Zwei Hamburger bringen frischen Wind in die Schiffsbranche: Von 2015 an sollen ihre Viermaster zwischen der Hansestadt und Südamerika pendeln

Hamburg. Der Laptop von Torben Hass rutscht gegen die Schlingerleiste des Kajüt-Tisches der „Undine“, als draußen auf der Elbe ein bulliger Schlepper vorbeizieht. Der alte Frachtsegler im Museumshafen Neumühlen schaukelt sanft in der Bugwelle, Holz knirscht und knarzt. In den 1930er-Jahren wurde der Zweimaster gebaut. Eine Zeit, als die letzten segelnden Frachtschiffe über die Meere fuhren. „Undine“-Kapitän Hass und sein kaufmännischer Mitstreiter wollen diese Zeit jetzt wieder aufleben lassen. Studien von Hightech-Windjammern zeigt er dem Besucher auf seinem Computer, Visionen und Konstruktionen von einem großen Segler mit dem Projektnamen „Ecoliner“, der nur noch entfernt an die alten großen Rahsegler erinnert und tatsächlich mit Hydraulik und EDV gesteuert wird. 2015 schon, so der Plan, sollen unter dem Reederei-Namen Windjammer-Shipping zwei solcher modernen 140 Meter langen Viermast-Stückgutfrachter zwischen Europa und Südamerika pendeln. „Wir nutzen die alten, beständigen Handelswinde, die Tradewinds“, sagt Hass. Der 39-Jährige kennt diese Winde, er fuhr als Segeloffizier auf der „Gorch Fock“, später in der Handelsschifffahrt auf Tankern. Seit einigen Monaten betreibt er mit der „Undine“ die Segelfracht-Schifflinie Hamburg–Sylt und nimmt Passagiere mit. Schon jetzt liegt sein Umsatz damit weit über dem gesteckten Ziel. „Der Ecoliner ist jetzt der zweite Schritt“, sagt er.

Hass greift damit eine Idee auf, die in Hamburg vor rund 40 Jahren schon einmal kurz vor der Realisierung stand. Deutschland erlebte gerade die erste Ölkrise. Die Menschen mussten sonntags aufs Autofahren verzichten und die Reeder mit explodierenden Treibstoffpreisen kalkulieren. Der Hamburger Ingenieur Wilhelm Prölss entwickelte als Alternative daher das sogenannte Dyna-Rigg, ein hocheffizientes Segelsystem, das viele Nachteile der alten Großsegler umschiffte und den Windantrieb wieder interessant machen sollte. Das Kernprinzip dabei: Quasi etagenweise lassen sich die Rahsegel wie große Vorhänge hydraulisch in die drehbaren Masten einfahren, um sie an jeweilige Windverhältnisse anzupassen. Die Segelfläche selbst kann beim Dyna-Rigg ohne Spalt zwischen den einzelnen Segeln gefahren werden, was den Wind ebenfalls effektiver ausnutzt. Prölss, 1976 gestorben, arbeitete in diesen Jahren auch an der Schiffbauversuchsanstalt mit dem damals jungen Ingenieur Peter Schenzle zusammen. Schenzle, heute 73 Jahre alt, erinnert sich noch gut an diese Zeit. Eine Reederei war stark interessiert, es gab bereits einen Verhandlungstermin. In der Woche, als das Treffen stattfinden sollte, fiel der Ölpreis dann wieder stark. „Plötzlich gab es dann kein Interesse mehr am Dyna-Rigg“, sagt er. Schenzle beschäftigte sich aber weiter mit Segelantrieben, entwickelte für das Forschungsministerium einen Segelfrachter für Indonesien. Heute hat er noch einen Lehrauftrag in Segeltechnik an der Technischen Universität. Und er ist Berater beim Windjammer-Projekt von Kapitän Hass. Anders als vor 40 Jahren könnte es diesmal funktionieren, sagt Schenzle: „Das ist keine Spinnerei, das hat Hand und Fuß.“

Tatsächlich sind in den vergangenen Monaten einige Dinge zusammengekommen, die die Segelvision des früheren „Gorch Fock“-Offiziers schneller in Richtung Realisierung gebracht haben, als er selbst noch vor einigen Monaten gedacht hatte. Viele Zeitungen und auch TV-Sender haben inzwischen über die romantisch angehauchte Segellinie zwischen Hamburg und Sylt berichtet. Interessenten meldeten sich. So wie Uwe Köhler, ein Kaufmann, der einen Radiosender für Supermärkte erfunden, viele Jahre betrieben und dann verkauft hat, um sich seinen Traum von der eigenen Bar am Hamburger Fischmarkt zu erfüllen. Köhler nutzte seine Kontakte in die Werbeszene, um interessierte Mitstreiter für das Windjammer-Projekt zu gewinnen; Hass hat sein eigenes Netzwerk aus Nautikern und Reedereifachleuten. „Wir bringen hier zwei verschiedene Welten zusammen“, sagt Köhler. Hass und Köhler setzen dabei auf eine Marktnische: Sie wollen vor allem Produkte transportieren, die vom Öko-Image eines Segelschiffs profitieren können. Interesse von Windkraftanlagenherstellern sowie Wein- und Kaffeeproduzenten gebe es bereits, zudem die Investitionszusage einer Vermögensverwaltung. 30 Millionen Euro würde das Vorhaben kosten, doch es soll nur mit Beteiligungen, nicht mit Banken finanziert werden. Und die beiden haben Kontakt mit dem niederländischen Konstrukteur Gérard Dijkstra aufgenommen. Dijkstra hat das Dyna-Rigg-System für seine Segelfrachterstudie „Ecoliner“ weiterentwickelt, an der neben den Hamburgern zwei andere europäische Projekte Interesse haben.

Die beiden Hamburger Schiffe würden 140 Meter lang werden, mit vier gut 60 Meter hohen Stahlmasten. 8000 Tonnen Transportkapazität würde ein solches Schiff besitzen und wie ein heutiger Frachter mit einer zwölfköpfigen Crew auskommen. Zwar würde es auch eine Maschine haben, aber kleiner und nur selten im Einsatz. Schätzungen zufolge müsste man dann bei einer Atlantikahrt nicht mit gut 400.000 Euro Treibstoffkosten kalkulieren, sondern mit 20.000 Euro. Wobei der Segelfrachter dieselbe Geschwindigkeit wie heutige Stückgutschiffe erreichen könnte.

Tatsächlich hat das Prinzip seinen Realitätstest schon bestanden. Für den Milliardär Tom Perkins konstruierte Dijkstra 2005 die Dreimast-Megayacht „Maltese Falcon“, die damit seitdem erfolgreich Rekordzeiten segelt. Vorher hatte er sich mit Schenzle getroffen und die alten Hamburger Dyna-Rigg-Pläne studiert.