Die Bundestagswahl kann dramatische Folgen haben – vor allem für die kleinen Parteien

Da soll noch einer sagen, dass der kommende Wahlsonntag langweilig wird. Das Gegenteil ist richtig: Auch wenn es danach aussieht, dass Angela Merkel Kanzlerin bleiben sollte, wird diese Bundestagswahl mindestens spannend, für einige Parteien und die Zukunft des Bundestages möglicherweise sogar dramatisch. Schafft es die FDP erstmals in ihrer Geschichte nicht in das Parlament? Gelingt den Euro-Gegnern der AfD überraschend der Sprung über die Fünfprozenthürde? Erleben die Grünen, nach der Katastrophe von Fukushima und der daraufhin beschlossenen Energiewende schon als dritte Volkspartei gefeiert, eine schwere Niederlage? Und schneidet ausgerechnet Peer Steinbrück mit seiner SPD viel besser ab, als man es ihm zugetraut hat?

Es spricht vieles dafür, dass dieser Sonntag auch dann in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als ein besonderer eingehen wird, wenn sich an der Person der Bundeskanzlerin nichts ändert. Fakt ist: Es lohnt sich, wählen zu gehen – es war aber auch selten so schwer wie in diesem Jahr. Natürlich kann man wie in der Vergangenheit Erst- und Zweitstimme aus taktischen Gründen auf verschiedene Parteien verteilen, zum Beispiel auf eine große und auf eine kleine. Man riskiert damit aber angesichts der knappen Mehrheiten, seinen eigentlichen Favoriten zu schwächen. Soll heißen: Wer unbedingt möchte, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt, fährt diesmal möglicherweise besser, wenn er der CDU beide Stimmen gibt. Gleiches gilt für alle, die Peer Steinbrück gern als Regierungschef sehen würden. Das wissen die beiden großen Kontrahenten, und das erklärt auch, warum sie in erster Linie für sich und nicht für irgendwelche Koalitionen kämpfen. Vor allem die CDU will nicht noch einmal erleben, was ihr in Niedersachsen widerfahren ist. Dort verfing die Zweitstimmenkampagne der FDP bekanntlich, am Ende war aber nicht nur die schwarz-gelbe Koalition, sondern auch der CDU-Ministerpräsident David McAllister abgewählt.

Sowohl die CDU als auch die SPD werden in den verbleibenden Wahlkampftagen alles versuchen, viele Erst- und Zweitstimmen für sich zu gewinnen – und sei es nur, um im (nicht unwahrscheinlichen) Fall einer Großen Koalition möglichst stark zu sein. Was das für die potenziellen „kleinen“ Koalitionspartner, also für die FDP und die Grünen, bedeutet, ist selbst jetzt schwer abzusehen. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass in diesem Jahr beide Parteien eher zu den Verlierern gehören könnten – was übrigens auch ein Erfolg Peer Steinbrücks wäre. Der SPD-Spitzenkandidat hat spätestens seit dem TV-Duell deutlicher gepunktet, als man ihm das zugetraut hat. Selbst einige eher ungewöhnliche Auftritte („Stinkefinger“) haben ihm mehr genutzt als geschadet. Steinbrück hat zwar polarisiert, aber dadurch auch mobilisiert. Das ist den Liberalen bisher gar nicht und den Grünen nur bedingt gelungen: Gut möglich, dass von ihrem Wahlkampf (leider) nur der sogenannte Veggie Day in Erinnerung bleibt.

Erst an den letzten Tagen zeigt dieser Wahlkampf also, was wirklich in ihm steckt. Das lässt darauf hoffen, dass ähnlich wie bei der Landtagswahl in Bayern auch am kommenden Sonntag wieder mehr Menschen ihre Stimme abgeben werden als 2009. Ich persönlich werde übrigens am Sonntag nicht ins Wahllokal gehen – ich habe bereits Anfang dieser Woche Briefwahl gemacht, was deutlich länger gedauert hat als in den Jahren zuvor. Das lag zum einen daran, dass man diesmal wirklich noch einmal ganz genau über die Verteilung von Erst- und Zweitstimmen und deren Konsequenzen nachdenken musste. Zum anderen ist die Briefwahl, gerade in Kombination mit dem Volksentscheid zu den Netzen, alles andere als unkompliziert. Ich kann nur hoffen, dass ich die Unterlagen richtig auf die drei Briefumschläge verteilt habe...

Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts