Mit seiner Volte im Syrien-Konflikt zeigt der Präsident eine gefährliche Schwäche

Der US-Präsident, so scheint es, ist als Rambo gesprungen und als Gänseliesel gelandet. Stündlich hatte die Welt mit einem Hagel von Marschflugkörpern auf Schlüsselpositionen der syrischen Armee gerechnet. Barack Obama selber hatte die „rote Linie“ definiert, die ein amerikanisches Eingreifen nach sich ziehen würde: den Einsatz des syrischen Chemiewaffenarsenals. Bereits einmal hatte Obama Berichte über ein mutmaßliches Massaker an Zivilisten mit chemischen Waffen ignoriert. Aber die fast 1500 Toten vom 21. August, darunter Hunderte Kinder, ließen sich nicht mehr ignorieren.

Doch nun entlässt sich Obama selber aus der einsamen Verantwortung des „supreme commanders“, der aufgrund des „War Powers Acts“ von 1973 US-Truppen auch ohne ein Kongress-Votum für einen begrenzten Zeitraum einsetzen kann. Allerdings, so sieht es dieses Gesetz vor, nur bei einem nationalen Notstand oder einem Angriff auf die USA oder ihre Besitzungen. Nichts davon trifft in der syrischen Krise zu. Für Obamas überraschende Volte gibt es eine Reihe von Gründen. Zum einen die unerwartete Niederlage des britischen Premiers Cameron im Unterhaus. Damit hatte Washington seinen treuesten Vasallen verloren und sah sich nun in einer höchst unbefriedigenden Allianz mit dem französischen Staatspräsidenten Hollande, der seine im freien Fall befindlichen Umfragewerte mit einem glänzenden Feldherren-Erfolg aufzufangen hofft, sowie mit dem schillernden türkischen Regierungschef Erdogan, der eine persönliche Rechnung mit dem syrischen Tyrannen Assad offen hat und nebenbei eine regionale Vormachtstellung nach dem Modell des verblichenen Osmanischen Reiches reinstallieren will.

Hinzu kommt, dass die Welt seit dem Irakkrieg ungute Erinnerungen an die öffentliche Präsentation von Beweisen hat, die eine US-Intervention rechtfertigen sollen. Die Darlegung unumstößlicher Beweise durch die Uno, gesammelt von deren Inspekteuren vor Ort, hätte eine ganz andere Kraft. Doch die liegen frühestens in drei Wochen vor.

Die vordringliche Frage jedoch, die bislang von den USA nicht beantwortet werden konnte, ist die nach den Zielen, Absichten und Risiken eines US-Militärschlages. Eine Bestrafung eines Regimes, das Massenvernichtungswaffen gegen das eigene Volk einsetzt, ist wohl wünschenswert. Allerdings fände diese Sanktion in einer höchst explosiven Gemengelage statt. Es ist denkbar, dass eine massive Schwächung der syrischen Armee die Rebellen in die Lage versetzen könnten, Damaskus einzunehmen. Da die bunte Rebellenkoalition zunehmend von al-Qaida und anderen radikalen Islamistengruppen gesteuert wird, dämmert die apokalyptische Vision eines islamistischen Terror-Regimes herauf, das über eines der weltgrößten Arsenale an Chemiewaffen verfügt. Die israelische Reaktion darauf mag man sich lieber nicht ausmalen. Auf jeden Fall würde eine Ausschaltung syrischer Armee-Kapazitäten den Bürgerkrieg zunächst intensivieren und Assad vielleicht gar zu weiteren Verzweiflungseinsätzen seines Arsenals veranlassen. Obama müsste also so hart strafen, um Wirkung auf das Regime zu erzielen, aber nicht so hart, um es stürzen zu lassen. Eine Quadratur des Teufelskreises.

Barack Obama gewinnt Zeit, indem er den Ball nun dem US–Kongress zuspielt. Versagt dieser ihm die Gefolgschaft, wäre der US-Präsident entschuldigt. Allerdings hätten die USA zugleich einen Gesichtsverlust mit unabsehbaren Konsequenzen erlitten. Stimmt der Kongress dem Waffengang zu, ist Obama zumindest innenpolitisch gegen Kritik gefeit, falls das Unternehmen böse endet. Doch da man in vielen Teilen der Welt, in Russland und im Nahen Osten zumal, das Modell des handlungskräftigen Führers schätzt, hat Obama und damit sein Land bereits jetzt erheblich an Statur verloren.

Der Verfasser ist Chefautor des Hamburger Abendblatts