Beschäftigte protestieren gegen Ausstieg aus der Tarifbindung. Haus in Bergedorf wegen des Ausstands geschlossen. Polizeieinsatz in Wandsbek.

Hamburg. Tanja Gutzmann hat eine Riesenwut im Bauch. Zusammen mit rund 450 anderen Beschäftigten der Warenhauskette Karstadt steht die Alsterhaus-Mitarbeiterin am Jungfernstieg und streckt ein Schild mit der Aufschrift "Hände weg von unserem Tarifvertrag" in die Höhe. "Immer wieder haben wir Beschäftigte auf Gehalt verzichtet und so das Unternehmen am Leben gehalten", sagt die 42-Jährige, die bereits seit 1991 für den Essener Konzern arbeitet. "Jetzt ist Schluss, jetzt soll auch mal der Eigentümer Nicolas Berggruen seine Versprechen einlösen und endlich Geld für den weiteren Umbau bereitstellen."

So wie der Alsterhaus-Mitarbeiterin geht es vielen der Beschäftigten, die an diesem Montag in den meisten der elf Hamburger Karstadt-Häuser in den Streik getreten sind. Sie wehren sich gegen den zeitweiligen Ausstieg aus der Tarifbindung, den Karstadt-Chef Andrew Jennings Mitte Mai ohne Vorwarnung in der Zentrale verkündet hatte. Durch die sogenannte Tarifpause sollen die Beschäftigten bis 2015 nicht mehr von möglichen Lohnerhöhungen im Einzelhandel profitieren, die die Gewerkschaft Ver.di in der laufenden Tarifrunde aushandelt. Millionen Euro an Gehältern will das Unternehmen auf diese Weise einsparen.

"Der Tarifausstieg ist ein Affront gegen alle Karstadt-Beschäftigten", sagt der zuständige Fachbereichsleiter der Gewerkschaft, Arno Peukes. "Sie sind es, die durch Lohnverzicht in den vergangenen Jahren rund 650 Millionen Euro in das Unternehmen investiert haben." Eigentümer Nicolas Berggruen habe hingegen so gut wie nichts in die Kette investiert und zudem seine Versprechen aus dem Jahr 2010 gebrochen, als er Karstadt aus der Insolvenz übernahm. "Damals hat er erklärt, nach Auslaufen des alten Sanierungstarifvertrags wieder den üblichen Tariflohn zu zahlen", so Peukes.

Durch den Streik kam es am Montag zu Beeinträchtigungen im Geschäftsbetrieb einiger Hamburger Filialen. So öffnete das Karstadt-Sporthaus an der Mönckebergstraße nach Gewerkschaftsangaben etwas später, das kleinere der zwei Bergedorfer Häuser blieb sogar ganz geschlossen. Bei Karstadt in Wandsbek kam es zu einem regelrechten Eklat, weil etwa 40 bis 50 Beschäftigte sich direkt vor der Filiale postierten und ihre Transparente schwenkten. Filialleiter Christoph Kellenter rief daraufhin die Polizei und ließ die Mitarbeiter mit dem Hinweis auf "Hausfriedensbruch" entfernen, wie er dem Abendblatt bestätigte. "Die Mitarbeiter haben sich bei der Aktion widerrechtlich auf unserem Grund und Boden aufgehalten", sagte er.

Der Betriebsratsvorsitzende der Wandsbeker Filiale, Jürgen Gehring, sprach hingegen von einer "völligen Überreaktion" der Filialleitung. "Wir haben friedlich demonstriert und auch zu keinem Zeitpunkt den Eingang zum Geschäft blockiert." Ob der Vorfall noch ein juristisches Nachspiel hat, blieb am Montag offen.

An diesem Dienstag sollen die Streiks weitergehen. Mit einer Menschenkette vom Sporthaus an der Mönckebergstraße zum Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof will Ver.di symbolisch die Tarifbindung wiederherstellen. Die Auswirkungen auf die Öffnungszeiten der Häuser dürften sich aber weiter in Grenzen halten. Viele Beschäftigte etwa in den Parfümabteilungen sind schon heute gar nicht mehr bei Karstadt angestellt, sondern arbeiten direkt für große Hersteller. Zudem ist der Organisationsgrad der Gewerkschaft im Einzelhandel geringer als in anderen Branchen wie etwa der Metall- und Elektroindustrie.

Ursprünglich hatte die Gewerkschaft auch geplant, Karstadt-Eigentümer Berggruen direkt mit der Wut der Beschäftigten zu konfrontieren. Der Milliardär wollte nämlich am Montagabend auf Einladung der Körber Stiftung in Hamburg über das Thema "Intelligente Führung" und sein neuestes Buch diskutieren. Doch überraschend sagte Berggruen das von langer Hand vorbereitete Gespräch ab. Eine Begründung für den ungewöhnlichen Schritt gab es nicht.

"Für uns liegt der Verdacht nahe, dass Berggruen die Konfrontation mit den Beschäftigten scheut", sagte Peukes. "Es gibt vonseiten der Mitarbeiter viele Fragen, auf die er endlich eine klare Antwort geben muss."

Statt sich in der Hansestadt mit dem Ärger der Mitarbeiter auseinanderzusetzen, wird Berggruen nun heute zu einer Sitzung in der Essener Zentrale erwartet. Während einige Medien im Vorfeld schon von einem Krisengipfel sprachen, nannte ein Unternehmenssprecher die Stippvisite einen "ganz normalen Informationsbesuch".

Wie es wirtschaftlich konkret um den Konzern steht, ist nach wie vor unklar, da Karstadt seit der Übernahme durch Berggruen nur noch stark zeitversetzt und unregelmäßig Geschäftszahlen veröffentlicht. Laut der "Bild am Sonntag" schreiben die 86 Warenhäuser der Kette derzeit hohe Verluste. Lediglich die 28 Sportfilialen und die drei Premiumkaufhäuser, zu denen auch das Hamburger Alsterhaus gehört, würden besser laufen.

Früheren Medienberichten zufolge ist der Umsatz seit dem Beginn des laufenden Geschäftsjahres Anfang Oktober bis April 2013 um zehn Prozent gesunken. Die Umsätze im Geschäftsjahr 2011/12 seien um drei Prozent rückläufig. Karstadt-Chef Jennings hat immer wieder betont, wie schwierig die laufende Sanierung des Unternehmens ist. "Dieses Jahr wird noch hart werden, aber dann werden wir Land sehen", hatte er im März noch gesagt. 2013 habe, auch wegen des langen Winters, schwach begonnen. Zugleich belasteten die Euro-Krise und der Konzernumbau weiterhin das Geschäft.