Wer hat diesen künstlerisch gestalteten Allzweckgarten eigentlich erfunden – blumenliebende Bäuerinnen oder der Maler Max Liebermann? Ein Experte gibt Antwort

Es gibt ihn gar nicht, den typischen Bauerngarten, sagen Heimatforscher. Jedenfalls nicht als wissenschaftlich definierte Gartenform, ist in Gartenzeitschriften immer wieder zu lesen. Und wann nun die quadratische Form mit dem Rondell in der Mitte entstanden ist – da möchten Gartenhistoriker am liebsten passen.

Fest steht, dass man im Jahr 1913 im Botanischen Garten Hamburg – damals noch am Dammtor – eine Art Ideal-Bauerngarten anlegte. Er vereinte die typischen Merkmale, die wir von Bauerngärten heute erwarten: die geometrische Anlage mit einem Wegkreuz und buchsumrandeten Beeten, drum herum Staketenzäune oder Hecken; in der Mitte des Wegkreuzes ein Rondell mit Blumenbeet, einem Brunnen oder einem kleinen Baum. Nachdem der Botanische Garten 1979 aus Platzgründen von Planten un Blomen nach Klein Flottbek umgezogen war, entstand dort in den 80er-Jahren ein ähnlicher Bauerngarten mit einem kleinen Reetdachhaus, in dem heute Gartenseminare stattfinden und Pflanzen verkauft werden.

Aber ist das nun ein „typischer Bauerngarten“, wie ihn norddeutsche Bauern früher hatten? War der nicht viel zu arbeitsaufwendig? Oder ist er eine Kunstform, ein botanischer Irrtum, entstanden erst am Beginn des 20. Jahrhunderts?

„Unfug“, sagt Prof. Hans-Dieter Warda ärgerlich. „Solche Gärten gab es bei uns im Norden seit etwa 200 Jahren zu sehen. Mal mit Rondell, mal ohne. Mal mit Buchs eingefasst, mal mit Steinen. Die Bäuerinnen hatten auch früher schon Stauden mit Blumen für die Vase oder für die Kirche. Natürlich hat sich im Verlauf der Jahrhunderte das Blumen-Sortiment geändert. Aber es ist müßig zu spekulieren, wer so einen Garten wann und wo zum ersten Mal gemacht hat.“

Warda muss es wissen. Der langjährige Dozent für Bepflanzungsplanung und Dendrologie (Baumkunde) war 22 Jahre lang in Klein Flottbek tätig, hat dort den heutigen Bauerngarten angelegt; seit 1985 ist er ehrenamtlicher Leiter des Arboretums Ellerhoop bei Tornesch und richtete dort ebenfalls einen Bauerngarten ein, vor dem großen historischen Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert. Seit vielen Jahren hat Warda der bäuerlichen Gartenkultur nachgeforscht.

Er selbst ist auf dem Land in Kisdorf nördlich von Henstedt-Ulzburg aufgewachsen und „in einem Garten mit Buchs-Rändern“, erzählt er. „Ich bin später in ganz Schleswig-Holstein herumgefahren und habe nach alten bäuerlichen Gärten gesucht. Davon finden Sie höchstens noch Fragmente. Aber der Bauerngarten ist das, was wir noch im Kopf haben: diese farbenprächtige Mischung aus Pflanzen, die aus Feld und Wald kamen wie Rainfarn, Glockenblume, Königskerzen, Schafgarbe, Rotdorn und Weißdorn. Dazu alte Hochstamm-Rosen, Malven, Stockrosen, Jasmin, Boretsch, Tränende Herzen. Und natürlich die Brennende Liebe!“ Dass Bauerngärten Stadtkinder und Künstler schon um 1900 faszinierten, ist erwiesen. Otto Modersohn (1865–1943), Mitbegründer der Künstlerkolonie Worpswede, und seine Frau Paula übernahmen in ihren Garten selbst Elemente des Bauerngartens. Da gab es ein Beet-Rondell mit einer großen Glaskugel, das beide einige Male malten. „Ihren Worpsweder Garten haben sie gemeinsam geplant“, sagt Rainer Noeres vom Otto-Modersohn-Museum in Fischerhude.

1909 legte Liebermann nach Plänen von Lichtwark seinen Bauerngarten an

Und was er beschreibt, klingt wirklich wie eine Variation von Wardas Bauerngarten: „Sie wollten keinen wilden Garten. Die Wege waren eingefasst mit weißen Nelken, auf den Beeten wuchsen Malven und Stockrosen. Und bunte Glaskugeln im Garten waren um 1900 sehr en vogue.“

Vor allem einer hat den Bauerngarten als eigene Gartenform damals bekannt gemacht: Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle und Verfechter einer Gartenreform am Beginn des 20. Jahrhunderts. Statt der mit Schlängelwegen und Tempelhügelchen überladenen wilhelminischen Gärten suchte er eine neue „Raumkunst im Freien“, vor allem für kleinere Stadtgärten. 1891 machte er sich mit seinem Freund, dem Maler Max Liebermann, auf Erkundungstour ins Hamburger Umland. Sie entdeckten die Bauerngärten der hamburgischen Marsch: „Nein, wie gemütlich das aussieht, diese geraden Wege und buchsgefassten Beete, diese geschorenen Hecken und der große Würfel der Laube und diese klassische Verbindung von Blumen- und Gemüsegarten, wie menschlich“, schrieb Lichtwark. 1909 legte Liebermann nach Plänen von Lichtwark seinen eigenen „Bauerngarten“ an seiner Sommervilla am Berliner Wannsee an, den man heute noch besichtigen kann. Es war ein Prototyp, der wahrscheinlich auch 1913 bei der Anlage des ersten öffentlichen „Bauerngartens“ in Planten un Blomen Pate stand.

Warum ist die kollektive Erinnerung an alte Bauerngärten heute so löchrig? „Nach dem Zweiten Weltkrieg“, meint Hans-Dieter Warda, „begann die Revolution in der Landwirtschaft, es ging immer mehr um Rentabilität. Man hatte keine Knechte und Mägde mehr. Und wenn die Bäuerin selbst morgens früh mit zum Melken rausmusste, hatte sie keine Zeit mehr für einen aufwendigen Garten.“ In den 60er-Jahren begann außerdem der „Hang zum modernen Garten“: Aus Gemüsebeeten wurde Rasen, auf den Beeten breiteten sich pflegeleichte Koniferen aus. „Die bäuerliche Gartenkultur ist ausgestorben“, bedauert Warda.

Aber so wie die Künstlerkolonien vor 100 Jahren sind heute immer mehr Gartenfreunde auf der Suche nach dem Traditionellen und Echten. Der Bauerngarten erlebt ein Revival: Er wird in Büchern gefeiert; Museumsdörfer wie das Freilichtmuseum Kiekeberg in Harburg legen Bauerngärten an, kombinieren sie mit Kloster- und Apothekergärten. „Bei den Besuchern unseres Arboretums ist der Bauerngarten ein Highlight“, sagt Warda.