Die Hansestadt hat eine neue Volksinitiative zur Schulpolitik. Eltern sammeln Unterschriften für einen Volksentscheid. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Hamburg.

"Das Ganze wird jetzt richtig an Dynamik gewinnen", sagt Ulf Ohms, einer von drei Vertrauenspersonen der Volksinitiative "G9-Jetzt-HH". Der IT-Unternehmensberater hat soeben zusammen mit Förderlehrerin Mareile Kirsch und der Internistin Eva Terhalle-Aries die Volksinitiative bei der Senatskanzlei im Rathaus eingereicht. Damit ist es offiziell. Annette Korn, Mitarbeiterin der Senatsgeschäftsstelle, nimmt die Schrift entgegen und erklärt die nächsten Schritte.

Mit der Übergabe am Mittwoch, hat das Bündnis sechs Monate Zeit, um 10.000 Unterschriften zusammeln. Die Vertrauenspersonen sind optimistisch: "Wir schaffen das bis zum 20. Juni", ist Mareile Kirsch, Motor der Initiative, überzeugt. Am Vorabend warb sie auf einem Vernetzungstreffen in der Brecht-Schule in St. Georg um Unterstützer. Rund 60 Menschen waren gekommen. Listen gingen herum, in denen jeder seine Hilfe anbieten konnte. Bei einem zweiten Treffen am 22. Mai werden die engagierten Eltern ihren Plan vorstellen, der sie zum Ziel von 10.000 Unterschriften bringen soll.

Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu der Volksinitiative und dem Streit über G8 und G9.

Wie funktioniert ein Volksentscheid?

An einem Volksentscheid können alle Hamburger teilnehmen, die 16 Jahre und älter sind, seit mindestens drei Monaten in der Hansestadt wohnen und einen deutschen Pass besitzen. Bevor es zu einem Volksentscheid kommt, muss sich eine Volksinitiative gründen. Damit diese erfolgreich ist, müssen in sechs Monaten 10.000 Unterschriften gesammelt werden. Die Liste wird beim Senat eingereicht, die Bürgerschaft kann dem Anliegen zustimmen.

Tut sie das nicht, kann ein Volksbegehren beantragt werden. Dafür müssen innerhalb von drei Wochen mindestens fünf Prozent aller Hamburger Wahlberechtigten, also mindestens 62.000 Personen, unterschreiben. Auch diese Liste wird beim Senat eingereicht.

Stimmt die Bürgerschaft wieder nicht zu, kann ein Volksentscheid beantragt werden. Dabei erhalten alle Hamburger Wahlberechtigten Wahlunterlagen, die sie per Briefwahl oder am Wahltag im Wahllokal abgeben. Wenn mindestens 20 Prozent der Hamburger gewählt haben und die Mehrheit für den Volksentscheid votiert hat, muss der Senat das Gesetz ändern.

Was ist G8?

Abitur am Gymnasium nach acht Jahren, also Klasse 5 bis 12. Die Oberstufe (Studienstufe) dauert zwei Jahre (11. und 12. Klasse). Alle Hamburger Gymnasien bieten nur diesen Weg zum Abitur an. Das letzte Mal, dass Gymnasiasten nach neun Jahren Abitur gemacht haben, war 2010; seitdem sind es acht Jahre.

Was ist G9?

Abitur nach neun Jahren, also Klasse 5 bis 13. Die Vor- und die Oberstufe dauern zusammen drei Jahre (11. bis 13. Klasse). In Hamburg bieten diesen Weg zum Abitur die Stadtteilschulen an, teilweise kooperieren sie miteinander.

Was ist der Schulfrieden?

Im März 2010 haben die Bürgerschaftsfraktionen von CDU, SPD und Grünen mit Beteiligung der Linken vereinbart, über zehn Jahre die Schulstruktur nicht zu verändern. So wollte man in Zeiten der Schulreform einen weiteren Streit der Parteien über die Schulstrukturen vermeiden.

Was will die Initiative G9-Jetzt-HH?

Die Elterninitiative möchte erreichen, dass die Schüler der Gymnasien ihre (weitere) Schulzeit wieder in G9 absolvieren können. Diese Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 besteht mittlerweile bereits in Schleswig-Holstein, Hessen und Baden Württemberg. G9 biete den optimalen Rahmen, um allen Schülern die Lehrinhalte des Gymnasiums zu vermitteln, so die Initiative. Es sei nicht nötig, den Unterricht zu verdichten, außerdem bleibe ausreichend Zeit für die Vertiefung und Wiederholung des Lehrstoffes. Neben G9-Zügen sollen Schulen aber auch G8-Züge einrichten können. "Unsere Forderung an den Gesetzgeber lautet, umgehend eine Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 an den Schulen einzuführen", sagt Initiatorin Mareile Kirsch. "Schüler, die bereits im G8-Rahmen lernen, sollen ihre Schulzeit in G9 fortsetzen können. Grundschüler, die jetzt ans Gymnasium wechseln, sollen G9 als Standardangebot vorfinden."

Wer steht hinter der Initiative?

Initiatorin ist Mareile Kirsch, Förderlehrerin und Journalistin und Mutter zweier Kinder aus Othmarschen. Sie hatte schon vor zwölf Jahren einen Appell gegen G8 an den damaligen Bürgermeister Ole von Beust (CDU) überreicht. Der feste Kern von "G9-Jetzt-HH" besteht aus zehn bis 20 Eltern mit bis zu fünf Kindern. Sie kommen aus unter anderem aus Volksdorf, Allermöhe und Wilhelmsburg.

Wie finanziert sich die Initiative?

Am Tag eins der Volksinitiative stand das Finanzierungskonzept noch nicht fest. Die Mitglieder sind aber dabei, einen Förderverein zu gründen, der Spenden sammeln soll.

Wie organisiert sie sich?

Die Eltern treffen sich fast wöchentlich. Unter ihnen sind Juristen, Grafiker und IT-Spezialisten, die ihre Kenntnisse in den Aufbau der Initiative einbringen. Die Juristen etwa haben dazu beigetragen, dass die rechtlichen Verfahren auf dem Weg zum Volksabstimmungsprozess verständlich wurden.

Wer sind die Befürworter?

Neben den mehreren Tausend Eltern, die die Petition bislang unterzeichnet haben, gehört zu den Unterstützern der Initiative nach deren Angaben auch der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU). Auch die Linke und die Partei der Freien Wähler unterstützen das Anliegen.

Wer sind die Gegner der Initiative?

Zu den Gegnern gehören die Vereinigung der Leiter von Hamburgs Gymnasien (VLHGS), die Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen (GESZ) und der Landesschulbeirat. Neben der regierenden SPD sprechen sich auch CDU, FDP und die Grünen gegen einen Kurswechsel in der Schulpolitik aus. Die Gymnasialleiter werfen der Initiative vor, "durch neuerliches Umsteuern das nun etablierte Hamburger Zwei-Säulen-Modell und den damit entstandenen Schulfrieden in Frage zu stellen". Wer dieses fest vereinbarte und im breiten Konsens von der Bürgerschaft verabschiedete Schulsystem jetzt in Frage stelle, riskiere eine tiefe Verunsicherung in der Eltern-, Schüler- und Lehrerschaft.

Diese Meinung teilen die Elternräte der Stadtteilschulen. Reiner Lehberger vom Landesschulbeirat spricht konkrete Warnungen aus. Die Aufhebung des geltenden Zwei-Wege-Modells wäre für die Stadtteilschulen mit einer geringeren Anmeldequote verbunden, für die Gymnasien berge eine Veränderung der Struktur zudem die Gefahr von "curricularen, organisatorischen und gegebenenfalls auch baulichen Konsequenzen".