Gätjen trifft ... den Werber Manfred Schüller. Er ist einer der ganz Großen in der Branche, führte viele Jahre lang die Geschäfte von Deutschlands größter Agentur, berät heute ein kleines kreatives Team.

Selbst wenn alle übers Wetter reden, tut er es nicht. „Kein Thema“, findet Manfred Schüller, einer der Partner von Nordpol, der „heißesten“ Werbe-Agentur Hamburgs, wie es in der Branche heißt. Für ihn ist Wetter immer gut. Selbst in einem suppigen Grau, das über der Stadt hängt, entdeckt er noch ein Fitzelchen Blau bei unserem Treffen am Alsteranleger. Ein unverbesserlicher Optimist sei er eben, immer das halb volle Wasserglas im Blick niemals ein halb leeres. „Vielleicht mögen Sie es naiv nennen“, sagt Manfred Schüller, aber so sei es nun einmal. „Ich bin, wie ich bin. Man muss nur authentisch bleiben.“

Er gilt als ganz Großer der Werbebranche. Wie es dazu kam, erzählt er schnell, atemlos, ohne Pause – höchstens zum Luftholen – und mit dem notwendigen Maß an Selbstironie, sodass man ihm dieses geradezu inflationär gebrauchte Wort „authentisch“ gerade noch verzeiht. Seine Überzeugungskraft macht selbst schwierige Zusammenhänge verständlich. Er könne einfach alles verkaufen, soll seine Frau über dieses Talent gesagt haben. Recht hat sie.

Im Moment verkauft er sich selbst. Eine perfekte Präsentation der Marke Schüller, Manfred, Werber. Mit Charme, Wortwitz und Ehrlichkeit. Manfred Schüller ist weit entfernt vom Klischee des jungen, fetzigen Wilden der Werbebranche. Seitenscheitel, brave Brille, ein leicht amüsiertes Lächeln aus sanften graublauen Augen. Ein schwerer, massiv goldener Ehering. „Mit dem ertrinke ich beim Schwimmen. Meine Frau wollte ihn gerne so.“ Manfred Schüller sieht sich inzwischen eher als Elder Statesman der Branche. Als Berater, Vermittler. Das sei schon daran zu erkennen, dass sein Büro in der Mitte zwischen denen der beiden Nordpol-Gründer Lars Rühmann und Mathias Müller-Using liegt.

Mit seiner Patchworkfamilie lebt er in Winterhude

Das Gespräch legt zu im Tempo. Wird zu einem rasanten Sprint durch verschiedene Lebensphasen, Karrierestationen, persönlichen Macken und Befindlichkeiten. Geboren und aufgewachsen ist er in Wellingsbüttel („Ich bin ein Hamburger Jung und dazu bekenne ich mich auch“), besuchte in Wellingsbüttel die Peter-Petersen-Schule (heute Irena-Sendler-Schule), Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium am Berliner Tor, die erste Wohngemeinschaft mit 21 in Eppendorf, der Einstieg in den Beruf in Hamburg. Jetzt wohnt er in Winterhude mit seiner Patchworkfamilie: ein erwachsener Sohn aus seiner ersten Ehe, zwei Kinder hat seine Frau mit in die Ehe gebracht. Zwei haben sie gemeinsam.

Er ist er ganz hingerissen davon, die beiden Kleinen (sieben und acht Jahre alt) morgens in die Schule fahren. Da werde ihm immer ganz warm ums Herz. Da hole er alles nach, was er bei seinem Ältesten versäumt zu haben glaubt. Schnell das Handy gezückt, die beiden Kleinen werden gezeigt, die Frau gesucht „beim Picknick auf Sylt – oder beim gemeinsamen Kochen“, das Essen wird bestellt im Portonovo, dem ehemaligen Paolino an der Außenalster.

Dann wird noch kurz geklärt, dass Manfred Schüller nicht zwei Dinge zur gleichen Zeit machen kann. Fahrradfahren und klingeln sei gerade noch drin, essen und reden geht gar nicht. Er entscheidet sich fürs Reden, lässt den Fisch kalt werden. Schweift ab zum Thema Kochen. Er sei nur der Zuarbeiter, beim Spargelessen immer der Schäler „weil ich es so gut kann“. Plötzliche Pause „jetzt habe ich doch den Faden verloren“, sagt Manfred Schüller.

Er wollte immer schon Werber werden. Selbst sein Zimmer zu Hause war mit Anzeigen gepflastert: Werbung für Beck’s Bier, Afri Cola, Bilder des Werbefotografen Charles Wilp. Gleich nach dem Abitur aber schwankte er doch noch einmal kurz: Architektur, oder Werbung? Ein Studium für Letzteres gab es damals, Ende der 60er, noch nicht. Ein Kunststudium schien ihm dicht genug dran an der Werbung. Er ist schon eingeschrieben an der Kunsthochschule Armgartstraße, als sein großes Idol, der international berühmte Werbetexter David Ogilvy, letztlich den Ausschlag zum Einstieg in die Praxis gibt.

Manfred Schüller macht eine Ausbildung bei der Hamburger Werbagentur MWI, geht danach zum Verlag Gruner + Jahr in Hamburg, führt das Magazin „Geo“ ein, kommt zum „Stern“, sitzt beim Debakel um die Hitler-Tagebücher im „Epizentrum“, wechselt anschließend zu Springer & Jacoby, bleibt dort fast 18 Jahre, zuletzt als Chef. Er sei aus der Hamburger Ecke irgendwie nie rausgekommen, ausgenommen ein paar Monate in New York, in der Madison Avenue, dem Zentrum der Werbebranche, „wie in der US-TV-Serie ,Mad Men‘ haargenau beschrieben“.

Mit 55 will er raus aus dieser quirligen Atmosphäre, sich zur Ruhe setzen, weil es Zeit wird. Ein Haus ist gebaut, die junge Familie – das alles müsse man genießen. Ein Anruf der französischen Werbeagentur Publicis Groupe bringt die geplante Idylle ins Wanken. Die Franzosen suchen einen Deutschland-Chef. Er brauche Menschen um sich herum, um sich in „gute Schwingungen zu versetzen“, sagt Manfred Schüller. Außerdem redet seine Frau ihm zu, „wahrscheinlich weil sie mich wieder aus dem Haus haben wollte und Paris so liebt“. Er geht zu Publicis, hat sein Büro in Frankfurt, reist viel nach Paris, bleibt mehr als drei Jahre – und wird danach Partner bei der Agentur Nordpol. Manfred Schüller kommt zurück nach Hamburg, in die Stadt, die für ihn „unaufgeregter als Berlin“ ist, „nicht so auf private Außendarstellung fixiert wie Düsseldorf“, die sich nur hüten müsse, nicht „in Schönheit zu ersticken und die gewachsene Subkultur aus den Augen zu verlieren“.

„Ich ess mal ’ne Sekunde“, sagt er. Stochert im Fisch, holt tief Luft, erzählt von der Agentur Nordpol, die am Ballindamm sitzt und mehrere zweisitzige Elektroautos für die Mitarbeiter vor der Tür stehen hat, weil sie an das System glauben. Die Agentur wurde in Cannes mit Preisen überschüttet, „387 oder so“, beteiligt sich aber nicht mehr an Ausschreibungen. „Es ist eine solche Inflation geworden, diese Fließbandproduktion von Arbeiten, das wollen wir nicht mehr mitmachen. Das geht vorbei an der Realität.“

Manfred Schüller wird verhalten ärgerlich. „Werbung ist total unerotisch geworden.“ Er stamme noch aus der Generation „Pappensarg“, die Entwürfe in einer Mappe zur Präsentation bei den Auftraggebern trug. Heute passiere das alles per Computer, und die jungen Leute bessern im Taxi auf dem Weg zum Flughafen auf dem Laptop noch nach. „Sicher effizient, aber auch nervenaufreibend.“ Er sei lieber etwas früher am Flughafen. „Ich muss mich vor wichtigen Terminen vorher schon in positive Schwingungen bringen, brauche gutes Karma und positive Energie um mich herum, damit ich so richtig in Fahrt komme und gut bin. Da bin ich total spießig, ein eher langweiliger Typ mit Marotten, denken die jungen Leute sicher.“

Dabei möchte Manfred Schüller schon gerne cool wirken. „Cool, nicht künstlich“, damit die anderen auf Elternabenden nicht sagen können, „jetzt haben sie den Großvater geschickt“. Eine Brille trage er nicht als Kult, das sei eine Notwendigkeit. Früh bei ihm entdeckt: Als er mit seinen Eltern in Övelgönne am Strand saß und die Namen der Schiffe, die dicht an ihnen vorbeirauschten, nicht erkennen konnte, war es klar. Trendige Klamotten aber gönne er sich. Er sei „kein Gockel“, aber ein bisschen eitel schon. „Im richtigen Maß! Man muss authentisch bleiben“. Er sei nie ein Paradiesvogel gewesen, habe nie richtig über die Stränge geschlagen. Als er 16 Jahre alt war, hatte ein Klassenkamerad Hasch aus den USA mitgebracht, Kekse daraus gebacken, gegessen, und dann – nichts. Gelächter ja, aber kein Kick. Zigaretten geraucht hat er nie. Sein Vater habe ihm Geld versprochen, wenn er bis 18 nicht rauche. Das habe er natürlich gerne mitgenommen. Bei seinem Sohn klappte dieses Prinzip nicht. Den hat der Vater im Stadtpark mit einer „Lulle“ im Mund ertappt.

Nordpol sei mit 42 Mitarbeitern überschaubar, die Stimmung exzellent

„Wo waren wir eigentlich?“, fragt Manfred Schüller, plötzlich aus dem Takt gebracht. Richtig, von Nordpol wollte er erzählen, dieser Agentur, in die er sich verliebt habe und in der er sich nicht mehr fremdbestimmt fühle wie im riesigen Network Publicis. Nordpol sei mit 42 Mitarbeitern klein und überschaubar. Die Stimmung exzellent, die Mischung der Mannschaft stimme: eine erfolgreiche Zusammensetzung aus Kompetenz, Kreativität, Erfahrung und – sozialer Kompetenz. Getestet auf einem Segeltörn mit den Bewerbern. Drei Tage segeln, auf engsten Raum zusammen sein, dabei stelle sich heraus, ob man mit dem Menschen wirklich gut könne und er teamfähig sei. „Die Chemie muss stimmen. Damit man mit Lust und Spaß Außergewöhnliches schaffen kann.“

Seine zweite Frau Anna hat er in der Firma kennengelernt. Bei einem der Firmenskiurlaube von Springer & Jacoby. Es habe bei ihm gefunkt, als er ihr das Skilaufen beibringen wollte, was bis heute nicht geklappt hat. In der 500-Mitarbeiter-Firma waren sie sich nie vorher begegnet. „Meine Frau und ich ergänzen uns ideal. Sie ist konsequenter, kann auch mal Nein sagen. Sie erdet und bremst mich.“ Wir kehren zu Nordpol zurück und deren beiden Ablegern XPol, einer strategischen Markenberatung, die Marken in die Zukunft begleiten soll; und Interpol, nein, der Name sei nicht von der internationalen Polizeibehörde geklaut oder geschützt, sie hätten sich vorher schlaugemacht.

Interpol als eine freie Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft für unfassbare Formate, Filme, dicke und dünne Bücher, grenzenlose Räume, angewandte Streitkultur und Ideen aus ferner Zukunft. Puh! Was für eine verwirrende Aufzählung! Verdaubar gemacht nur durch die lebhaften Handbewegungen und die eindringlich volltönende Stimme Manfred Schüllers. Zum Nachlesen empfiehlt sich die Visitenkarte von Interpol+. Ein Projekt war zum Beispiel eine Wahlsoap zur Bundestagswahl 2009. Ungewöhnlich und gelaufen auf „Spiegel“ und „Bild.de“, studiVZ und Viva. So hätten sie 1,5 Millionen Jugendliche erreicht. Das Hauptaugenmerk war gerichtet auf die Wahlprogramme; das Ziel, junge Leute zur Wahl zu bewegen. Dafür wurde die Agentur für den Grimme-Preis nominiert.

Renault, Vodafone, Lidl, „Spiegel“ und der FC St. Pauli zählen zu den Kunden

Bei einem Kaffee handeln wir den Rest noch ab: namhafte Agentur-Kunden wie Renault, Vodafone, FC St. Pauli, Dacia, Lidl und „Spiegel“. Dass seine Beine nicht schön genug für kurze Hosen im Sommer seien. Dass er regelmäßig von zu Hause bis zum US-Konsulat jogge und dass sein zaghaft sprießender Dreitagebart keine Masche, sondern nur ein Zeichen für Zeitmangel sei. Er habe sich heute Morgen nicht mehr rasieren können, sagt er lachend. Dann zückt er seine Uhr. Drei sei es schon. Nun aber los. Ach, eigentlich sei es erst Viertel vor drei. Er stelle seine Uhr immer 15 Minuten vor, um pünktlich zu sein. „eine Art Selbstüberlistung“.

Wenig später nach unserem Treffen wird das Wetter gut. Sehr, sehr gut. „Sach ich doch!“, würde es auf gut Hamburgisch heißen. Nicht bei ihm, dem hanseatischen Grandseigneur der Werbeszene. Er würde überlegen lächeln. Und schweigen. Denn auch das kann er. Ausnahmsweise!