Netze einzuleiten. Dressel gratulierte der Volksinitiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ zu ihrem knappen Erfolg und sagte: „Es ist gut für die Stadt gewesen, dass das Pro und Contra einer so wichtigen Frage diskutiert wurde.“ Er sei ein Anhänger verbindlicher Volksentscheide, so Dressel. „Der Souverän hat gesprochen, wir werden das jetzt umsetzen.“

Wie aber geht es konkret weiter? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Übernahme Energienetze für Strom-, Gas und Fernwärme.

1. Was tut der Senat als Erstes?

Die Stadt ist durch die vom Scholz-Senat mit Vattenfall und E.on geschlossenen Verträge derzeit mit 25,1 Prozent an den Energienetzen beteiligt. Dafür hat die Stadt 543,5 Millionen Euro bezahlt. Der einfachste Weg, den Volksentscheid umzusetzen, wäre der Kauf der restlichen 74,9 Prozent von den beiden Energiekonzernen. Der Senat wird sich voraussichtlich noch in dieser Woche an Vattenfall und E.on wenden und fragen, ob die Unternehmen ihre Anteile verkaufen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Unternehmen das nicht tun. Denn sie haben ein Interesse daran, die Netze zu behalten.

2. Was passiert, wenn Vattenfall und E.on nicht verkaufen wollen?

Verkaufen die Unternehmen nicht, wird zunächst der geschlossene Vertrag über den Kauf der 25,1 Prozent rückabgewickelt. Diese Möglichkeit war für den Fall eines erfolgreichen Volksentscheids von Beginn an festgeschrieben. Hamburg verliert dann seine Anteile und erhält die 543,5 Millionen Euro zurück. Da Vattenfall und E.on sich nicht freiwillig von den Netzen trennen, geht der Senat nun den Weg über die Bewerbung um die auslaufenden Konzessionen für das Strom- und Gasnetz. Die Stadt gründet dafür schnellstmöglich eine eigene Netzgesellschaft. Diese erarbeitet zunächst eine Bewerbung (Interessenbekundung) um die Stromkozession. Diese muss bis spätestens 15.Januar 2014 bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) eingehen, die die Konzession vergibt – und zwar in einem „transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren“, das heißt: Sie darf die eigene Netzgesellschaft nicht bevorzugen. Es geht allein darum, welcher Bewerber die Kriterien am besten erfüllt, die das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) in Paragraf1 festlegt: Es soll derjenige Bewerber die Konzession bekommen, der eine „möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas“ garantiert, „die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht“. Im Laufe des Jahres 2014 vergibt die BSU die Stromkonzession, die vom 1. Januar 2015 gilt. Beim Gasnetz läuft es ähnlich, allerdings zwei Jahre später. Bekommt die neue städtische Netzgesellschaft den Zuschlag, können unterlegene Bewerber wie Vattenfall oder E.on klagen. Das Vergabeverfahren wird gerichtlich überprüft. Das geschieht laut Dressel relativ schnell.

3. Bekommt die Stadt mit der Konzession automatisch auch das Netz?

Ja, der Neu-Konzessionär hat laut Energiewirtschaftsgesetz einen „Übereignungsanspruch“ an den Alt-Konzessionär. Das heißt: Rohre und Kabel gehen an das Unternehmen über, das die Konzession erhalten hat. Das gilt in Hamburg für das Strom- und das Gasnetz. Dis bisherigen Netzbesitzer Vattenfall und E.on können sich dann nicht mehr gegen einen Übergang der Netze an die Stadt wehren.

4. Wie wird der Preis für die Energienetze festgelegt?

Den Preis für das Netz kann der Verkäufer nicht nach Gutdünken festlegen. Vielmehr sagt das Energiewirtschaftsgesetz, dass der Verkäufer eine „angemessene Vergütung“ bekommt (EnBW §46). Das soll verhindern, dass ein Alt-Konzessionär den Übergang des Netzbetriebs durch das Aufrufen absurd hoher Preise hintertreibt. Allerdings hat die Praxis gezeigt, dass die Vorstellungen von Verkäufer und Käufer über die Höhe der „angemessenen Vergütung“ trotzdem meistens weit auseinanderliegen. Die Folge sind Prozesse, die sich oft über viele Jahre hinziehen. Der Rechtsstreit über die Kaufsumme verhindert allerdings nicht den Übergang des Netzes. Dasselbe gilt für die Gasnetze.

5. Was passiert mit der Fernwärme?

Bei der Fernwärme ist die Situation eine andere als im Strom- und Gasnetz. Neben den 800 Kilometer langen Leitungen gehören die Erzeugungsanlagen Tiefstack und Wedel zu dem Paket, das der Senat nun von Vattenfall zurück in städtische Hand holen soll. Allerdings gibt es kein Konzessionsverfahren wie bei den beiden anderen Netzen, die Hamburg als Hebel zur Rückholung ansetzen könnte. Stattdessen wird die Stadt nun einen Rechtsstreit mit Vattenfall wieder aufnehmen, den der SPD-Senat im Zuge des Vertrags mit Vattenfall und E.on hatte ruhen lassen. Dabei geht es um die sogenannte „Endschaftsklausel“ aus dem Konzessionsvertrag, den Hamburg 1994 mit den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW) geschlossen hatte. Diese sieht vor, dass die Fernwärme wieder in städtische Hand zurückgeholt werden kann. Vattenfall als Rechtsnachfolger der HEW bestreitet jedoch die Gültigkeit dieser Klausel. Nun müssen die Gerichte klären, welche Seite Recht hat. Nach Einschätzung von SPD-Fraktionschef Dressel sind die Erfolgsaussichten offen. Sollte die Klage der Stadt erfolgreich sein, würde Hamburg seinen Übernahmeanspruch geltend machen, so Dressel – „vermutlich gegen Zahlung einer Entschädigung, über deren Höhe es ebenfalls zu einem Rechtsstreit kommen kann“. Unterliegt die Stadt dagegen vor Gericht, hätte sie keine Handhabe, um die Herausgabe des Fernwärmenetzes zu erzwingen. Hamburg wäre dann darauf angewiesen, dass Vattenfall freiwillig verkauft. Das dürfte dann vor allem eine Frage des Preises sein.

6. Welche gerichtlichen Auseinandersetzungen stehen bei alldem ins Haus?

Zusammengefasst gibt es also sechs „Prozessrisiken“: Vattenfall und E.on könnten (wie andere unterlegene Bewerber auch) jeweils gegen die Vergabe der Konzession an die städtische Netzgesellschaft klagen. Danach könnte es jeweils zum Prozess um die Höhe der „angemessenen Vergütung“ kommen, die Vattenfall für das Strom- und E.on für das Gasnetz bekommen. Das fünfte Gerichtsverfahren ist das um die „Endschaftsklausel“ bei der Fernwärme. Das sechste könnte sich schließlich um die Höhe der Entschädigung drehen, die Vattenfall für die Fernwärme bekommt, falls die Stadt den Prozess um die Endschaftsklausel gewinnt.

7. Braucht Hamburg sofort eigenes Personal für den Netzbetrieb?

Hamburg muss zunächst eine Netzgesellschaft gründen, die mehr oder weniger als leere Hülle funktioniert. Diese Gesellschaft bewirbt sich bis 15. Januar 2014 um die Stromkonzession. SPD-Fraktionschef Dressel deutete an, dass dabei auch Expertise aus dem städtischen Betrieb des Wassernetzes herangezogen werden könnte. Experten sehen die Möglichkeit, alle vier Netze (Strom, Gas, Fernwärme, Wasser) von einer gemeinsamen Netzgesellschaft betreiben zu lassen. Ob der Senat das langfristig anstrebt, ist noch unklar. Für die Bewerbung um die Konzession muss die städtische Netzgesellschaft jedenfalls noch kein Fachpersonal für den Netzbetrieb vorhalten. Damit will das Gesetz auch Neueinsteigern die Bewerbung ermöglichen. Bekommt sie den Zuschlag für die Konzession, könnte die Netzbetriebsgesellschaft von Vattenfall (und später auch die von E.on) im Rahmen eines sogenannten „Betriebsübergangs“ übernommen werden. Dabei gehen auch die Arbeitnehmer an die städtische Gesellschaft über – vorausgesetzt sie widersprechen dem Übergang nicht. Schwieriger gestaltet sich die Lage laut Dressel bei den Servicegesellschaften, die etwa für Reparaturen zuständig sind. Diese Mitarbeiter sind bei Vattenfall in einer eigenen Gesellschaft organisiert, die nicht an die Stadt übergehen würde. Daher müsste Hamburg sich einen externen Dienstleister suchen oder selbst eine Servicegesellschaft gründen und dafür eigenes Personal einstellen. Diese Frage ist noch nicht geklärt.

8. Hat der Senat genug eigene Expertise für das komplizierte Verfahren?

In den Behörden finden sich zwar exzellente Fachleute. Dennoch werde man möglicherweise auch auf externe Expertise zurückgreifen, sagte Dressel – und nannte als Beispiel das Beratungsunternehmen LBD, das schon viele Rekommunalisierungen begleitet hat. Deren Geschäftsführer Ben Schlemmermeier war als Sachverständiger in der Bürgerschaft gehört worden, hatte sich für den Rückkauf ausgesprochen und die 25,1-Prozent-Variante des Scholz-Senats als unsinnig kritisiert. Auch Vertreter der siegreichen Initiative will Dressel am weiteren Verfahren beteiligen. Deren Sprecher Manfred Braasch, bis Sonntag noch schärfster Gegenspieler Dressels, soll zu den entsprechenden Ausschussitzungen eingeladen werden.